Stalin

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Beliebtheit Stalins in der russischen Gesellschaft , motiviert durch eine politische Strategie der russischen Regierung, die einen raueren Ton gegenüber Andersdenkenden mit sich bringt, zeigt das Theater Konstanz derzeit das Zweipersonenstück „Stalin“. Unsere Theaterkritikerin hat es sich angeschaut und einige Schwächen festgestellt.

Verfasser des 1987 publizierten Schauspiels ist Gaston Salvatore, ein Chilene – von H. M. Enzensberger zum deutschsprachigen Schreiben ermuntert und enger Freund Rudi Dutschkes. Mit seinem Stück erinnert er an die Schrecken des Stalinismus und spinnt Stalins prämortale Vorstellungen einer dritten Terrorwelle gegen die Juden der Sowjetunion weiter.

Diktator in Jogginghosen

Die Bühne in Lorenz Leander Haas‘ Debütinszenierung am Theater Konstanz schmückt zu Beginn ein rotes Banner mit Hammer und Sichel und kyrillischer Schrift. Zur Hymne der Sowjetunion schreitet Stalin (Andreas Haase) in weißer Uniform mit Orden, Hut und rot-weißen Budapestern in Herrscherpose den Bühnenrand ab (Ausstattung: Andreas L. Mayer). Hinter dem roten Banner kommen schließlich zwei hohe Schiebelemente aus schwarzen Holzbrettern mit Farbklecksen und Einschusslöchern zum Vorschein, die mit Neonröhren ausgestattet sind. Stalin tauscht gleich nach der Eröffnungsszene sein stattliches Outfit gegen einen Trainingsanzug mit blauer Jogginghose und Kapuzenjacke mit bunt aufgedruckten Orden und goldfarbenen Metallic-Turnschuhen. Die Atmosphäre auf der Bühne ähnelt eher einem Hinterhof-Boxclub à la Fight Club, denn einer Datscha, in der das Stück eigentlich spielen soll. Nur wenige Elemente des Bühnenbilds unterstützen die Handlung wirklich.

Der König und sein Narr

Der alternde, geschwächte Stalin, der ständig seinen Machtverlust fürchtet, lässt nämlich den jüdischen Schauspieler und Intendanten Itsik Sager (Peter Cieslinski) noch in seinem „King Lear“-Kostüm mit Theaterschminke im Gesicht ohne jegliche Ankündigung nach der Vorstellung in seine Privaträume bringen, um mit ihm zu sprechen. Sager, der sich zunächst selbst als unpolitischen Menschen bezeichnet, weiß nicht wie ihm geschieht und lässt sich auf einen lockeren Lear-Zitate-Austausch ein. Stalin möchte seine Person aber mit Lear verglichen wissen („Ich will, dass Sie mein Narr sind.“), der ja nun eigentlich ein guter König ist und auch sonst wenig mit Stalin gemein hat, und fordert den Rabbinersohn und Parteigenossen Sager letztlich zu einem politischen Streitgespräch heraus. Die Verunsicherung, die dies bei Sager verursacht, transportiert Cieslinski zunächst gekonnt. Allerdings fehlt ihm die Geduld, seinen Sager erst nach und nach in die neue Rolle und damit in die neuen Rechte des ungezügelten „Nein-Sagers“ hineinwachsen zu lassen. Zu schnell schlägt Cieslinski auch außerhalb der Shakespeare-Rezitation in den Habitus des Narren um. Dabei kommt Sager nicht gegen das Riesen-Ego Stalins an. „Sie haben ein Gewissen, ich habe Rückenschmerzen“, bügelt der Diktator Sagers Kritik ab. Sager selbst entpuppt sich im Laufe des Stücks auch nicht unbedingt als Unschuldsengel. Auf wessen Seite er steht, bleibt bis zum Schluss im Unklaren. Vermutlich weiß er es selbst nicht genau – „ein Werkzeug, das nicht weiß, wem es dient“. Stalin jedenfalls hält „Juden und Kosmopoliten“ für „hochgeeignete Opfer“ und sich selbst für einen Menschen. Er lässt sich Sagers Lear-Krone aus Weidenruten aufsetzen und faselt über die „unabdingbare Gewohnheit“ der Macht, Macht, Macht! Überall sieht er Verschwörungen, insbesondere zionistische Komplotte des „jüdisch-amerikanischen JOINT“; ein ausgezeichneter Vorwand, seinen Antisemitismus in brutale Gewalt umschlagen zu lassen. Alexander Haas schafft es dabei nicht, einen vielseitigen Stalin zu mimen; andere Seiten der Person gehen in Geschrei und übertrieben-epochaler Gestik unter. Fast könnte man meinen, nicht der sowjetische Massenmörder, sondern Hitler stünde auf der Bühne.

Kein Mitreißer

Grundsätzlich hält die Inszenierung vielversprechende Elemente bereit, wie etwa einen Haifisch-Luftballon, der unwillkürlich an die Moritat von Mackie Messer erinnert, oder eine Vielzahl schwarzer Stühle mit roten ‚Blutspritzern‘, die von den Darstellern immer wieder neu angeordnet werden. Auch wenn der geglückte Wurf eines Stuhls auf einen Berg von Stühlen, ohne den Haufen zum Einsturz zu bringen, wirklich beeindruckend ist, so fragt man sich am Ende doch, welche Funktion die ganzen Möbelstücke für das Stück haben sollen. Der wiederholte Umbau der Bühne durch die beiden Schauspieler und die Wechsel der Kostüme fressen unnötig Zeit, die mit russischem Techno untermalt wird, der durch seine Beiläufigkeit und Eigenschaft als Lückenfüller an Bedeutung für das Stück, falls er denn eine haben sollte, einbüßt. Der zentrale Handlungsstrang bietet keine Überraschungen. Hat man „King Lear“ nicht gelesen, so erschweren die vielen Anspielungen und Zitate aus dem Shakespeare-Werk das Verständnis des Stückes. Dahingehend können Sie aber beruhigt sein. Auch mit Lear-Vorwissen wird es nicht packender.

F. Spanner (Foto: Theater Konstanz, Bjørn Jansen)


Weitere Aufführungen in der Werkstatt/Inselgasse: 19.2./ 22.2./ 26.2./ 4.3./ 13.3.