Verrat, Musik und (kalter) Krieg
Er studierte bei Schönberg und hat Arbeiterlieder geschrieben, er arbeitete mit Bert Brecht und Cary Grant. Er wurde von Hitler und Nixon vertrieben, für den Oscar nominiert und hat eine deutsche Nationalhymne komponiert. In einem Konzert an diesem Sonntag erklingt u.a. sein Divertimento – die Rede ist von Hanns Eisler, einem der wichtigsten linken Komponisten. Aus diesem Anlass hier (s)eine außergewöhnliche Geschichte von Musik, Geschwisterliebe, Verrat und politischer Verfolgung.
Hanns Eislers Freund Chaplin behauptete über seine Familie, dort gehe es zu wie in den Königsdramen von Shakespeare, und damit hat er keineswegs übertrieben: Eislers Leben wie das seiner Geschwister ist an abenteuerlichen Höhen (und vor allem Tiefen) kaum zu überbieten und durch die politischen Tragödien und Verbrechen des 20. Jahrhunderts gezeichnet.
Eislers Vater war ein zwar bekannter, aber armer Philosoph (einen „linksliberalen Neukantianer“ nannte ihn Hanns), der sich als Privatgelehrter durchschlug und auf einen langen Stammbaum unter anderem von Rabbis und Händlern verweisen konnte. Seine Mutter hingegen entstammte einer schwäbischen Bauern- und Metzgerfamilie.
Ein Autodidakt
Hanns Eisler, der 1898 geboren wurde, hatte – und das sollte sein Leben mitprägen – zwei Geschwister: Elfriede (*1895) und Gerhart (*1897). Alle drei Geschwister tendierten schon in ihrer Schülerzeit vor dem ersten Weltkrieg in Wien politisch nach links, verkehrten in den entsprechenden Kreisen und waren schon als Pennäler der Polizei verdächtig. Hanns, der früh musikalisches Interesse und Talent zeigte, aber aufgrund des heimischen Geldmangels keinen Zugang zu Unterricht oder einem Klavier hatte, soll trotzdem schon seit seinen Teeniejahren autodidaktisch komponiert haben. Erste erhaltene Werke des – trotz seiner kleinen, eher runden und wenig sportlichen Figur – begeisterten Fußballspielers gehen auf das Jahr 1917 zurück, als er im Schützengraben saß und bereits zweimal wegen Befehlsverweigerung bestraft worden war.
Für seine beiden Geschwister war das Kriegsende die Zeit ihres endgültigen politischen Durchbruchs: Die Schwester war im November 1918 in Wien Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs, Bruder Gerhart wurde Redakteur der Zeitschrift „Kommunist“, und auch Hanns bewegte sich in diesem Umfeld.
Schönberg als Lehrer
Eisler hatte 1919 allerdings eine andere Begegnung, die sein Leben entscheidend prägen sollte: Er wurde Kompositionsschüler von Arnold Schönberg, dem Neutöner, dem Umstürzler der abendländischen Musiksprache, der auch ein ungewöhnlich erfolgreicher Kompositionslehrer war. In Schönbergs (er ließ sich als „Meister“ ansprechen) strengem Unterricht wurden Bach, Beethoven und Brahms gepaukt, dass die Schwarte knackte.
Hanns, der aufgrund seiner Armut von Schönberg unentgeltlich unterrichtet wurde, entwickelte sich zu einem Lieblingsschüler und wurde vom Meister schon früh gefördert. Wie Schönberg selbst und Anton Webern, eine andere zentrale Lichtgestalt der zweiten Wiener Schule, wurde Eisler Leiter von Arbeiterchören, was zwar schlecht bezahlt war, aber ungemein lehrreich. Man kann sich heute die Stärke der Arbeiterchorbewegung jener Jahre nicht mehr vorstellen; es gibt Schätzungen, dass in den zwanziger Jahren in Deutschland etliche hunderttausend Arbeiter in Chören aktiv waren, auch wenn es noch an einem geeigneten Repertoire fehlte, das sich dem bürgerlichen Chorwesen entgegensetzen ließ. Schönberg sorgte auch dafür, dass Eislers Klaviersonate op. 1 im Jahr 1923 aufgeführt und gedruckt wurde. Diesem Werk hört man noch heute deutlich an, aus wessen Stall es stammt, denn es setzt auf Knappheit und maximalen Ausdruck – wie Schönberg und Webern. Eine Aufnahme mit Notentext findet sich übrigens hier.
Der Reaktionär als Revolutionär
Eisler blieb Schönberg Zeit seines Lebens dankbar, vor allem dafür, dass der ihm die Augen für die Bedeutung der Klassiker öffnete und ihm in vorbildlicher Weise die handwerklichen Grundlagen des Komponierens vermittelte (wofür Schönberg berühmt war). Wie nahe er seinem Meister in seinen Schülerjahren 1919-1923 stand, beweist auch das Divertimento für Bläserquintett, das das aus Mitgliedern der Südwestdeutschen Philharmonie bestehende Miroir-Quintett am Sonntag im Inselhotel spielen wird. Das Werk wurde 1923 zwölftönig geschrieben; es entstand etwa gleichzeitig mit Schönbergs Bläserquintett op. 26, also in jenem historischen Augenblick, in dem Schönberg selbst noch erste Schritte mit der von ihm entwickelten neuen Kompositionstechnik unternahm.
Zu Schönbergs 50. Geburtstag 1924 notierte Eisler weitblickend in einem Beitrag „Arnold Schönberg, der musikalische Reaktionär“: Schönberg „schuf sich ein neues Material, um in der Fülle und Geschlossenheit der Klassiker zu musizieren. Er ist der wahre Konservative: er schuf sich sogar eine Revolution, um Reaktionär sein zu können.“ Das deutet voraus auf die berühmte Arbeit Schönbergs, der 1933 den als reaktionär geltenden Brahms zu dessen 100. Geburtstag als „Progressiven“ verherrlichte. Die Neutöner waren sich auf jeden Fall der Dialektik der Musikgeschichte nur zu bewusst und setzten sich intensiv mit der Tradition auseinander.
Politisch allerdings sollten Schönberg und Eisler nicht übereinkommen, Schönberg war zwar ein ästhetischer Revolutionär, aber politisch höchst bürgerlich.
Die KPD und Ruth Fischer
In den frühen zwanziger Jahren verlagerte sich der Lebensmittelpunkt der drei Eisler-Geschwister nach Berlin. Schwester Elfriede nannte sich jetzt Ruth Fischer, war eine Größe des linken Flügels der KPD und wurde 1924/25 Vorsitzende des Politischen Büros des Zentralkomitees der KPD und damit die Nummer eins der Partei, vielleicht sogar die erste Frau an der Führungsspitze einer Massenpartei. Sie war Reichstags- und preußische Landtagsabgeordnete und in der Kommunistischen Internationale aktiv.
Allerdings währte ihre Karriere nur kurz, denn sie geriet wegen „ultralinker Abweichungen“ in die Kritik. Am 1. September 1925 wurde sie von Ernst Thälmann abgelöst. Kurz darauf ging sie nach Moskau, wo sie Stalin traf und (angeblich unfreiwillig) für zehn Monate im Hotel „Lux“ blieb. Im August 1926 wurde sie aus der Partei ausgeschlossen und ging in Opposition zu Stalin, hoffte aber immer noch auf eine Wiederaufnahme in die KPD, verschwand dann aber aus der Öffentlichkeit, um nach Hitlers Machtergreifung mit Trotzki zusammenzuarbeiten. 1936 wurde sie deshalb in Abwesenheit in Moskau zum Tode verurteilt. Sie ging in die USA und wandelte sich zu einer glühenden Antikommunistin – und das sollte für ihre Brüder noch üble Folgen haben.
Das Missing Link Hanns Eisler
Eislers Musik wurde in der Zwischenzeit immer politischer, er begann etwa, Zeitungsausschnitte zu vertonen, wobei er gelegentlich auch Zwölftontechniken verwendete, und setzte sich auch durch immer mehr Kompositionen für Arbeiterchöre vom bürgerlichen Konzertbetrieb ab. Er schreibt als Musikkritiker für die kommunistische Presse und befreundet sich unter anderem mit seinem entfernten Verwandten Egon Erwin Kisch sowie mit Bert Brecht, mit dem er ab Ende der zwanziger Jahre dauerhaft zusammenarbeitet. Eisler sucht nach einer neuen Musikästhetik, etwa wenn er für einen Chorsatz „Lied der Arbeitslosen“ die Gesangsanweisung gibt: „Zigarette im Mundwinkel, Hände in den Hosentaschen, lässige, etwas gebeugte Haltung, leicht gröhlend, damit es nicht zu schön klingt und niemand erschüttert wird.“
Außerdem beginnt er, als Filmkomponist zu arbeiten. Eine bekannte Arbeit ist seine Musik zu „Kuhle Wampe“, er komponiert aber auch für den linken Dokumentarfilmer Joris Ivens, unter anderem auch die avancierte Filmmusik „Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben“. Eisler ist das angeblich unmögliche Verbindungsglied zwischen Schönbergs Avantgarde und massentauglicher Musik und experimentiert immer wieder mit der Zwölftönigkeit, an der er die Möglichkeit zu radikaler Verschlankung und Konzentration musikalischer Gedanken schätzt.
Knapp am Oscar vorbei
Nach Hitlers Machtergreifung landet Eisler schließlich auf Umwegen in der Emigrantenkolonie bei Los Angeles, wo man sich kennt oder kennen lernt, und in den USA entsteht dann auch früh das Werk, das er selbst am meisten schätzt, seine „Deutsche Sinfonie“ , eine Mischung aus Agitation und Avantgarde. Er arbeitet aus finanziellen Gründen als Filmkomponist in Hollywood und wird zweimal für den Oscar nominiert. Thomas Mann, Bloch, Adorno, Schönberg, Chaplin, Feuchtwanger, hier sitzt auf engstem Raum alles zusammen, was irgendwie linksintellektuell ist, und befreundet (oder verfeindet) sich.
Nixon contra Eisler
Am 18. Februar 1947 hielt Richard M. Nixon, der spätere US-Präsident, seine Antrittsrede im Kongress und stellte den „Fall Eisler“ in den Mittelpunkt. Damit meinte er Gerhart Eisler, der wie seine Geschwister in den USA gelandet und in den Augen Nixons ein unversöhnlicher Feind der USA war. Das FBI wurde aktiv, und Ruth Fischer, die ehemalige KPD-Funktionärin und glühende, lautstarke Antikommunistin, wurde mit großer Begeisterung Kronzeugin gegen ihren Bruder Gerhart.
Das Komitee für unamerikanische Umtriebe (House Committee on Un-American Activities, das übrigens nichts mit McCarthy zu tun hat), wurde 1934 vom Repräsentantenhaus eingerichtet, um Nazis in den USA auf die Pelle zu rücken. Nach dem Krieg wurde es dann gegen Linke aktiv. Am 11. Mai 1947 vernahm dieser Ausschuss, dem auch Nixon angehörte, Hanns Eisler erstmals, und wiederum spielte seine Schwester Ruth Fischer dabei eine unrühmliche Rolle – bereitwillig erzählte sie dem FBI, ihr Bruder Hanns sei von Moskau in die USA geschickt worden. Im September gab es dann öffentliche Verhöre, in denen es darum ging zu zeigen, dass „Herr Eisler der Karl Marx des Kommunismus auf musikalischem Gebiet ist, und das weiß er ganz genau.“ Eisler darauf: „Ich wäre geschmeichelt.“
Komponist einer deutschen Nationalhymne
Eisler wurde aus den USA ausgewiesen, erfuhr aber prominente Solidaritätsbekundungen. Es gab ein Abschiedskonzert mit Leonard Bernstein, und Picasso, Matisse, Cocteau, Thomas Mann, Einstein und andere erklärten sich mit ihm solidarisch. Der Rest ist bekannt: Eisler, der weiterhin österreichischer Staatsbürger geblieben sein soll, zog in die DDR. Er, der zweimal für den Oscar nominiert war (1943 für „Hangmen Also Die!“ und 1944 für „None But the Lonely Heart“ mit Cary Grant), wurde Komponist der Nationalhymne der DDR.
Als er 1962 stirbt, ist er einer der ganz wenigen, vielleicht sogar der einzige Avantgarde-Komponist, für den sich der Traum Schönbergs erfüllte, dass nämlich seine Melodien auf der Straße gepfiffen wurden. Davon gab es einige, und mit dem „Einheitsfrontlied“, mit einem Text von Brecht, hat Eisler einen echten Welthit geschrieben:
Drum links, zwei, drei! Drum links, zwei, drei!
Wo dein Platz, Genosse, ist!
Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront,
weil du auch ein Arbeiter bist.
Miroir Quintett: Divertimento
Sonntag, 02.12.2018, 11.15 Uhr, Inselhotel, Auf der Insel 1, D-78462 Konstanz
Programm:
Franz Danzi 1763 – 1826, Quintett B-Dur op. 56 Nr. 1
György Ligeti 1923 – 2006, Sechs Bagatellen für Bläserquintett
Hanns Eisler 1898 – 1962, Divertimento für Bläserquintett op. 4
Claude Taffanel 1844 – 1908, Quintett g-Moll
Karten 18 Euro / erm. 14 Euro
Konzertkarten sind bei der Südwestdeutschen Philharmonie (9.00 Uhr bis 12.30 Uhr), dem Stadttheater Konstanz (07531 900-150) und bei der Tourist-Information am Hauptbahnhof sowie allen Ortsteilverwaltungen erhältlich. Karten gibt es auch hier im Internet.
Kombikarte Konzert & anschließendes Essen im Inselhotel: 50 Euro beim Veranstaltungsbüro des Inselhotels, Telefon 07531/125 466.
Text: Harald Borges, Foto: Miroir Quintett/Südwestdeutsche Philharmonie
Quellen:
Hennenberg, Fritz: Hanns Eisler, Reinbek 1987.
Kessler, Mario, Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895-1961), Köln/Weimar/Wien 2013.