Theater als „Anregung zur Empathie“

Kommenden Sonntag ist Premiere, unter freiem Himmel. Am Alten Postweg oberhalb von Watterdingen wird Gerd Zahners neues Theaterstück „Der alte Weg“ erstmals aufgeführt. Vorab sprachen wir mit Anna Hertz, Regisseurin und Hauptdarstellerin der neuen Produktion, über die unsägliche Geschichte von Ludwig und Hermine, über feige Morde, über die Mär von der Nestbeschmutzung und über die Angst vor dem Burnout.

Das neue Stück von Gerd Zahner ist starker Tobak: Während des 2. Weltkrieges wurde ein polnischer Zwangsarbeiter am Alten Postweg zwischen Watterdingen und Engen gehängt, weil er die Tochter eines Bauern geküsst haben soll. Die Bauerntochter kam ins KZ Ravensbrück; den Birnbaum, der dem jungen Mann zum Galgen wurde, haben brave Bürger nach dem Krieg flugs ausgerissen. Wie verstörend ist diese Geschichte für Sie?
Ich verstehe nicht, wie es möglich war, auf Grund von Vermutungen das Leben zweier Menschen zu zerstören. Zumindest administrative Teile der Gemeinde haben gewusst, dass Hermine, die Tochter des Bauern, Jungfrau war, und auch der Kuss kann nicht nachgewiesen werden. Wie Gerichtsakten vom Landgericht Karlsruhe verraten, wurden in der näheren Umgebung an 38 Orten polnische Zwangsarbeiter exekutiert. Es wurden Exempel statuiert. Andere Zwangsarbeiter mussten den Hinrichtungen beiwohnen und zusehen, wurden ins Gesicht geschlagen, sobald auch nur einer den Blick senkte. Sie weinten. Die deutsche Administration nicht.

Daran müssen wir uns erinnern, wenn wir schon die Möglichkeit haben, denn es ist offenbar ein Teil von uns. Und solange es noch Zeitzeugen vor Ort gibt, ist es wichtig, jetzt ein Projekt wie dieses zu platzieren.

Noch heute möchten die Menschen in Watterdingen an der Geschichte nicht rühren. In Briefen wird von ‚Nestbeschmutzung‘ gesprochen und davon, dass man die alten Geschichten doch ruhen lassen solle. Was würden Sie solchen Briefeschreibern sagen wollen?
Ich würde sagen wollen, dass keine Absicht zur Nestbeschmutzung besteht, sondern sich die Chance bietet zu verstehen, denn ein solcher Brief würde zeigen, dass das Schweigen über solche Vorfälle vererbt wurde. Die Angst noch immer siegt. Verständlich vielleicht, weil man uns nicht kennt, weil man vermutet, es kommen welche, die hier nicht aufgewachsen sind, die das Dorf nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben, es nicht lieben und schützen wollen, wie sie, die Bewohner. Welche, die nur den Mangel sehen und mit dem Finger auf etwas zeigen. Welche, die den Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung bestimmen.

Ich möchte aber, wenn ich mich mit meinen Leuten auf den Hügel von Watterdingen stelle, nichts anderes als zwei jungen Menschen, denen vor etwa 70 Jahren großes Unrecht widerfahren ist, die Möglichkeit geben zu sprechen. Gleichzeitig soll der Gemeinde die Möglichkeit gegeben werden, sich zu diesem Teil der Geschichte von Watterdingen zu positionieren.

Haben Sie den Eindruck, das Verbrechen sei in Watterdingen aufgearbeitet?
Die Hinrichtung des Polen Ludwig und die Verbannung der Bauerstochter Hermine ins KZ Ravensbrück auf Grund eines ihnen unterstellten Liebesverhältnisses, das später zumindest in körperlicher Hinsicht vom damaligen Gesundheitsamt ausgeschlossen werden konnte, ist im Ort noch nicht aufgearbeitet und, anders als zu Zeiten des 2. Weltkrieges, darf und soll heute über die Kriegsverbrechen gesprochen werden. Das soll keineswegs aus einer belehrenden Haltung geschehen, sondern es geht darum, Gespräche anzuregen.

Unsere Aufführung soll als ein Angebot verstanden werden, das freiwillig genutzt, aber auch diskutiert werden kann. Reden hilft. Zuhören hilft. Es bietet die Chance, einander zu sehen und anzunehmen. Wenn man es gut macht, dann versteht jeder, dass es nicht um einen Angriff geht, sondern darum, sich in ein Boot zu setzen und etwas über einander herauszufinden, denn jeder von uns hätte in Watterdingen, Jestetten, Hohenbodmann, Haslach, Salem, Pfullendorf und wie die Orte im Umkreis von 100 km alle heißen, in denen Zwangsarbeiter hingerichtet wurden, geboren werden können. Und nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass wir in der heutigen Flüchtlingsproblematik gleichgearteten Verbrechen an der Menschheit gegenüber stehen.

Nicht Ihre erste Zusammenarbeit mit Zahner – jüngst feierten Sie Erfolge mit „Abgefahren. Romer“ Was reizt Sie an dieser minimalistischen Spielweise, fast ohne Kostüme, jetzt unter freiem Himmel, ohne eigentliche Bühne, sprechlastig?
Die Bühne ist der Ort, Kostüme werden wir haben und bewegen werden wir uns auch. Aber natürlich werden wir sprechen, versuchen, das Schweigen von der Seele zu sprechen. Ankommen wird es auf unser Geschick, eine Atmosphäre zu schaffen, die das Zuhören und eigene Gedanken entstehen lässt. Auf alle, sowohl auf die Agierenden auf der Bühne als auch auf das Publikum, kommt es an, den gemeinsamen Moment zu nutzen. Kann klappen.

Sie führen nicht nur Regie, mit Ihrem Mann Thomas Fritz Jung spielen sie auch die Hauptrollen. Beide sind Sie am Konstanzer Stadttheater engagiert, Jung spielt derzeit noch den Tell auf dem Münsterplatz, Sie arbeiten zudem mit dem Uni-Theater zusammen. Keine Angst vorm Burnout?
Immer.

Nach der Premiere am 23.7. wird an selber Stelle ein Birnbaum gepflanzt. In Ihren Augen ein Mahnmal? Oder Wiedergutmachung? Oder doch nur ein Gag?
Eine Erinnerung und Anregung zur Empathie.

hpk

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