Viel Lärm um so ein Theater

Am Freitagabend feierte das bereits im Vorfeld berühmt-berüchtigt gewordene Stück „Mein Kampf“ von George Tabori in der Inszenierung Serdar Somuncus im Konstanzer Stadt­theater Premiere. Da ich mich selbst als friedliebenden Menschen bezeichnen würde, war mir nach den hitzigen Debatten der vergangenen Tage eigentlich die Lust auf diesen Theaterbesuch vergangen und ich hatte sprichwörtlich ein wenig Bauchweh beim Gedanken an diesen Abend. Doch die Karte war bereits reserviert, der Artikel zugesagt – also was soll’s – hinein ins Getümmel.

Das Empfangskomitee bestand aus einem SWR-Wagen, zahlreichen Film- und Fotokameras, Leuten mit riesigen Mikrofonangeln und skandalgierigen Journalisten, denen die Kleinstadt am Bodensee sonst nicht einmal eine Fußnote wert ist. Wahrscheinlich waren innerhalb von fünf Jahren Konzilsfeierlichkeiten nicht einmal halb so viele auswärtige Journalisten in Konstanz wie an diesem einzigen Abend. Insofern kann man getrost sagen, wenn diese Hakenkreuz- vs. Davidsternanstecker-Sache ein Marketing-Gag gewesen sein soll: Check! Kulturbürgermeister Osner (Bild im Teaser), der ja schon immer besondere Sympathien für das Theater Konstanz, insbesondere den Intendanten, hegt, ließ es sich nicht nehmen, in Schlips und Kragen vor dem Haupteingang zu posieren und den Journalisten lang und breit zu erklären, warum er das Stück nicht besuchen werde. Hierbei erweckte er den Anschein, als hätte er mehr Mühen darauf verwendet, sich für den Nicht-Besuch heraus zu putzen als wenn er das Haus tatsächlich besucht.

Wo sind eigentlich die Nazis?

… fragten sich sicherlich einige Theaterbesucher. Bereits als ich ankam, entdeckte ich eine abseits stehende Runde junger Männer, teilweise mit auffälligen Tätowierungen. Ein Freund meinte anschließend zu mir, das sei eine Gruppe Identitärer. Letztendlich weiß ich es nicht, schließlich habe ich sie nicht nach ihrer politischen Gesinnung gefragt. Kurz nach dem Entdecken der vermeintlichen Nazis erklärte jedenfalls ein Mann neben mir in gut hörbarer Lautstärke seiner Begleitung, dass das hier ja „der beschaulichste Ort der Welt“ sei und die Befürchtungen, dass hier „Nazi-Rudel“ auflaufen einfach „lächerlich“ seien.

Outen‘ konnte sich letztendlich niemand, da die Aktion des Symbol-Anheftens, die kurz vor Beginn der Vorstellung geplant war, wohl aufgrund des öffentlichen Drucks nicht stattfand. Zwei junge Frauen, vermutlich Studentinnen, unterhielten sich im Foyer mit zwei älteren Herren – eine Situationsbekanntschaft – wobei eine schließlich in ironischem Tonfall in die Runde warf: „Wir sind gratis reingekommen, also wissen Sie ja, was wir denken.“ Gefolgt von allseitigem Gelächter. Zwei ältere Damen diskutierten in lockerer Atmosphäre über die Kontroverse. Eine davon – selbst mit einem Pulse-of-Europe-Button gerüstet – lobte den Mut des Theaters für diese Idee. Sie hätte bereits in ihrem Bekanntenkreis angeregte Diskussionen darüber geführt und habe dabei festgestellt, wie viele Gedanken sich jeder Einzelne über die Symbolik und überhaupt über den Besuch des Theaters gemacht habe. Als der Bühnenraum in einer Szene verdunkelt und das Publikum mit Schwarzlicht angestrahlt wurde, um Gretchen die Möglichkeit zu geben, zu zählen „wie viele sie denn schon seien“, zählte Gretchen-Darstellerin Laura Lippmann ins Leere und kam dabei auf zwanzig. Irgendwie komisch, wenn es nichts zu zählen gibt.

Mehr als Flachwitze?

Das Stück selbst begann mit einer etwa halbstündigen Verzögerung, nicht allerdings wie der Südkurier berichtete – aufgrund „nicht öffentlich genannter Gründe“ -, sondern schlichtweg, weil ein Beamer explodiert war. Die erste Hälfte der Farce, in der Schlomo Herzl alias Thomas Fritz Jung den Flegel mit der schlechten Kindheit, Adolf Hitler alias Peter Posniak, aufnimmt und ihm seine Menschenliebe sowie Ideen für dessen politische Karriere schenkt, war gespickt von wahrlich satirisch-zynischem Humor der doch zu dem ein oder anderen Lacher im Publikum führte – aber auch einigen unpointierten Flachwitzen. Einen ersten Höhepunkt des Stücks bot wohl Hitlers wilde Partynacht, in der Peter Posniak auf der Bühne zu Helene Fischers „Atemlos“ Hüllen und Hemmungen fallen ließ und dabei sein Disko-tänzerisches Können unter Beweis stellte.

Doch die locker-satirische Darstellungsform schlug in bitterböse Realität um, als Gretchen auf der Bühne ein „Flüchtlingskind“ gebiert. Da wusste der ganze Saal: Frau Lippmann hat ein Wahnsinns-Organ! Die Figur des Faust’schen naiven Gretchens in Somuncus Inszenierung stellt eine Personifizierung des von rechten Hetzern vereinnahmten deutschen Volkes dar. Oben ohne auf der zweiten Etage eines Stockbetts sitzend, lässt sie Aussagen vom Stapel wie „Im KZ gibt’s doch grüne Wiesen, da gehen Leute joggen!“ oder „Die hatten Längsstreifen an. Schau dich mal um! Das ist voll in jetzt“. Später betrachtet sie im Dirndl mit dem zum Führer avancierten Hitler die Verprügelung Schlomos wie eine Daily-Soap.

Peter Posniak spielte sich als Hitler um Kopf und Kragen und lavierte wunderbar sprachlich sowie gestisch zwischen dem verunsicherten Jungen und dem diktatorischen Demagogen. Auch Thomas Fritz Jung konnte die innere Ruhe des Schlomo Herzls dem Publikum bis zum Schluss vermitteln. Deren tadellose schauspielerische Leistung konnte dennoch nicht über die eher unspektakuläre Erzählung selbst hinwegtrösten. Wer aufgrund des Aufruhrs im Vorfeld mit großen Erwartungen ins Theater ging, wurde nachgerade enttäuscht.

Was bleibt?

Am Ende stürzten sich die Journalisten aus TV und Rundfunk regelrecht auf die Zuschauerinnen und Zuschauer, um in Erfahrung zu bringen, wie das Stück ankam. Bei einem letzten Endes doch eher durchschnittlichem Stück eigentlich völlig umsonst – noch dazu, wenn der ursprüngliche Grund des Aufruhrs wegfällt. Gegen Ende des Stücks regnete es Davidsterne zum Aufkleben und zerteilte Hakenkreuze von der Decke – die Reste der eigentlichen Inszenierung? Der Großteil davon blieb wohl im Zuschauerraum liegen. Einige nahmen die Davidsterne mit, doch auch davon landeten welche im No-Nazis-Papierkorb neben dem Ausgang.

Das Stück gab keine Meinung zum ‚Wiederkäuen‘ vor und eine mit dem (Nicht-)Kauf mitgelieferte Haltung wurde nun doch nicht angeboten. Besonders keine antisemitische. Zu Recht wird hier vom Publikum auch eine gewisse Eigenleistung und der Einsatz persönlicher moralischer Kompetenz erwartet, um die Handlung der Groteske und die reellen Geschehnisse zu beurteilen. Wie Georg Lind bereits vor wenigen Tagen an dieser Stelle meinte, ist Moral- und Demokratiekompetenz eine Sache, die oft gelernt werden muss und leider selten gelehrt wird. Doch allein eine Anregung zur Selbstreflexion anzubieten, ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung. Die Kunstfreiheit ist ein spannungsgeladenes Grundrecht, das seine Grenze in der Würde anderer findet. Damit Kunst ihre Funktion erfüllen kann, muss sie hin und wieder unbequem sein. Diese Pluralität erträgt eine gesunde Demokratie und wahrt zugleich die Rechte von Minderheiten. Kunst, über die es sich nicht zu diskutieren lohnt, kann weg.

Eine ältere Dame teilte auf dem Nachhauseweg ihrer Begleitung mit, sie sei von der partiellen Nacktheit Gretchens nicht besonders begeistert gewesen, wisse jedoch nicht, ob sie nicht einfach ein wenig zu prüde sei. Wenn also dem Theater mit dem Stück eines gelungen ist, dann ist es der Anstoß einer Debatte um den Umgang mit der Vergangenheit, aber auch um den Umgang miteinander im Hier und Jetzt. Denn es liegt an uns und nicht an unseren Vorfahren, wie wir nun miteinander kommunizieren, um Erinnerungskultur nicht zu einem Ritual verkommen zu lassen, sondern aus den schrecklichen Verbrechen der Vergangenheit eine Lehre für unseren eigenen Umgang mit der Würde anderer zu ziehen.

F. Spanner