„Verdutzt!“
Stark beworben wurde das Zirkuszelt des Theaters Konstanz auf Klein Venedig, das seit vergangenen Samstagabend seine Zelteingänge geöffnet hat. Mit der Premiere von „Foottit und Chocolat“, einem Zirkusspiel nach einer wahren Geschichte – von Intendant Christoph Nix höchstselbst für die Bühne geschrieben – sollte das Zirkuszelt mit einem schauspielerischen und artistischen Paukenschlag eröffnet werden. Ich war sehr gespannt auf den Abend. Seit einer gefühlten Ewigkeit hatte ich schon kein Zirkuszelt mehr von innen gesehen – würde diese kindliche Freude eines Zirkusbesuchs wieder aufkommen?
Beim Betreten des Geländes war ich noch etwas skeptisch – vergleichsweise wenig Menschen auf der großen Fläche – aber gut, ich war auch etwas früh. Langsam füllte sich der Vorplatz dann aber mit Leben. Man traf sich unterm rot-weiß gestreiften Vorzelt, genoss einen kühlen Drink am Wagen der „Unkaputtbar“ oder kaufte noch schnell Karten an der originellen Zirkus-/Theaterkasse. Wie im Original mischten sich allmählich allerlei schrille Figuren unter die Gäste und am Zelteingang wurde ich schließlich gefragt, ob ich auch eine rote Nase gemalt bekommen möchte. Aber na klar! Das Innere des Zelts ließ keine Wünsche offen. Nicht zu groß, nicht zu klein, weiße Sterne am blauen Planen-Firmament, schwummriges Licht und inmitten der Manege: eine Herde Laufenten, die munter durch die Gegend schnatterte. Meine unbekannte Sitznachbarin brachte es auf den Punkt: „Die Atmosphäre ist super.“
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Schwarz und Weiß
Mit einem Glockenschlag begann schließlich die Vorstellung im ausverkauften Zelt. Ein Trauerzug. Vorneweg ein Leichenwagen. Im Gefolge bitterlich weinende Clowns und andere schräg-lustige Gestalten. Der Zug wird immer schneller, doch plötzlich hält der Wagen an und der Sarg rutscht von der Ladefläche. Unverkennbar, die Profession dessen, der hier gerade zu Grabe getragen werden sollte: Die Schuhe waren wohl zu groß für den Sarg und stehen nach oben gut zehn Zentimeter heraus. Das macht mich, was ich erst im Nachhinein zu benennen weiß, „verdutzt“. Die Requisite und Kostümbildnerin Uschi Haug haben Großartiges geleistet, um die Zirkuswelt um 1900 wieder aufleben zu lassen, in der sich der englischstämmige Proficlown George Foottit (Olli Hauenstein – Schweizer Profi-Clown mit entsprechend vielversprechender Performance) und der in einer kubanischen Sklavenfamilie gebürtige Rafael Padilla (Ramsès Alfa – kein Proficlown, aber mindestens genauso professionell) kennenlernen.
Beide haben ein Problem: Foottit kämpft mit der zunehmenden Schwierigkeit, Menschen zum Lachen zu bringen. Seine Nummern sind dem Zirkusdirektor (Peter Cieslinski – ein authentischerer Zirkusdirektor ist kaum vorstellbar) nicht mehr gut genug, er möchte „etwas Neues“. Der alternde Foottit hat seine besten Zeiten hinter sich. Rafael wird im Zirkus als exotische, aber bedrohliche Attraktion „UgaUga aus dem Busch“ präsentiert. „Iiiih, ist das Schminke?!“, ruft ein Kind ob seiner dunklen Hautfarbe – ein Lob gilt hier all den engagierten Statisten. Der geflüchtete Rafael hat keine Papiere und wird von der Polizei gesucht. Er hat Spielschulden, die ihn in arge Bedrängnis bringen Was also tun? Gemeinsame Auftritte als autoritärer Weißclown und leidender schwarzer dummer August – denn Schadenfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude – sollen den erhofften Erfolg und Geldsegen bringen. So werden die beiden gerade wegen ihrer Unterschiede zur Schicksalsgemeinschaft, die die Unterschiede jedoch nicht zu überwinden in der Lage ist. Aus Rafael wird der erste schwarze Clown, Chocolat. Das Publikum lacht mehr über ihn als über Foottit, doch Foottit erhält dreimal so viel Gage.
Nix‘ Bühnenfassung ist eine Geschichte über Rassismus und über rassistisch definierte Klassen. Foottit bezeichnet seinen Zirkusdirektor als „Raubtierkapitalisten“, dem im Zirkuskontext aufgrund der wilden Tiere sogar noch eine tiefere Bedeutung innewohnt. Das rote Tuch einer Torero-Clownsnummer wird kurzerhand zur kommunistischen Fahne, die Foottit, das italienische Partisanenlied „Bella Ciao“ (natürlich auch eine Anspielung auf die letzte Spielzeit des Intendanten) schmetternd, durch die Lüfte schwingt. Das Zirkuszuckerpüppchen Claudel (Jana Alexa Rödiger – beweist ihre Alterslosigkeit mit ihrer mädchenhaften Stimme), das sich augenscheinlich in Rafael verliebt hat, wird von der Frau des Zirkusdirektors (Heinke Hartmann – überzeugend hysterisch, was wohl ein wenig auf die Stimme schlug) als „Schokoflittchen“ beschimpft. Wie Kostüm und Maske ist auch die rassistische Ausdrucksweise zeitgemäß. Während Kostüm und Maske die Zuschauer eher nostalgisch werden lassen, führt der offene Rassismus unmittelbar vor Augen, dass der Zirkus niemals „heile Welt“ war.
Das Unerwartete
Das Nostalgie-Feeling setzte sich in der Pause der Vorstellung fort. Durch den Einbruch der Dämmerung – oder waren es doch schwarze Wolken? – entfalteten nun auch die über das ganze Gelände gespannten Lampions ihre Wirkung. Doch schon spürte man die ersten Regentropfen auf der Haut und das ‚Premierenunglück‘ nahm seinen Lauf. Die letzten Gäste schickten sich an, angesichts des aufkommenden Windes, ihre Plätze im Zelt einzunehmen und im Nu tobte draußen ein sintflutartiger Sturm. „Das Unerwartete“, das Olli Hauenstein als elementaren Teil des Gags beschreibt und das gerade zu dem verdutzten Gesichtsausdruck führt, den dann andere Menschen Foottit zufolge lustig finden, trat ein. Zunächst pfiff nur der Wind durch die Zeltplanen, aber der Regen prasselte sosehr auf das Zeltdach, dass kein Wort in der Manege mehr zu verstehen gewesen wäre. Keyboarder Thomas Förster spielte unermüdlich dieselbe nicht enden-wollende Melodie, um das Unwetter zu übertönen. Spielte nicht auch der Pianist auf der Titanic bis zum Untergang? Schließlich kam die Ansage, die Vorstellung würde unterbrochen, aber bei Besserung der Wetterverhältnisse fortgesetzt. Ganz in Zirkusdirektorenmanier ließ Christoph Nix sich nicht entmutigen und gab der Band, die über dem Eingang zur Manege platziert war, mit einem Fiedel-Gestus zu verstehen, dass sie nun für Stimmung zu sorgen hätten und so taten sie dann auch ohne eine Miene zu verziehen und avancierten unerwartet zu den Hauptakteuren des Abends. Es wurde geklatscht und getanzt. Anne Simmering, die ihren Auftritt im Stück bis dato nicht hatte, stellte mit Chansons ihre Bombenstimme unter Beweis, doch das Zelt lief ungehindert voll. Weil das Wasser Kostüme und Technik ruiniert und obendrein das Spielen unmöglich gemacht hätte, wurde die Veranstaltung letztlich abgebrochen. Ein Cliffhanger schon nach der Pause!
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The Show Must Go On
Selbstverständlich können die Karten gegen Karten für diese Vorstellung an anderen Terminen eingetauscht werden. Die erste Halbzeit lässt Großes erahnen. Auch die zweite Halbzeit war – in anderer Hinsicht – aufschlussreich. Das ganze Team und damit meine ich auch Familie Bügler vom Circus Salto-Mortale, die das Zelt, Artistikeinlagen und tierische Darsteller verantwortet, hat diese meteorologische Herausforderung mit Bravour gemeistert und, das war zumindest mein Eindruck, schlimmere technische und andere Schäden verhindert. Alle Beteiligten wirkten wie eine große Familie, die zusammenhält, wenn es hart auf hart kommt. Spekulationen über tiefgreifende Auseinandersetzungen im Konstanzer Theater, wie sie von der Tagespresse aktuell betrieben werden, scheinen vor diesem Hintergrund haltlos. Die Inszenierung des Trios Zurmühle, Hauenstein und Nix verspricht ein Spektakel, bei der alle – Darsteller, Musiker, Techniker und Organisatoren – ihr Bestes geben, um die Zuschauer mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die Geschichte Rafael Padillas, des ersten schwarzen Clowns, blicken zu lassen.
Franziska Spanner (Foto: Theater Konstanz, Bjørn Jansen)
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