Vom deutschen Verhängnis

Kann ein Orchesterkonzert politisch sein? Was verbirgt sich hinter dem programmatischen Titel „Wunderhorn“ – wirklich nicht mehr als spätromantischer orchestraler Wohlklang aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Doch, es steckt mehr dahinter, denn wenn die Südwestdeutsche Philharmonie in ihrem Oktober-Konzert Strauss, Marx und Mahler spielt, geht es dabei auch um Verfemte, Mitläufer und Profiteure des Nationalsozialismus. Zumindest, wenn man seine Ohren ein wenig aufsperrt.

Der Südwestdeutschen Philharmonie ist mit ihrem Oktober-Konzert ein programmatisches Glanzstück gelungen, denn die drei Komponisten, die das Orchester unter der Leitung von Michael Hofstetter zusammen mit der vielgelobten Sopranistin Sarah Wegener (Foto) als Solistin spielt, stehen im Spannungsfeld zwischen musikalischer Romantik und Anbruch der Moderne. Während Mahler, der Progressive, nach 1933 verboten war, gelang es Joseph Marx (nicht mit dem Komponisten Karl Marx zu verwechseln) und Richard Strauss mit unterschiedlichen Taktiken, auch nach 1933 im Musikbetrieb präsent zu bleiben und sich im Tausendjährigen Reich halbwegs wohnlich einzurichten. Die Frage ist nur: Hört man das auch?

Exodus und Verbote ab 1933

Der von Hitler vergötterte Richard Wagner hatte bereits 1850 mit seiner Schrift „Das Judenthum in der Musik“ die antisemitische Stoßrichtung vorgegeben, und auf diesen Pfaden wurde der nationalsozialistische Musikbetrieb ab 1933 umgehend von jüdischen Klassikern wie Mendelssohn Bartholdy, Meyerbeer, Offenbach und Mahler befreit, über die man posthum begeistert Jauche kippen konnte.

Seit 1933 flohen auch zahlreiche Komponisten und ausübende MusikerInnen aus Deutschland, allen voran Schönberg, der Erz-Avangardist, der 1933 in Paris den jüdischen Glauben wieder annahm, dem er 1898 schon einmal abgeschworen hatte. Aber auch Kurt Weill, Hanns Eisler und Paul Hindemith verließen das Land, und Dirigenten wie Otto Klemperer, Bruno Walter und Kurt Sanderling mussten ihre Karrieren im Ausland fortsetzen. MusikerInnen allerdings hatten – anders als die auf ein deutschsprachiges Publikum angewiesenen Schriftsteller – teils gute Chancen, eine Karriere im Ausland zu beginnen, zumal wenn sie vor 1933 bereits international tätig gewesen waren und an alte Kontakte anknüpfen konnten. Durch diesen Exodus eröffneten sich aber auch den Daheimgebliebenen neue Karrierechancen – wie etwa Karl Marx (1897-1985), der wie manch anderer auch gern mal für HJ-Liederbücher und Nazi-Zeremonien komponierte.

Drei Komponisten, drei Karrieren

Gustav Mahler (1860-1911), dessen 4. Sinfonie die Südwestdeutsche Philharmonie in Konstanz und Radolfzell spielen wird, steht an der Schnittstelle zwischen Romantik und Moderne. Er war als Dirigent und Musikmanager ein internationaler Star, der zeitweise gar in New York tätig war, und hatte sich mit den Avantgardisten um Schönberg herum befreundet, die ihn offen verehrten.

Er wandelte zeitlebens künstlerisch auf neuen Pfaden, was ihm durchaus auch herzliche Feindschaften eintrug. Nicht nur wegen seiner Herkunft aus einer jüdischen Familie, sondern auch wegen seines Werkes galt er im Nationalsozialismus als dekadent, entwurzelt und Komponist eines „narkotischen Nirvanas“. Er war natürlich 1933-1945 verboten, und dieses Verbot dürfte neben seiner oft sperrigen Musik dazu beigetragen haben, dass Mahlers Sinfonien erst in den 1960er Jahren international als Klassiker durchgesetzt werden konnten.

Ganz anders hingegen der heutzutage weitgehend vergessene Komponist Joseph Marx (1882-1964), der in dem Wunderhorn-Programm der Südwestdeutsche Philharmonie mit einigen Orchesterliedern aus den Jahren 1908-1911 vertreten ist, auf denen sein ehemaliger Ruhm basierte. Er war, auch dank seiner Tätigkeiten an der Musikakademie und der Musikhochschule in Wien sowie der Arbeit in allen möglichen Verbänden, jahrzehntelang eine einflussreiche Person des österreichischen Musiklebens. Er stand bis zu seinem Tode kompositorisch mit beiden Beinen fest im 19. Jahrhundert, und seine Werke sind solide Gebrauchsromantik, wie sie sich allerspätestens mit dem 1. Weltkrieg erledigt hat. Er komponierte aber auch nach 1918 jahrzehntelang entschlossen im bisherigen Stil weiter an einer Musik, die sich oft anhört, als sei sie für einen Film gedacht, der aus gutem Grunde nie gedreht wurde.

Kein Wunder, denn Marx war wohl ernstlich von der Naturgegebenheit der abendländischen Tonalität überzeugt und hatte sich damit die musikalischen Scheuklappen denkbar eng eingedübelt. Nach dem Anschluss Österreichs biederte er, der musikalische Reaktionär, sich bei den Nazis an und wurde dafür reich belohnt: 1942 erhielt er etwa eine Ehrengabe von 4000 RM, was wahrlich kein Nasenwasser war, zumal es anderen wesentlich schlechter erging: Im selben Jahr wurde der Komponist Hans Krása („Brundibar“) nach Theresienstadt deportiert, und der Komponist Erwin Schulhoff starb in einem Lager. Joseph Marx hingegen konnte seine Karriere auch über den Weltkrieg hinaus fortsetzen und landete schlussendlich in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Der letzte Romantiker

Richard Strauss (1864-1949) hingegen stand für einige Zeit weltweit im musikalischen Rampenlicht und verkörperte anfangs einen musikalischen Aufbruch. Einige seiner Tondichtungen und vor allem seiner Opern (für die unter anderem Hugo von Hofmannsthal Libretti schrieb) erneuerten die jeweilige Gattung und wurden zu Welthits, die Strauss zu einem auch unter Komponisten bewunderten und ziemlich reichen Musiker machten: Weill und Bartók waren als junge Komponisten von Strauss beeindruckt, und selbst Schönberg hat Strauss um 1900 längere Zeit bewundert, sich als jüngerer Komponist an ihm orientiert und seine Anerkennung gesucht. Strauss, der bayerische Bürger, der über seine Mutter mit der Bierbrauerfamilie Pschorr verwandt war, konnte seinerseits mit der sich seit etwa 1908 ankündigenden musikalischen Moderne nichts anfangen und erwies sich zunehmend als Konservativer, der einem Neutöner schon mal geraten haben soll, er möge doch lieber Schnee schippen statt zu komponieren.

Noch 1933 war Strauss der international bekannteste deutsche Komponist und für die Nazis viel wert, da er nicht emigrierte. Er protestierte im April 1933 brav gegen Thomas Manns Essay „Leiden und Größe Richard Wagners“ und übernahm hohe Ämter und wichtige Dirigate unter den Nazis, die dafür bereit waren, ihn umfassend zu beweihräuchern. 1935 allerdings fing die Gestapo einen ziemlich despektierlichen Brief von Strauss an seinen exilierten jüdischen Librettisten Stefan Zweig ab, mit dem er insgeheim weiterhin Kontakt hielt. Goebbels war not amused und Schluss war’s mit dem Weihrauch. Strauss hatte zwar keine persönlichen Konsequenzen zu befürchten, dazu war er zu berühmt, er wurde aber umgehend kaltgestellt.

Seine „Vier letzten Lieder“, die das Konzert der Südwestdeutschen Philharmonie eröffnen werden, schrieb Strauss 1948 auf Texte von Hesse und Eichendorff. Natürlich stehen sie noch in einer ungebrochen romantischen Tradition und sind damit ein Anachronismus, weil Jahrzehnte zu spät dran. Sie sind der Schwanengesang eines ehemals großen, jetzt nur noch alten Mannes, der seine besten Jahre längst hinter sich hat, hier aber noch einmal kompositorisch zu ergreifender Höchstform aufläuft. Aber sie sind zugleich viel mehr als Strauss‘ privater Abschied, und das macht sie besonders anrührend: Sie sind nach 150 Jahren der finale Abgesang auf die Romantik – nur wenige Jahre nach dem Ende der großen deutschen Finsternis.


Mittwoch, 19. Oktober 2016, 20 Uhr, Konzil Konstanz
Freitag, 21. Oktober 2016, 20 Uhr, Konzil Konstanz
Samstag, 22. Oktober 2016, 20 Uhr, Milchwerk Radolfzell
Sonntag, 23. Oktober 2016, 18 Uhr, Konzil Konstanz
Einführungsvortrag eine Stunde vor Konzertbeginn.
Einzelkarten und Abonnements gibt es unter anderem hier:

Südwestdeutsche Philharmonie, Mo.-Fr. 09.00-12.30 Uhr, Tel. +49 7531 900-816
philharmonie-karten@konstanz.de

Stadttheater Konstanz, Mo.-Fr. 10.00-19.00 Uhr, Sa. 10.00-13.00 Uhr, Tel. +49 7531 900-150, theaterkasse@konstanz.de

Tourismus- und Stadtmarketing Radolfzell GmbH, Tel. +49 7732 81-500

Karten, Konzertkalender und weitere Informationen auch im Internet: www.philharmonie-konstanz.de

Literatur: Michael H. Kater, Die mißbrauchte Muse. Musiker im Dritten Reich, München/Wien 1998; Michael H. Kater, Komponisten im Nationalsozialismus. Acht Porträts, Berlin 2004; Fred K. Prieberg, Musik im NS-Staat, Frankfurt 1982; Willem de Vries, Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940-45, Köln 1998.
Zu Joseph Marx eifernd und nur mit Vorsicht zu genießen: http://www.joseph-marx.org/

Harald Borges / Foto: Simon Wagner