Szenen eines Verbrechens
Ja, es wird geschossen. Und ja, es wird gestorben. 85 Minuten lang regiert die Mafia auf der Bühne der Spiegelhalle am Konstanzer Hafen – alles nur Theater. Doch was für ein Theater: Mit „Gomorrah“ gelingt ein dichtes Dokumentarspiel voller Einfälle und aktueller Bezüge.
Und trotz mancher Schwächen – mitunter schreien die Akteure zu viel und artikulieren zu wenig – zaubert Regisseur Adam Nalepa eindrückliche Szenen auf die karge Bühne. Ohne einhellige Handlungsstränge, auch ohne erkennbaren Spannungsbogen kann jede dieser Szenen, jeder Akt für sich alleine bestehen, bringt rüber, was Verbrechen ausmacht und was es mit Menschen macht. Zum Beispiel eine Erpressungsszene, in der ein Mafia-Pate (herrlich schmierig Jörg Dathe als Franco) seinem Opfer Pasquale (souverän wie stets: Ingo Biermann) immer näher auf den Leib rückt, die Stühle immer dichter zusammen geschoben werden, bis nur noch die Pistole als Aufforderung zum Selbstmord auf der Sitzfläche bleibt. Fast schon zu viel Symbolik.
Oder der Auftritt des geschäftstüchtigen Jungunternehmers, der in der „Kirchenbank“ den Paten von seiner Geschäftsidee überzeugen will, Flüchtlingen in Plastikflaschen abgefülltes Leitungswasser zu verkaufen. Rendite: 300 Prozent. Solche Ausflüge in die Gegenwart – in Afrika wird diese Idee von Lebensmittelkonzernen tatsächlich realisiert – verhelfen dem Stück zu beängstigender Aktualität (großes Lob für die Dramaturgie von Anna Langhoff). Wie auch der Regietrick, die Szenen immer wieder durch Info-Blöcke zu unterbrechen, die betont sachlich in Nachrichten-Sprech von einem Stehpult am Rande des Bühnenbildes vorgelesen werden. Brecht lässt grüßen.
Dieser spröden, bisweilen emotionsarmen Darstellung gehorcht das unaufgeregte, gleichwohl mutige Bühnenbild von Anke Niehammer: Ein paar schäbige Stühle nur, die aber immer ins rechte Licht gerückt werden, ein metallenes Klettergerüst, auf dem die getriebenen Akteure regelmäßig ihre Balance zu verlieren drohen. durchgelegene Matratzen und eine Mülltonne für die Müll-Mafia – mehr nicht.
In welcher Tretmühle sich die Mafiaopfer befinden, welchem mörderischen System sie hilflos ausgeliefert sind, macht Regisseur Nalepa immer wieder deutlich, indem er Textpassagen scheinbar unzusammenhängend wiederholen lässt – oder, indem er die Rauchschwaden aus den Revolvern bis zum Ende über die Bühne wabern lässt – oder, indem er gespenstisch, aber ungemein wirkungsvoll mit Lichteffekten und Musikeinspielungen spielt. Theater ohne Stereotypen.
Was macht es da, dass ein Rap nur unverständlich daher kommt? Und wen stört es außer den Rezensenten, dass der Einfluss von Kirche und Politik auf die Mafia nur am Rande thematisiert wird? Oder dass manches Mal das Theatralische dem Dokumentarischem zum Opfer fällt? Niemanden.
Denn Nalepa, das hatte er schon im Vorfeld bekundet, will mit dieser Inszenierung nicht belehren, sondern dokumentieren. Und die fünf Schauspieler – neben Biermann und Dathe ein famoser Julian Härtner und ein brillanter Tomasz Robak, vor allem aber ein junger Julian Jäckel, der seinen Erstauftritt mit bewundernswerter Bravour absolviert – fügen sich in dieses, für Schauspieler nicht immer leichte, Rollenverständnis ein. Und haben nicht nur deshalb den stürmischen Premieren-Applaus mit sieben „Vorhängen“ in der ausverkauften Spiegelhalle redlich verdient.
hpk (Foto: Theater Konstanz/Bjørn Jansen)
Weitere Aufführungen: 19./20./22./26./29.4. und 27.5. jeweils um 20 Uhr. Außerdem 21./28.4 und 12./16./18./19.5. jeweils um 19.30. Zudem: 14.5. um 18 Uhr und 24.5. um 15 Uhr.
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