Theater als Stimme des Schweigens

Das Stück „Angst essen Seele auf“ feiert am kommenden Samstag seine Premiere am Theater Konstanz. Es zeigt eine Interpretation des kontroversen Filmklassikers von Rainer Werner Fassbinder: Ein junger Gastarbeiter und eine 40 Jahre ältere deutsche Putzfrau kämpfen im Zeichen der Liebe gegen Vorurteile und geraten damit an ihre Grenzen. Für den Schauspieler Mphundu Brian Mjumira aus Malawi ist das ein aktuelles Stück, auch weil es etwas mit seiner Schwärmerei für Bertolt Brecht zu tun hat. 

Noch laufen die Proben für das Stück „Angst essen Seele auf“ am Stadttheater in Konstanz, das ab Februar zu sehen sein wird. Um was geht es in dieser Geschichte für Sie?
Im Stück geht es um die Flüchtlingsthematik, die seit Jahren weltweit präsent ist. Der Film „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder ist aus den 1970er Jahren und zeigt die Geschichte eines Marokkaners, der als Gastarbeiter nach Deutschland kommt. Heute, also vierzig Jahre später, ist die Thematik immer noch aktuell. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Menschen aus Afrika kommen nach Europa, Menschen aus Asien kommen nach Afrika und auch nach Malawi, wo ich herkomme, es kommen Flüchtlinge aus Mosambik, wo Krieg herrscht. Ich spiele einen jungen Mann, der mit sechs anderen in einem kleinen Zimmer lebt. Das ist unerträglich, könnte man meinen. Aber vielleicht ist in seinem Land Krieg und diese Situation jetzt ist viel, viel besser.

Für mich ist der Film eine Liebesgeschichte. Ali, der Gastarbeiter, verliebt sich in Emmi, eine Putzfrau, die sehr viel älter ist als er. Beide kämpfen zusammen gegen die Ablehnung von außen und dann auch mit der eigenen Dynamik, die ihre Beziehung aufwirft. Das finde ich spannend: Der Moment, an dem das Verliebtsein kippt und es schwierig wird.

Finden Sie, es ist Liebe, was diese beiden Menschen verbindet? Oder klammern sie aneinander, weil sie sich aus der Einsamkeit holen?
Für mich ist das definitiv Liebe. Am Ende könnte die Frau einfach gehen und sich nicht mehr um den Mann kümmern. Aber das tut sie nicht, trotz all der Probleme. Und so ist es doch in der Realität auch. Wenn man sich liebt, dann streitet man vielleicht viel, wenn man zusammen ist, aber sobald der eine nicht mehr da ist, hat man sofort Sehnsucht und schreibt tausend Nachrichten. „Ich vermisse dich so“, „Ich will bei dir sein“, und so weiter. Das macht die Thematik des Stücks noch breiter, weil es wirklich jeden betrifft.

Wie sind Sie denn dazu gekommen, die Rolle in dieser Inszenierung zu spielen?
Ich war 2011 schon hier und habe in „The Messenger“ gespielt und dann 2013 nochmal in „Das Spiel ist aus“. Das Theater Konstanz hat eine Zusammenarbeit mit Theatergruppen in Malawi. Wir erfahren hier eine große Unterstützung durch die Kooperation. So konnten wir Land in Malawi kaufen und dort einen richtigen Ort für ein Theater schaffen. Das gibt es nämlich nicht. Man hat keine Bühnen, sondern spielt irgendwo, in einer Schule oder unter einem Baum. Jetzt haben wir einen richtigen Künstlertreff. Dorthin kommen Schauspieler, Bühnenbildner, Musiker und jeder, der an Kultur interessiert ist. Wenn es so einen Ort nicht gibt, gibt es auch den Austausch nicht und viele Projekte würden nie entstehen. Mit der Unterstützung des Theaters Konstanz und des Intendanten Professor Nix konnten wir uns einen Traum von Theater verwirklichen. Dafür bin ich unendlich dankbar.

Warum, denken Sie, ist das Theater so wichtig?
Malawi ist ja ein sehr armes Land. Man könnte sich auch für die Landwirtschaft oder die Schulbildung engagieren.

Warum haben Sie das Theater ausgewählt?
Für mich ist das Theater wichtig, um Kultur zu erhalten. Es ist die Stimme von Menschen, die schweigen. Es ist eine Plattform, wo es gestattet ist, Dinge anders zu betrachten. Wir verbringen unser Leben ja großteils im Autopilot-Modus. Aufstehen, essen, arbeiten, schlafen – und dann wieder von vorn. Im Theater kann man die andere Seite des Lebens betrachten und Fragen nachgehen. Wohin geht die Welt? Was machen andere Menschen? Und dann kann man darüber nachdenken, wie man Dinge richtig machen könnte. Es öffnet also den Horizont des eigenen Denkens.

Und was bedeutet das für Sie persönlich? Welche Erfahrung haben Sie mit dem Theater in Ihrem Leben gemacht?
Ich habe gelernt, dass es nicht nur um mich geht. Das denkt man ja gerne. Immer nur ich, ich, ich. Aber so funktioniert es nicht. Man braucht ein Gegenüber, einen anderen, der einen sieht und unterstützt. Ich wäre sonst nicht hier. Es hat jemanden gebraucht, der mir sein ganzes Vertrauen schenkt. Der mich ansieht und an mich glaubt. Ich danke Professor Nix, dass er mir dieses Vertrauen und diesen Glauben geschenkt hat. Das ist nicht selbstverständlich und ich schätze es wirklich sehr.

Denken Sie, dass es Ihr Talent ist, das Sie hier her gebracht hat, oder der Zufall?
Es ist das Schicksal. Ich habe vor Jahren in der Dreigroschenoper den Mackie Messer gespielt. Ich habe diese Figur geliebt und habe alles von Brecht gelesen, was ich finden konnte. Ich wollte vollständig verstehen, wie dieser Mensch denkt, der Stücke mit dieser universellen Gültigkeit schreibt. Er ist wie ein Satellit, der über der Erde kreist, und alles erfasst. Und dass ich jetzt unter der Regie von Johanna Schall spielen darf, ist eine solche Ehre für mich. Ich muss dir dazu ein Geheimnis verraten: Sie ist eine Enkelin von Bertolt Brecht. Das ist doch unglaublich, oder?

Veronika Fischer
(zuerst erschienen bei Saiten, www.saiten.ch, und Kreuzlinger Zeitung, www.kreuzlinger-zeitung.ch