„Sonnwend“ für Ludwig Finckh

seemoz-finckhGenau zur „Sonnwende“ ließ Autor Gerd Zahner den Dichter Ludwig Finckh auf der Domäne auf dem Hohentwiel gleichsam an seinen Tatort zurückkehren. Hier wurde die Scheune wahrlich zum Tribunal. Der Schauspieler Josef Vossenkuhl schlüpfte vor über hundert Besuchern in Finckhs Rolle und konnte eindrucksvoll überzeugen, einfühlsam musikalisch begleitet von Haro Eden.

1933 sprach Finckh dort vor 5000 Mitgliedern der Hitler-Jugend, als sei er ein Gott, der als erster das Deutsche Wesen verkündete. Jetzt legt er eine Lebensbeichte gegenüber Hund „Boppi“ ab. Ja, einem Hund erzählt man keinen Witz, aber ihm vertraut man sein Innerstes an. Und in seinem Innersten sah sich Finckh als Vordenker des nationalsozialistischen Deutschtums, wird durch Josef Vossenkuhls pointierten Vortrag immer deutlicher. Himmler war sein Freund. Und die Nazi-Größen lasen seine Bücher, teilten seine Wertvorstellungen. Wer war also der wahre Autor und Literat? An wessen Wesen sollte also die Welt genesen?

Aus seiner Tübinger Studienzeit stammte die frühe Freundschaft mit Nobelpreisträger Hermann Hesse, dem er 1905 nach Gaienhofen folgte. Finckh brachte als Hausarzt Hesses Kinder zur Welt. Dann ging Hesse nach Indien. Das war für Finckh wie ein Sündenfall: Niemand lässt seine deutsche Familie so in Stich! Zahner legt nach: Finckh als Begründer des Muttertags. Die Wege beider trennten sich auch politisch begründet. Nicht nur einmal. Finckh erhoffte sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine Art Generalabsolution von Hesse. Doch dieser bezeichnete dessen Autobiografie mehrfach als Buch eines „alten vernagelten Nazis“.

Andererseits wird Finckh bis heute als großer Naturschützer gefeiert. Geradezu einen Heiligenschein erhielt er, als er durch Einsatz seiner Nazi-Beziehungen den weiteren Basaltabbau am Hohenstoffeln stoppen konnte. Selbst Hitler verkündete eine Wende im Naturschutz. Wanderer entdecken heute noch neben dem offengelassenen Steinbruch eine Gedenktafel mit der Aufschrift: „gewidmet Ludwig Finckh, dem Dichter und Hüter der Landschaft“. Wanderer kennen bis heute den Ludwig-Finckh-Weg zwischen den Hegaubergen. Aber eine Diskussion um dessen Paten- oder gar Vaterschaft gibt es bis heute nicht.

Wer war aber dieser Ludwig Finckh, der sich selbst preisende „Vordenker“ wirklich? War es Finckh, der das Hakenkreuz 1921 gleichsam aus dem Runenschlaf wachgeküßt hatte? War er der Zeichengeber der Nazis? Wie weit war er gar in die menschenverachtende Euthanasie-Politik verstrickt?

Der Singener Autor Gerhard Zahner (s. Foto: 2.v.r.) hat sich auf Spurensuche begeben. Bei den Quellen fand er schwerwiegende Belege für einen strammen Nazi, der sich seine Biografie sinnigerweise von einem Herrn Wurster vor der Katastrophe von Stalingrad zimmern ließ. „Wir machten die Sprache zum Soldaten“, hieß es da noch siegesgewiss. Sprachgewaltig in Szene setzt nun der aus Engen stammende Schauspieler Josef Vossenkuhl Zahners Text (s. Foto), der in seinem Stück die menschlichen und politischen Konflikte bühnenfähig komprimiert hat.

Eine Woche nach dem offiziellen Start zur 1100-Jahr-Feier der größten erhaltenen Festungs-Ruine Deutschlands setzte „Sonnwend“ auf der Domäne den Kontrapunkt. Nach dem Beifall für das Premierenstück setzte die Diskussion des Publikums auf dem Vorplatz der Scheune ein. Domänen-Pächter Dr. Both hatte schon bei seinem Vorwort dazu aufgerufen, das Bild des heimatverbundenen Naturschützers zu überdenken. Hier sei zudem ein richtiger Platz dazu. Die Brisanz machte auch die Liste der Premierenbesucher deutlich. Oberbürgermeister Bernd Häusler zeigte sich beeindruckt, engagierte Köpfe aus Naturschutz und kommunalen Verbänden traten in den neuen Dialog ein.

Autor Gerd Zahner war glücklich. Ein Gemeinschaftswerk war gelungen. Handmade! Josef Vossenkuhl bemerkte bei der Vorarbeit: „Auch Beckett nahm den Besen in die Hand!“

Hans Paul Lichtwald

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