The Right to Riot
Wenn man Pussy Riot hört, denkt man sofort an junge Frauen in bunten Sturmhauben und knalligen Kleidern, die einst punkige Songs gegen Wladimir Putin grölten und dafür hinter Gittern landeten. Jetzt ist Mascha Alechina mit einer Performance-Show auf Tour, in der sie ihre Geschichte reflektiert. Unsere Mitarbeiterin Veronika Fischer war bei „Riot Days“ im Konstanzer Kulturladen.
Marija Aljochina verbeugt sich, wirft die langen Locken nach hinten und hopst von der Bühne. Eine junge, zierliche Frau, nicht größer als 1,60 Meter mit einem schüchternen Lächeln, als hätte sie gerade ein Gedicht vorgetragen. Hat sie auch. Allerdings vor sieben Jahren und nicht hier auf der Bühne im Kulturladen, sondern in einer Kirche in Moskau. Vierzig Sekunden dauerte damals ihr Auftritt, dann wurde sie von Wachmännern verjagt.
Jetzt winkt sie noch einmal in die Menge und verschwindet anschließend im Backstage. Das Publikum im Kulturladen ist an diesem Abend so bunt wie selten. Von der jungen Studentin in Nietenjacke bis zum graubärtigen Althippie ist alles dabei. Auch die Motivationen für den Besuch der Pussy-Riot-Performance sind unterschiedlich. Manche haben die Frauen bislang nur in der Tagesschau gesehen, andere sind eingefleischte Fans und lassen sich nach der Show die Brüste signieren.
Auf der Bühne war eine Videoprojektion mit Bildern aus Russland zu sehen: Pussy Riot in der Kirche, auf der Flucht, im Gerichtssaal, im Gefangenenlager. Dazwischen immer wieder das Feindbild: Putin und der Patriarch. Die vier Protagonistinnen auf der Bühne schreien zu einem Beat mit treibenden Drums und Trompetenspiel den Text aus dem Buch „Riot Days“, das Marija Aljochina unter dem Pseudonym Mascha Alechina veröffentlicht hat, in ihre Mikrofone. Der Text beinhaltet die autobiografische Geschichte, Zitate von Revolutionären wie Fidel Castro sowie poetisch anmutende Passagen aus dem persönlichen Tagebuch. Auf der Leinwand deutsche Untertitel. Das Tempo ist rasant, für die Show bleibt kaum Raum, wenn man die Performance dokumentarisch begreift und der Handlung folgen will. Erzählt wird Folgendes:
Moskau 2011: „In diesem Winter haben der kleine, graue Tschekist Putin und der in einen Anzug geblasene, spielzeugartige Medwedew beschlossen, die Plätze des Premiers und des Präsidenten zu tauschen.“ Ein Kollektiv von jungen Frauen beschließt, dass es an der Zeit ist, eine Revolution zu starten. Sie treffen sich in einem verlassenen Fabrikgebäude, proben ihre Auftritte und zerschneiden bunte Wollmützen. Sie nennen sich „Pussy Riot“. „Wir wurden von der Bewegung Riot Grrrl inspiriert. Wir nennen uns Pussy Riot, weil das erste Wort das Frauenbild eines Sexisten symbolisiert – die Frau als ein sanftes, passives Wesen, und Riot ist unsere Antwort darauf“, so wird Katja Samuzewitsch, eine der Aktivistinnen, zitiert.
Sie wollen eine andere Geschichte
Der erste Auftritt in der Öffentlichkeit fand auf dem Roten Platz in Moskau statt. Acht Frauen schwenken eine Fahne mit einem Venussymbol und einer geballten Faust in der Mitte. Das mitgebrachte Plakat brennt nicht, obwohl sie es einen Monat lang geprobt haben. Bei minus 11 Grad verändern sich die Verhältnisse. Die Frauen werden verhaftet, sie sagen, sie seien Mitglieder einer Theatergruppe und geben falsche Namen an. Es funktioniert bei allen außer Mascha. Sie kommt frei, doch die Polizei kennt jetzt ihre Identität.
Die zweite Aktion erfordert wieder wochenlange Proben. In Russland verschwimmen die Grenzen zwischen Staat und Kirche. Putin verbrüdert sich mit dem Patriarchen, es gibt Gerüchte über eine gemeinsame KGB-Vergangenheit. Daher wird die Christ-Erlöser-Kathedrale als Auftrittsort gewählt. Wie aber schmuggelt man Gitarren und Verstärker in eine bewachte Kirche? Wie benimmt man sich möglichst unauffällig an einem Ort, an den man sonst nur als Braut oder Putzfrau kommt? Die vier Aktivistinnen senden ihren 40-sekündigen Auftritt per Videobotschaft in die ganze Welt. Ihnen gelingt die Flucht, sie werden von der Polizei verfolgt und letztendlich verhaftet. Maschas Sohn ist zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt. Sie wird zwei Jahre lang nicht nach Hause zurück kehren.
Es folgt ein Bericht über die Zeit bis zum Prozess, der einem absurden Theaterstück gleicht, und der das Leben in Gefangenschaft beleuchtet. Als politische Gefangene hat Mascha einen Sonderstatus, der sie vor Gewalt im Knast weitgehend schützt. Die ganze Welt kennt ihr Gesicht, die Solidarität ist grenzenlos. „Ich habe nichts zu befürchten, ich bin eine Politische, für mich zieht Madonna im Fernsehen ihr T-Shirt aus. Aber sie werden bestraft. Und ich weiß das.“ Gemeint sind ihre Mitinsassinnen, die harte Repressalien zu spüren bekommen, wenn sie nur mit ihr an einem Tisch sitzen oder gemeinsam rauchen.
Mascha lässt sich in der Gefangenschaft nicht unterkriegen. Riot bleibt auch hier die Grundhaltung. Sobald sie eine Ungerechtigkeit sieht, geht sie dagegen an, bis diese beseitigt ist. Auf juristischen Wegen oder mit Hungerstreiks. Sie gewinnt als erste Gefangene einen Prozess gegen einen Wärter, der ihr das Schlafen am Tag verbietet. Sie erreicht, dass Türschlösser entfernt und Telefone aufgestockt werden. Dank ihr gibt es Milch in den Kaffee.
Die Performance sowie das dazugehörige Buch erzählen die Geschichte bis zur Begnadigung, die im Dezember 2013 aufgrund der bevorstehenden Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der russischen Verfassung sowie der Olympischen Spiele in Sotschi verfügt wurde. Über 25.000 in Russland Inhaftierte wurden im Rahmen dieser Amnestie freigelassen, so auch Mascha. Ihr klares Fazit: „Es gibt keine Freiheit, wenn man nicht täglich für sie kämpft.“
Absolut beeindruckend ist es, diese junge Frau auf der Bühne zu erleben. 1,60 Meter groß und allein stellt sie sich gegen das Regime Putins. Und nichts vermag sie aufzuhalten. Welche Macht doch die Wut einer Frau haben kann …
Veronika Fischer (Foto: Liv Hell) | Der Text erschien auch auf www.saiten.ch
Das Buch zum Thema:
Tage des Aufstands — Riot Days
Auf das Punk-Gebet folgt die Punk-Novelle. In dieser berichtet Alechina über ihren Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, die Hetzjagd danach, die Inhaftierung, den „sogenannten“ Prozess und die Lagerhaft. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei Alechinas Kampf gegen die Erniedrigungsstrukturen der Strafkolonie Nr. 28 von Beresniki zu, von wo sie dann in die Strafkolonie Nr. 2 von Nischni Nowgorod versetzt wurde.
Aus dem Russischen von Maria Rajer, 292 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-945867-09-9, EUR 20.00