Über die Einsamkeit und die Kunst ihr zu entfliehen
„Rudi Rakete ist ganz ohne Zweifel das beste Kind der Welt“. Prinzessin Moa (Sylvana Schneider) eröffnet mit dieser liebevollen Ansage die Aufführung von „Rudi Rakete“ in der Inszenierung von Magdalene Schaefer, die derzeit am Theater Konstanz zu bestaunen ist. Der Anfang des Stücks gleicht dem ersten Satz aus Veronika Fischers Kinderbuch „Rudi Rakete und das Haus am Fluss“, auf dessen Grundlage sie die Bühnenfassung für das Familienstück entwarf. Rudi Rakete (hervorragendes Puppenspiel von Robert Buschbacher) lebt mit Prinzessin Moa auf einem gestrandeten Kahn am Fluss. Am Meer war er noch nie, würde aber gerne mal dort hin.
Ihr gemeinsamer Traum ist es, das Schiff eines Tages zum Laufen zu bringen. Da kommt ihnen die zufällige Begegnung mit dem etwas abgehalfterten Piraten Käpt’n Schleuder (vielseitig: Georg Melich) gerade recht – das Angebot eines Apfelkuchens, ‚obschon‘ glutenfrei „mit Dattelpampe“, kann er nicht ausschlagen und so beginnt ihr erstes (und hoffentlich nicht letztes) gemeinsames Abenteuer.
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Auf der (Schatz-)Suche
Prinzessin Moa, die eine mütterliche Beziehung zu Rudi hat (autobiografische Elemente sind eventuell nicht auszuschließen, da Fischer die Rudi Rakete-Geschichten für ihren Sohn Konrad schrieb), scheint viel beschäftigt. Eifrig tippt sie auf ihrer alten Schreibmaschine im Takt mit der Musik, telefoniert und vergisst beinahe den Kuchen im Ofen. Sie sammele Geschichten und mache daraus Bücher, beschreibt sie ihre Tätigkeit. Moa ist Autorin und Akteurin der Geschichte zugleich – hier treffen sich zwei Erzählebenen. Sylvana Schneider, die sonst in lauten und resoluten Rollen brilliert, zeigt sich dabei von ihrer sanften, fürsorglichen Seite. Ihr mimisch-komödiantisches Talent verleiht dem Charakter Moa die nötige Kindernähe. Sehnsüchte treiben die Figuren der Geschichte: Schleuder sehnt sich (zunächst) nach einem richtigen Schatz, Rudi nach jemandem zum Spielen, Moa findet wiederum Käpt’n Schleuder ganz nett und die grüne Hexe ist nur „böse und gemein“, weil sie noch keinen richtigen Sumpfhexer gefunden hat. So wird das Stück passend musikalisch begleitet von Ben E. Kings „Stand by me“ in verschiedenen Instrumental-Varianten.
Alle Mann (und Frau) an Deck
Der Kahn – ein rollbares Holzschiff, an dem hier und da etwas auf- oder ausgeklappt, gedreht und aufgehängt werden kann, mit Kräutertöpfen an der Seite und einem Hahn auf dem Dach (Ausstattung: Susanne Harnisch) – weckt nicht nur bei kleinen Zuschauer*innen das Begehren, sich selbst darin auszutoben und der spielerischen Fantasie freien Lauf zu lassen. Den Erwachsenen im Publikum entlockt die hinter kleinen Türchen zum Vorschein kommende Küche mit Tassen, Uhr und allerlei Kochutensilien ein schlichtes, aber umso begeisterteres „süüüüüß!“. Überhaupt zeugt die Ausstattung von großer Liebe zum Detail. Käpt’n Schleuder sieht aus wie ein richtiger Seemann („so schön wild wie ich auch sein will“) und Rudi, der aufgeweckte Protagonist, ist eine Stoffpuppe mit Halstuch, Jeans und Cowboystiefeln. Die Puppe ist fast lebensgroß und wird von Buschbacher, Schneider und Melich behutsam zum Leben erweckt. Das Zusammenspiel der Darstellenden erreicht hier ein höheres Level. Auch die Bewegungen der anderen Puppen wirken so natürlich, dass das fesselnde Spiel die ‚menschliche Mechanik‘ dahinter gerne vergessen lässt.
Auf ans Meer!
Nicht nur Kinder kommen in Schaefers Inszenierung auf ihre Kosten (Buschbachers Hexe war „besonders aufregend“). Mit einem Augenzwinkern werden herausfordernde Erziehungssituationen geschildert, etwa wenn Schleuder vor Rudis Augen unbekümmert seinen Flachmann aus der Jacke holt. Klassische Kinderbuchfiguren werden aus ihren klischeehaften Rollen gerissen. Der dicke Vampir, der nicht fliegen kann, und der Pirat, der selbst sagt, „Pirat-Sein ist kein Zuckerschlecken“, bringen überraschende und witzige Perspektivwechsel, sodass auch das Fazit einiger Erwachsener am Ende lautet: „spannend!“. Groß und Klein lassen sich gerne mitnehmen auf dieses phantastische Abenteuer. Eine kurze Geschichte am Schluss, mitgegeben auf den Heimweg, macht Lust auf Meer.
F. Spanner (Fotos: Theater Konstanz, Bjørn Jansen)
Weitere Aufführungen 22./25./29. Dezember – jeweils 15 Uhr.
Am 25. Dezember auch um 17 Uhr.