Theater will auf Distanz spielen

Das Theater Konstanz will sein Freilufttheater auf dem Münsterplatz trotz Corona-Pandemie inszenieren. Um weder Publikum noch Ensemble zu gefährden, haben Christoph Nix und sein Team ein abenteuerliches Konzept erarbeitet. Dieses garantiert mit gehörigem Aufwand die Einhaltung der Abstandsregeln vor, auf und hinter der Bühne. Ob das genehmigt wird?

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Für das Theater Konstanz ist die derzeitige Situation schwierig. Seit Mitte März sind alle Vorstellungen abgesagt. Noch steht nicht fest, wann und in welcher Form der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Hörspiele und Lesungen fürs Internet fanden zwar ein Publikum, sind aber kein richtiger Ersatz für das Theater, dessen Wesen Intendant Christoph Nix vor versammelter Presse am Dienstag als „die letzte Bastion der Unmittelbarkeit menschlicher Begegnung“ bezeichnete. Diese Direktheit soll das Sommertheater im Juli wieder ermöglichen, darauf setzen die Mitarbeitenden des Stadttheaters ihre Hoffnung. Unter freiem Himmel, so die Überlegung, lassen sich die Auflagen des Infektionsschutzes besser umsetzen.

Abstand, Vorsicht und geregelte Abläufe

Die Sicherheitsvorkehrungen betreffen zunächst das Publikum: es wird dezimiert und in fünf Gruppen geteilt. Statt über 600 passen auf die dreigeteilte Tribüne 228 Menschen. Bei Bedarf händigen ihnen die – ebenfalls maskierten – Mitarbeitenden des Theaters Masken aus. Sie führen sie einzeln zu den Plätzen, nachdem sie in den entsprechenden Arealen gewartet haben. Zeitlich sollte das nicht länger dauern als gewöhnlich, erklärte der Technische Direktor Holger Bueb den geplanten Ablauf und einige hygienische Details: „Dort wo die normalerweise die Gastronomie steht, installieren wir Waschbecken.“ WCs gibt es nur als Einzelkabinen; diese werden stündlich gereinigt. Auch der gesamte Platz soll immer wieder gereinigt werden.

Für das Ensemble bedeutet dies ebenfalls eine große Umstellung. Es spielen acht Schauspielerinnen und Schauspieler sowie zwölf Statisten und ein 16-köpfiger Chor. Geprobt wird im Freien. Zu Beginn muss sich jedes Mitglied einem Corona-Test unterziehen, der nach zwei Wochen wiederholt wird. Körperkontakt ist nicht erlaubt, Berührungen sollen symbolisch mithilfe von Requisiten geschehen. „Die Schauspieler schminken sich selbst und kleiden sich zudem selbst um. Dazu sind die Kostüme, meist Mönchskutten, minimal gehalten“, erklärte Bueb. „Und wir besetzen nicht. Die Teilnahme ist freiwillig, wer Interesse und Lust hat sowie private Kontakte auch während der Spielzeit einschränkt, kann mitmachen.“

Der streitbare Intendant Nix nutzte die Pressekonferenz außerdem, um sich über die Folgen der von der Konstanzer Stadtverwaltung verhängten Haushaltssperre zu beklagen, welche den Alltag im Theater zur Zumutung macht. Jede Ausgabe benötige eine Genehmigung, „und wenn es nur eine kleine Software für 15 Euro ist“. Er fühle sich zum Ende seiner Intendanz „finanziell kastriert“. Das Sommertheater durchzuführen, würde die Kasse indes nur minimal belasten, denn die gesamte Infrastruktur und alle Mitwirkenden stehen bereit, das Stück ist geschrieben – und könnte auch kurzfristig wieder abgesagt werden, sollte sich die Entwicklung der Pandemie verschlechtern.

Lokalheiliger für Menschen mit Behinderung

„Hermann der Krumme oder Die Erde ist rund“ stammt aus Nixens Feder. Das Stück folgt dem Leben des titelgebenden Universalgelehrten, der vor rund tausend Jahren im Kloster Reichenau lebte und forschte – ein Stephen Hawking des Mittelalters, den die Mönche in einem Holzstuhl durch die Gegend trugen und der unter anderem die erste Chronik unseres Kulturkreises verfasste, die erste mobile Sonnenuhr erfand, eine eigene Notenschrift kreierte und Kompositionen von Liebe und Hoffnung verfasste. Obwohl vor dem Ausbruch der Pandemie entstanden und somit „kein Corona-Stück“, ließen sich durchaus Beziehungen zur aktuellen Situation herstellen, so Nix. „Der Inhalt handelt von unserem Umgang mit Stigmatisierung und Krankheit und spielt in post-pestalischer Zeit.“ Eine weitere Parallele liegt zudem auf der Hand: Hermann der Lahme, wie er eigentlich genannt wurde, meisterte sein Leben als Mensch mit Behinderung auf vorbildliche Art und ließ sich von einem Schicksalsschlag so schnell keinen Strich durch die Rechnung machen.

Für Nix ginge mit dieser Inszenierung seine 14-jährige Amtszeit zu Ende – verständlich also, dass ihm viel daran liegt, das Stück auf die Bühne zu bringen und nicht sang- und klanglos zu verschwinden, bevor der letzte Vorhang fällt. Das Konstanzer Stadttheater ist so außerdem eines der ersten deutschen Häuser, das nach der Schließung der Theater wegen der Corona-Krise mit Plänen für die Wiederaufnahme des Betriebes an die Öffentlichkeit geht. Aber, das stellte Christoph Nix an der Pressekonferenz klar, „nicht auf Biegen und Brechen“. Sein Team habe ein Konzept erarbeitet, das den Theaterbesuch „sicherer als Einkaufen“ mache. Die Maßnahmen seien an „Merkelscher Realpolitik“ orientiert und haben bereits das OK des Virologischen Instituts der Universität Freiburg bekommen. „Ich möchte schließlich nicht als der Intendant in die Geschichte eingehen, der mit seiner letzten Aufführung Menschen mit einem neuartigen Virus angesteckt hat.“

Am 7. Mai soll das Konzept in den Konstanzer Gemeinderat kommen. Und wenn das nicht genehmigt wird? „Dann hat es halt nicht sollen sein. Leckt mich, Klappe zu und tschüss.“

Stefan Böker (Text und Bild)

Bild: Christoph Nix und sein Team: (v. l.) Regieassistent Lorenz Leander Haas, Chefdramaturg Martin Stefke, der Referent des Intendanten, Dr. Daniel Morgenroth, Schauspieldirektor Mark Zurmühle, der Technische Direktor Holger Bueb und Dramaturgin Franziska Bolli.