Vorteile der zweiten Klasse
Letztlich sind wir in der Erinnerung immer der Andere. Der Weg zurück ermüdet auch ihn.
Wir umkreisen die Dinge, mit diesem kubistischem Blick. Schreibt auf seine ganz eigene und unverwechselbare Art Gerd Zahner, Rechtsanwalt und erfolgreicher Bühnenautor, nachdem er die 25 autobiographischen Erzählungen des Konstanzer Schriftstellers Peter Salomon gelesen hat.
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Eine Sache von allen Seiten zu sehen, vermischt die Ansicht und das Bild wird uns selbst dadurch immer fremder, weil das Erinnern sich wie ein kubistisches Bild verfremdet.
Dann denkt man Dinge hinzu, um eine Sache schlüssig zu machen, benutzt Worte, die Kindheit zu beschreiben, die man als Kind gar nicht kannte. Deshalb sind Erinnerungen so dünn wie Postkarten, auf denen die Schrift nicht mehr lesbar ist.
Salomon ist anders. Er kann es. Er kann sich erinnern.
Er schreibt 25 Geschichten über sich, fast über sich, erzählt aus Berlin, auf der Reise, Freiburg, er erzählt über die Welt, in die man geboren, und über die Welt, die man sich ausgesucht hat. Jeder lebt in zwei Welten, immer.
1947 geboren, Nachkriegszeit, die Väter kehren zurück. Salomon lernt den Boxer Bubi Scholz kennen, als Schatten für einen Augenblick, der Vater ist der Ringarzt. Schattenboxen mit einem Schatten. Er sieht Thomas Mann von fern und wir sehen mit Peter Salomon das Gespenst des jungen Deutschlands.
Beckett in Berlin spricht ihn an und gibt ihm ein Rätsel.
1966 das Werkstatttheater des Schiller – Theaters in Berlin.
Schulklasse mit Deutschlehrer, und weil Salomon schweigt und zusieht, Beckett inszeniert Godot, sagt Beckett zu ihm nach der Diskussionsrunde: „Junger Mann, Sie haben geschwiegen; denken Sie daran: Alle laufen, aber nur einer erreicht das Ziel.“
Beckett hat Paulus aus den Korinthern zitiert, alle laufen, und vielleicht hat Beckett auf diese Art Peter Salomon das Geheimnis von Godot enthüllt. Nie laufen wir schneller, als wenn wir schweigen, denn Schweigen ist eine eigene Richtung. Godot ist das Schweigen, wenn andere reden und laufen.
Ich habe dieses Buch an einem Nachmittag gelesen. Man legt es nicht ab.
Salomon ist immer Beispiel, nie Schicksal.
Wie oft ist das erzählt, was er sagt, aber nie ruhiger, ein Weg.
Letztlich ist alles erzählt. Das war es schon vor dem Buch.
Die Art, wie es geschieht, diese gestochen, feinen Sätze, fügen Stein und Stein zu einem Motiv. Manchmal ist Erinnerung eine Predigt an sich selbst. Das Leben ist eine Kirche.
Jemand lebt darin sich von Berlin in den Süden und trägt alles mit sich, was ihm so bedeutend kam und wir, die wir es lesen, fangen an, uns selbst anzusehen und nach den Worten zu suchen, die wir als Kinder nicht kannten, als Jugendliche fluchten, um alles neu zu beschreiben und zu verstehen.
Es ist bemerkenswert, Lesen berührt immer noch.
Gerd Zahner
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Peter Salomon. Vorteile der zweiten Klasse. Sammlung Isele. Band 799