Space Jump am Sonntagmittag

Als Reihe für zeitgenössische Kammermusik hat sich „High Noon Musik 2000+“ etabliert. Das letzte Konzert diesen Jahres präsentiert am Sonntag, 3.12., Ausgefallenes der letzten 30 Jahre für teils ungewöhnliche Beset­zun­gen, manches davon als Uraufführung. Die Palette reicht von spätromantischer Gefüh­lig­keit über musikalischen Konstruktivismus bis zu einer Parodie der verdienten Straßen­musikerInnen, die auf ihren Höckerchen hingebungsvoll und wetterfest die Trottoirs dieser Welt bespielen.

Am Sonntag steht Schlag 12 Uhr im Studio der Südwestdeutschen Philharmonie nicht das Mittagessen auf dem Tisch, sondern zeitgenössische Musik auf dem Programm. Dieses Mal gibt es neue Klänge für Streicher und – als Instrument erstmals bei der Reihe „High Noon Musik 2000+“ vertreten – Klavier. Den Löwenanteil des Konzertes bestreitet wieder der Gründer der Reihe, der Komponist und Schlagzeuger Ralf Kleinehanding (*1965), der einige aktuelle Stücke mitbringen wird, darunter auch zwei Uraufführungen: Das Klaviertrio „Drei 11en“ und „Nicht die Bleibende zum Feind“ für kleine Trommel, Becken, mechanisches Metronom und Sprecher. Zu den acht Werken des Mittags zählen außerdem Stücke für Akkordeon und alles mögliche weitere Schlagwerk, es versammelt sich also ein bunt gemischtes Bestiarium aus dem großen Instrumentenzoo.

Die „spirituelle“ Seite

In Konstanz muss man Fazıl Say nicht mehr vorstellen, denn er ist mit der Südwestdeutschen Philharmonie als Konzertpianist und Komponist gleichermaßen in Erscheinung getreten. Sein süffiger „Space Jump“ für Klaviertrio von 2013 gibt dem Konzertmittag den Titel. James MacMillan (*1959) hingegen ist ein hierzulande eher unbekannter schottischer Komponist, der dem Dominikaner-Orden angehört und gelegentlich genauso klingt, wie man es von einem gläubigen Menschen heute gemeinhin erwartet: Sein „Kiss on Wood“ (1993) für Violine und Klavier steht ganz in der spätromantischen Tradition und wirkt wie aus der Zeit gefallen. Natürlich kann man es sich als Germane nicht verkneifen, dabei immer auch Bruchs „Schottische Phantasie“ mitzuhören, aber dieser Vergleich ist wirklich fehl am Platze, da das Werk kaum folkloristische Töne anschlägt.

Zorn macht Spaß

Während in Deutschland die Grenzen zwischen den Reichen Kunstmusik, Jazz und Improvisation noch immer ziemlich dicht sind, gibt es in den USA eine stabile Tradition von MusikerInnen, die sich auf vielen Feldern tummeln, und das auf Weltniveau. Zu diesen Lichtgestalten zählt John Zorn, der 1953 geboren wurde und seit Jahrzehnten ein prägendes Mitglied der New Yorker Musikszene ist. Je nach Betrachtungsweise passt er entweder in keine oder in ganz viele Schubladen. Einerseits hat er als Jazzer und mit improvisierter Musik im Umfeld von Ornette Coleman und Anthony Braxton auf sich aufmerksam gemacht. Andererseits ist er auch als Komponist hervorgetreten und hat mit neuen Spiel- und Aufführungsformaten experimentiert. Außerdem hat er Filmmusik geschrieben und das legendäre „Festival for Radical New Jewish Culture“ organisiert, bei dem neben vielen anderen auch Lou Reed und Alvin Curran mitmachten und das bis heute nachwirkt. Mit „Kristallnacht“ hat er 1992 ein imposantes Werk geschaffen, das eine ähnliche Popularität wie „Different Trains“ von Steve Reich dringend verdient hätte, zumal in Deutschland.

Zorn ist eine charismatische Persönlichkeit und ein Hansdampf in allen Gassen. Am Sonntag in der Philharmonie gibt es seinen „Road Runner“ von 1986, ein äußerst unterhaltsames Werk für Akkordeon solo mit der Chance auf echten Klassiker-Status. Am besten sollte die Solistin Ina Callejas das Werk ja in der Fußgängerzone spielen – oder zumindest einen Hut rumgehen lassen, um die nötige Atmosphäre zu schaffen, denn in dieser Musikcollage steckt eine gewitzte Parodie auf die Straßenmusik, wie sie hinter jeder Biegung der U-Bahn-Schächte einer Weltstadt unvermittelt auf einen einprasseln kann.

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Es spielen Christina Burchardt (Violine), Matthew Brooke (Violoncello), Kristín Kristjánsdóttir (Klavier), Ina Callejas (Akkordeon), Peer Kaliss (Kleine Trommel) und Ralf Kleinehanding (Vibraphon).

Sonntag, 3. Dezember 2017, 12.00 Uhr, Studio der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz. Karten: 10 €/ermäßigt 6 €, es gibt keinen Vorverkauf.

Harald Borges (Foto: Kristín Kristjánsdóttir [Klavier], Christina Burchardt [Violine] und Matthew Brooke [Violoncello], © High Noon Musik 2000+, FotografIn ungenannt).

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