Scheiterhaufen, Currywurst und Schampus

Ganz großer Bahnhof in Konstanz? Wenn ab 14. Juni die Konzil-Oper „La Juive“ von Jacques Fromental Halévy mit einem Libretto von Eugène Scribe in der Konstanzer Innenstadt über gleich mehrere Bühnen geht, ist das keine werkgetreue Übernahme der großen Pariser Erfolgsoper des 19. Jahrhunderts, sondern eher ein postmodernes musikalisches Kunstwerk des 21. Jahrhunderts. Das Konzept verspricht jedenfalls musikalische Konzentration – und manche Kurzweil.

Wie bringt man eine große Oper mit 80 bis 100 MusikerInnen, einem Haufen SolistInnen, großem Chor und Ballett in Konstanz unter? Die Antwort gibt die Inszenierung der 1835 uraufgeführten „La Juive“, die nächste Woche in Konstanz Premiere feiern wird. Sie ist eine „Grand opéra“, eines jener typisch französischen Bühnenspektakel also, die mit fettem Sound und bombastischen Inszenierungen das Pariser Publikum zum Kochen brachten – wenn’s sein musste, ließ man damals auch mal einen echten Elefanten über die knarzende Bühne schlappen.

Der zu Geld gekommene Teil des Bürgertums wollte protzen, wie das noch 50 Jahre zuvor dem Adel vorbehalten war, und sein König Louis-Philippe I. wurde mit Recht unter den Strichen der Karikaturisten zum Urbild der Birne. War die Oper vorbei, ging man Geld verzocken, eilte in die Arme einer ausgehaltenen Ballerina und/oder zum üppigen Mitternachtssouper. Es war die Welt Balzacs, die des verschlagenen Frédéric de Nucingen noch mehr als die des in seinem Herzen Kleinbürger gebliebenen Aufsteigers und Bankrotteurs César Birotteau.

Die Konstanz-Oper

Natürlich ist „La Juive“ die Konstanz-Oper schlechthin, sie spielt nämlich in Konstanz zur Zeit des Konzils. Trotzdem ist es gewagt anzunehmen, eine Konstanzer Aufführung an gleich drei Plätzen der Innenstadt bringe dieses gewaltige Werk an seine Originalschauplätze zurück. Der Librettist Eugène Scribe, der auch Textbücher für Verdi, Rossini oder Aubers „Stumme von Portici“ lieferte, ließ das Werk ursprünglich im exotischen Ausland spielen und verlegte es dann aus dramaturgischen Gründen ins spätmittelalterliche Konstanz. Er hatte die Stadt am Bodensee anlässlich eines Besuches auf Schloss Arenenberg selbst kennen gelernt, wie Ruth Bader, Geschäftsführerin von Konzilstadt Konstanz, zu berichten weiß. Aber natürlich ist der Originalschauplatz dieses Schauerstücks zwischen Mittelalter und Renaissance das Pariser Opernhaus, jeder andere Lokalbezug ist pure Kulisse.

Der Kern der Story ist schnell erzählt: Der Kardinal Brogny hat vor Jahren in Rom Judenverfolgungen initiiert und dabei auch die beiden Söhne von Éléazar, einem jüdischen Goldschmied, töten lassen. Dieser wiederum hat, was niemand weiß, aus einem brennenden Haus die Tochter des Kardinals gerettet und als sein eigenes Kind Rachel großgezogen. Beim Konstanzer Konzil treffen sie wieder aufeinander. Hier steigt der verheiratete Reichsfürst Léopold der schönen Rachel nach. Léopold, Éléazar und Rachel landen wegen der verbotenen Liebe zwischen einem Christen und einer Jüdin im Knast, und die beiden Juden werden zum Tode verurteilt, zumal Rachel sich weigert, zum Christentum überzutreten. Rachel wird zuerst hingerichtet, und im Moment ihres Todes offenbart Éléazar dem Kardinal, dass sie in Wirklichkeit dessen eigene Tochter ist. Éléazar stirbt direkt nach seiner Tochter, und dem Kardinal geht es am Ende psychisch gar nicht gut.

Neben dieser zentralen Handlung gibt es viele historische Bezugnahmen in Nebenhandlungen, etwa auf antijüdische Ausschreitungen und die Hussitenkriege. Ein Kardinal Brogny spielte beim Konzil zwar eine wichtige Rolle, aber nicht diese, und auch alles Andere ist erfunden: Liebe, Thrill und rauchende Scheiterhaufen – wie es Euch gefällt.

Doch auch andere Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die elf Aufführungstermine wurden schon vor langer Zeit festgelegt, und Ruth Bader hat bei der WM-Auslosung das große Los gezogen: Keine Überschneidung mit auch nur einem Deutschland-Spiel.

Plädoyer für Toleranz

Dass die Glaubensthematik Juden-Christen in dieser Oper einen so breiten Raum einnimmt, dass sie gelegentlich mit Lessings „Nathan der Weise“ verglichen wurde, dürfte in der Biographie Halévys (1799-1862) begründet sein, der Franzose jüdischen Glaubens war. (Seine Tochter heiratete übrigens zuerst seinen Schüler Bizet und nach dessen frühem Tod einen reichen Bankier – sie wurde später das Vorbild für Prousts Herzogin von Guermantes).

Und wie funktioniert das alles jetzt in Konstanz? Der Komponist Alexander Krampe hat die für großes Orchester geschriebene Musik für 17 InstrumentalistInnen umgearbeitet, darunter auch E-Gitarre, Akkordeon und Harfe. Das Publikum zieht mit dem Stück vom Turm am Kulturzentrum über den Concept Store Sankt Johann zur Lutherkirche, wo das blutrünstige Finale stattfindet.

Das ist Oper einmal anders: Die 230 ZuhörerInnen werden in einer Prozession durch die Stadt geführt, und einfach nur dasitzen und auf die Bühne gucken ist nicht, außerdem braucht man den Temperaturen angemessene Kleidung. Das Werk wurde um einiges gekürzt, inklusive der Pausen und Umzüge dauert es in der Konstanzer Fassung nur noch dreieinhalb Stunden. Notgedrungen sind die großen Chor- und Ballettmassen, die für Showeffekte sorgen, gestrichen worden („also ist alles weg, was Spaß macht,“ wie ein zynischer Journalistenkollege bei der gestrigen Pressekonferenz grummelte).

Geschichte als Hintergrund

In einer Oper mit dieser Thematik hört man natürlich heutzutage unweigerlich den Holocaust mit, auch wenn sie zur Konzilszeit spielt. Das wird durch die Inszenierung unterstrichen: Während die SolistInnen Französisch singen, singt der Chor, das böse Volk, Deutsch, und eine Pessach-Feier gibt es auf Hebräisch. Ein hörbarer Unterschied betrifft auch die breit angelegte Orchester-Ouvertüre: Sie wurde komplett gestrichen, stattdessen gibt es Musik von Viktor Ullmann. Dieser jüdische Komponist wurde 1942 ins KZ Theresienstadt verschleppt, wo er weiter komponieren durfte, ehe er 1944 in Auschwitz ermordet wurde.

Damit gewinnt „La Juive“ eine zeitgemäße Dimension. Der Weg von den Scheiterhaufen und siedenden Kesseln des glaubensfesten christlichen Mittelalters zur Massenvernichtung der Neuzeit – er war rückblickend verdammt kurz. Und er kann jederzeit wieder beschritten werden.

Aber nach der Oper gibt es – statt eines Mitternachtssoupers im Kreise der Ballerinas wie zu Zeiten der Uraufführung – ein eher handfestes Catering mit Currywurst und Champagner, da ist die Welt schnell wieder in Ordnung.

Harald Borges

Fotos © Konzilstadt Konstanz:
Bild oben – vorne: Serge Honegger (Dramaturgie), Jörg Lillich (Regieassistenz), Hermann Dukek (musikalische Leitung), hinten: Kristian Benedikt (Éléazar), Tadas Girinikas (Kardinal Brogny), Johannes Schmid (Inszenierung).
Bild unten – vorne: Francisco Brito (Reichsfürst Léopold), Vladislav Pavliuk (Hauptmann Ruggiero), Sabina Scholz (Bühnenbildassistenz), hinten: Stephen Hess (Korrepetition), Justyna Samborska (Prinzessin Eudoxie), Gustavo De Gennaro (Éléazar), Yana Kleyn (Rachel).

Bei schlechtem Wetter komplett in der Lutherkirche. Bei unsicherem Wetter gibt es ab 15.05 Uhr unter 07531/363 27-29 Auskunft, ob im Freien oder in der Lutherkirche gespielt wird.
Termine, Karten, Currywurst & Champus: https://www.philharmonie-konstanz.de