Seelenstriptease einer Frau
Eigentlich hätte Neil LaBute „Betrogen“ inszenieren sollen, so steht es zumindest im Spielplan des Theaters. Dann kam aber das Angebot, eine Netflix-Serie zu schreiben. Dafür inszeniert jetzt Didi Danquart „Von Mäusen und Menschen“ und Neil LaBute kommt trotzdem: als Autor des Monologs „Eine Art Liebeserklärung“ – ein starkes Stück mit einer ausdrucksstarken Frau.
Faye ist Mitte 40, passionierte Lehrerin und Mutter einer Tochter im Teenageralter. Sie wirkt, als wäre sie strukturiert und zuverlässig, engagiert und professionell – und doch hat sie etwas aus der Bahn geworfen. Denn sie referiert hier von einem Ereignis, das ihrem geradlinigen Leben einen Knick versetzt hat. Und während sie erzählt und erzählt, wird klar: Davon hat sie sich nicht mehr erholt.
Faye hatte eine Affäre mit ihrem Schüler Thommy, aus der ein Kind hervorging. Sie hat diese Lüge für sich behalten. Ihr Mann Eric ist ahnungslos, doch noch immer beschäftigt der verjährte Fehltritt seine Frau, die sich nach und nach entblößt. Innerlich wie äußerlich.
„Wie viel wiegt eine Lüge?“, fragt sie zu Beginn. Damit beginnt ihr einstündiger Monolog, in dem sie ihre Tätigkeit als Lehrerin, die Political Correctness, die weibliche Sexualität und ihre Rolle als Mutter hinterfragt. Worum es dabei aber eigentlich geht, wird deutlich, wenn man sich den Originaltitel des Stücks ansieht. „All the Ways to Say I Love You“ heißt der. Die Übersetzung zu „Eine Art Liebeserklärung“ ist elegant, keine Frage, aber der Inhalt geht dabei leider verloren. Denn es geht um die verschiedenen Möglichkeiten „Ich liebe dich“ zu sagen, davon erzählt Faye.
Die Formen der Liebe
Sie erzählt von einem „Ich liebe dich“, wie man es zu einem Ehepartner sagt, mit dem man vieles erlebt und durchgestanden hat. Der verlässlich ist und zuhört. Ein Fels in der Brandung. Ein Partner, mit dem man die Hürden des Alltags gemeinsam meistert. Sie erzählt von einem „Ich liebe dich“, wie man es dem eigenen Kind sagt. Bedingungslose Liebe, die nichts fordert und nichts will. Eine Liebe, die nicht schwindet, auch wenn das Kind sich „benimmt wie eine Distel im Garten“ und sich gegen die Mutter wendet. Eine Liebe, die unabhängig ist von Eigenschaften, denn sie ist von der ersten Sekunde an da, wenn das Geliebte noch ein hilfloses Bündel ist, das nichts kann und noch niemand ist.
Sie erzählt von der Liebe zu ihren Schülern, mit denen sie Theaterstücke inszeniert und deren Fragen sie beantwortet. Es ist eine karitative Form der Liebe, eine Nächstenliebe, wie sie in all den Religionen proklamiert wird. Eine Liebe zur Jugend, zur nächsten Generation und somit zur Menschheit im Allgemeinen. Es ist eine Liebe, die die Welt verbessert.
Und dann erzählt sie von einer Liebe, die man macht. Eine Liebe, die zwischen zwei Körpern aufflammt, sich in ihnen ausbreitet und wie ein rasendes Feuer die Liebenden ergreift. Sie wegfegt, auslöscht, ineinander verschmilzt. Es geht um die Erotik, das Glück in anderen Sphären, Energien, die spüren lassen, dass man lebt. Ein „Ich liebe dich“, das geflüstert wird, in schweißnasse Laken also. Das sich einbrennt in die Erinnerung wie ein Brandfleck und sich nicht mehr auslöschen lässt. Davon erzählt Faye.
Es ist erstaunlich, wie Neil LaBute diese unterschiedlichen Arten der Liebe aus einer weiblichen Perspektive darstellt. Es sind kleine Details, die zeigen, was für ein guter Beobachter er sein muss, denn er als Mann kann unmöglich selbst erlebt haben, was er hier auf die Bühne bringt. Es wäre nicht Neil LaBute, wenn nicht noch ein paar Reizworte auftauchen würden und diese findet es zuhauf, in Abhandlungen über die Benennung der Hautfarbe der zwei Männer in Fayes Leben. Denn beide sind „gemischtrassig“, „afroamerikanisch“, „farbig“, „schwarz“? Ja, wie sagt man nun eigentlich als weiße Frau? Auch damit beschäftigt sie sich und driftet zum Teil ein wenig von den tiefen, inneren Konflikten ab.
Die Affäre, ein Plüschgarten
Dieser Inhalt also trifft auf die Schauspielerin Anne Simmering, die auf der Bühne einen Seelenstriptease hinlegt, der sich Sie schreibt. Sie zeigt ihre Figur so facettenreich, von hysterisch kreischend, übersentimental summend bis hin zu Tränen der Ergriffenheit, dass dieser Monolog alles andere als langatmig erscheint. Sie singt ihr „If ever I would leave you“ wie Nancy Wilson und zeigt eine tiefe Zerrissenheit zwischen Rationalität und Leidenschaft und dabei ist sie umwerfend! Ein starker, mutiger und gelungener Auftakt als neues Ensemblemitglied.
Sie nimmt ihr Publikum mit in ihren Plüschgarten, den sie sich baut, um von ihren Arten des Liebens zu berichten. Dieser ist Refugium im dunklen Raum, ein Käfig, ein Zufluchtsort (Bühne: Christine Bertl) und somit eine wunderbare Metapher.
Unter Regie von Oliver Vorwerk wird das Schauspiel kombiniert mit einer Kamera, die auf der Leinwand Elemente des Dargestellten doppelt. Dies lässt sich als die verbildlichte Selbstspiegelung, die Beobachtung der Gesellschaft oder die Reflexionsebene deuten. Zudem spricht eine Stimme aus dem Off (Lorenz Leander Haas) Unterbrechungen ein, die sie stocken lassen. Auch hier stellt sich in dieser ganzen zur Schau gestellten inneren Weiblichkeit immer wieder die Frage nach der Stimme von außen, die mahnend, fordernd oder unterbrechend auf das weibliche Subjekt und dessen emotionale Entwicklung einwirkt.
Wie viel wiegt nun eine Lüge? Es ist individuell, sagt Faye. Doch man merkt es: In ihrem Fall ist sie zentnerschwer.
Veronika Fischer (www.fronelle.de)