Trainverspotting

Bänz Friedli und Thomas Breuer

Die Kabarettisten und Autoren Bänz Friedli (rechts im Bild) und Thomas C. Breuer.

Die Kabarettisten und Autoren Bänz Friedli und Thomas C. Breuer kommen am 9. Juni mit ihrem Programm „Retour – Breuer & Friedli fahren Eisenbahn“ ins Kreuzlinger Theater an der Grenze. In ihrer Lesung geht es um Erlebnisse mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. Hier schon mal ein aktueller Text von Tom C. Breuer.

Bahnhass 2023

Ich habe mir gedacht, wenn ich mal in Rente bin, habe ich endlich mehr Zeit, besser zu schreiben, mehr Zeit für Recherche, mehr Zeit zum Feilen am Text. Aber ihr merkt es schon an diesem Beitrag: Hat nicht geklappt. Allein um hierher zu kommen, mit der Bahn versteht sich: Dafür benötige ich Fahrkarten. Also aufs Portal der DB. Da muss ich zunächst Cookies zulassen. Dafür geht eh die meiste meiner Restlebenszeit drauf: Cookies zuzulassen.

Wenn ich Glück habe, darf ich zunächst die Bilder anklicken, auf denen ein Bus zu sehen ist. Ein Bus? Wieso nicht eine Lokomotive? Schienenersatzverkehr, nehm ich mal an.

Dann: Log-In Privatkunden. Click.

Dann: Angemeldet bleiben. Click. Funktioniert nie, never fucking ever. Schon beim nächsten Versuch bin ich nicht mehr angemeldet. Egal. Click.

Ich bin ein Mensch. Click. Obwohl: Bei der Bahn fühle ich mich allmählich wie ein Roboter. Click. Anmelden. Click.

Hinweis: „Sie sind nicht mehr im System angemeldet. Bitte beachten Sie, dass Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit automatisch abgemeldet werden, wenn Sie das System längere Zeit nicht benutzen.“ Okay. Das waren etwa fünf Sekunden. Click.

Sie haben sich erfolgreich abgemeldet. Click. Login Privatkunden. Click.

Tickets kaufen. Click.

Ja toll, schon bin ich da, wo ich hinwollte. Wie sagte neulich eine junge Frau im Großraumabteil? „Das dauert voll ewig!“ Da haben wir noch lang nicht über die Beförderung gesprochen. Von mir aus könnten sie bei der Bahn die Dose mit den Cookies: Zulassen. Die gehen mir so was von auf den Keks.

Wenn ich für die Strecke Radolfzell-Singen – Fahrtzeit zehn Minuten – den Flexpreis in der ersten Klasse buche, habe ich freien Zugang zur DB-Lounge. Tolle Sache, allerdings gibt es auf der ganzen Strecke nicht eine einzige DB-Lounge.

So verbringe ich also meine Zeit. Clicke ich noch richtig? Wie soll ich denn da noch einen ordentlichen Text zustande bringen? Die Menschen werden immer älter, heißt es. Die Zeit brauchen wir aber auch, allein schon, um Cookies zuzulassen.

Vor allem bei einem Unlogistikunternehmen wie der Bahn.

Bahnhass? An dem Thema habe ich mich schon in den Neunziger und Nuller Jahren abgearbeitet, ich dachte, damit wären wir durch. Das war aber nur ein harmloser Vorgeschmack auf das, was derzeit abgeht. Bzw. eben nicht abgeht. Der Bahnhass damals hat mich wohin gebracht? Schon ans Ziel, aber nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt, und randvoll mit negativer Energie. Wenn du glaubst, mit einer Übergangszeit von dreißig Minuten ein Recht auf einen Anschluss hast – selber schuld. Fahr halt früher los, du Honk!

Ich will das eigentlich gar nicht, ich schwör! Das ist so billig, sich über die Bahn aufzuregen. Ich liebe die Bahn, echt. Es gibt keine Alternative. Ich bin ausgewiesener Schimpfgegner. Trotzdem muss es gemacht werden. Falls ich mich mal unterversorgt fühle mit E-Mails – eine Bahnreise schafft Abhilfe. Beispiel: Um elf Uhr bin ich in Singen losgefahren. Zwei Stunden später finden sich schon zehn Mails in meinem Account bzgl. Verspätungen und nicht zu erreichenden Anschlüssen, was zwischendurch mal kurz aufgehoben und dann wieder bestätigt wird. Die Hälfte aller Mails: Fehlinformationen. Immer mehr Lokführer steigen aus. Aus dem Zug. Früher hatten höchstens mal die Heizer einen Burnout. Das nennt man dann: Lok down. Jetzt kann man natürlich sagen: Die Bahn versorgt einen mit einem Quäntchen Chaos in einem zugetakteten Leben, lasset uns dankbar sein für einen Crashkurs Fatalismus. Man darf die Extrazeit sinnvoll nutzen, kontemplative Momente geniessen. Hab ich alles gemacht. Am Ende war immer noch Extrazeit übrig. Ich habe mich Jahrzehnte lang in Geduld geübt. ICH KANN JETZT GEDULD!

Wenn man der Deutschen Bahn so zuschaut: Das ist Sterbebegleitung. Okay, nicht weinerlich werden. Schließlich habe ich mich ja bewusst für die Bahn entschieden.

In Deutschland ist die Transformation zum Nichtöffentlichen Verkehrsmittel noch nicht ganz abgeschlossen. Schon mal den Namen Wagenknecht gehört? Wenn ihr Pech habt: Ja.ntlich passt der besser auf unseren aktuellen Verkehrsminister. Und auf sämtliche davor – alles Wagenknechte. Wahre Meister der Auto-Suggestion.

Nehmt meinen Rat an: Fahrt niemals mit der Deutschen Bahn! Ich bin regelmäßiger Kunde seit 1796. Es ist jedes Jahr ein bisschen schlimmer geworden. Im Jahr 2023 befindet sich dieses Unternehmen im freien Fall. Kauft besser einen Diesel und verpestet weiter die Luft, damit die Welt schneller untergeht, denn das scheint mir das Beste zu sein, was diesem Planeten widerfahren kann.

Eigentlich handelt der Text gar nicht vom Groll gegen die Bahn, sondern von meiner Wut auf die Herren Ramsauer, Dobrindt, Scheuer und Mehdorn und auf alle Verantwortlichen, die diese Herren haben gewähren lassen.

Wir bitten alle Reizenden auszusteigen.

Text: Thomas C. Breuer
Bild: Pascal Mora

Wann? 9.6.2023 – 20:00 Uhr
Wo? Theater an der Grenze, Hafenstr. 8, 8280 Kreuzlingen
Tickets: https://theaterandergrenze.ch