Vom „Alemannischen Montmartre“ in den Tunnel bei Livigno

Das 3. Literaturwochenende am Untersee begeisterte vor allem durch die Auswahl der Autoren und Vorleser. Im Turmhof in Steckborn und in den vier gastgebenden Privathäusern am Untersee entstand die anregende Atmosphäre literarischer Salons. Beim Apéro nutzten Künstler und Gäste die Möglichkeit zur direkten Kommunikation.

Frank Lettenewitsch, Schauspieler am Theater Konstanz, entführte seine Zuhörer im 700 Jahre alten „Turmhof“ in Steckborn in die schillernde Welt des 1929 erschienenen Romans von Eduard Reinacher, „Bohème in Kustenz“. Der pfiffige Expressionist Kolomann muss am Ende Frau und Kind und den „Alemannischen Montmartre“ verlassen – nicht ohne die behäbigen Konstanzer gehörig an der Nase herum geführt zu haben.

Das „Alte Debrunnerhaus“ in Ermatingen war bis auf den letzten Klavierhocker besetzt, denn Astrid Keller, die bekannte Theaterkünstlerin, hatte sich das suchterzeugende Werk des Schweizer Erzählers Markus Werner, „Am Hang“, ausgesucht. Zwei Männer sitzen sich beim Essen gegenüber, der eine hält die Ehe für eine „glatte Überforderung der menschlichen Natur“, dem anderen war sie „Heimat“. Die Geschichte mündet am Ende in einen schrecklichen Verdacht.

Zur Sonntagsmatinée im Schlösschen „Breitenstein“ war der Autor Peter Weber gekommen. Er stellte sich mit dem Satz vor, „manche schreiben im Laufe der Jahre Wälzer, andere kargen wenige Sätze aus.“ Schon nach einer halben Buchseite war klar, dass Weber nicht zu den ersteren gehört. In seinem Roman, „Die melodielosen Jahre,“ stösst er sprachlich auf Ebenen vor, die traditionellen Erzählern verschlossen bleiben. In dem 2007 erschienenen Werk wollte die Katze mit den hellblauen Augen der Romanfigur Oliver „die Wörter aus den Fingern beissen… sie frass Wandelwörter skizzenfrisch und zeigte die Krallen.“ Der harte Kern der Gäste verabschiedete sich von diesem faszinierenden Sprachkünstler erst nach halbzwei Uhr – es waren wunderbare 150 Minuten.

Der Sonntagnachmittag klang im „Haus Rosenau“ in Tägerwilen aus. Die weißen, sonnendurchfluteten Räume im Herrschaftshaus der ehemaligen Mühle fassten kaum die zahlreichen Besucher. Der Schauspieler Jaap Achterberg aus Zürich las eine Geschichte aus dem Erzählband „Der Normalsprecher“ von Jens A. Koemeda, der im Frühjahr erscheinen wird. Die dramatische Situation spielt im Straßentunnel bei Livigno. Als der Motor streikt, schlägt die Bedrohung in immer höheren Wellen über dem Autofahrer zusammen. Die kalte Angst packt ihn. Die Erzählung endet in einer überraschenden Wendung, die hier nicht verraten werden soll.

Autor: red