Wenn das Herz verrückt tanzt

Tanztheater Bild Bernd HentschelIm Spannungsfeld zwischen Sehnsucht und Unerträglichkeit verlieren sich die Lyrikerin Ingeborg Bachmann und der Schriftsteller Max Frisch Ende des 20. Jahrhunderts. Um die Beziehung vergeblich kämpfend, aber die Liebe niemals loslassend, begegnen sie sich im Tanz, im Blick und im Wort. „Man kann die Wahrheit nicht erzählen“ zeigt eine neue Facette der bekannten Künstlerbeziehung und macht die Liebe der beiden verständlich, ohne sie zu entzaubern. Ein Tanztheater nähert sich ab Ende Juli der Liebesbeziehung von Bachmann und Frisch.

Max Frisch und Ingeborg Bachmann waren in den 1950er Jahren das literarische Traumpaar: Faszinierend, strahlend, einzigartig – und doch war die Beziehung zum Scheitern verurteilt. So genial jeder der beiden für sich war, so unmöglich war es für die Genies, eine gemeinsame Wellenlänge zu finden.

Das Tanztheater „Man kann die Wahrheit nicht erzählen“ widmet sich der spannungsgeladenen Beziehung und will dabei nach dem suchen, was man niemals vollkommen ausfindig machen kann – die Wahrheit. „Wir können Ingeborg selbst nicht mehr fragen, wie es tatsächlich ablief, auch Max Frisch nicht. Und trotzdem stellen wir die Frage,“ bekräftigt Dramaturg Georg Kistner. Die Suche lohne sich in der Kunst definitiv, weil immer wieder neue Bruchteile und Facetten der Wahrheit zu entdecken seien.

[the_ad id=“94028″]Er und die Choreographin Judith Geibel sind vor fünf Monaten in die Tiefen der Werke beider Autoren abgetaucht. Entdeckt haben sie Anspielungen und Verweise auf den jeweils anderen und subjektive Beschreibungen der gemeinsamen Liebe. Diese Literatur und Lyrik bieten die textliche Basis für das Stück, die Inspiration kam jedoch durch den Ende 2022 erschienenen persönlichen Briefwechsel des Paars. Judith Geibel las ihn und erkannte sofort, dass diese Beziehung noch lange nicht auserzählt ist: „Jahrzehntelang haben sich Mythen und Legenden um diese Beziehung gerankt und Max Frisch war immer der Böse. Dieser Briefwechsel zeigt auf, dass zu einer Beziehung immer zwei gehören. Das war für mich der Anlass die literarischen Werke neu zu betrachten und diese Dynamik zwischen den Zweien in etwas Erlebbares zu übersetzen.“

Mit dem professionellen Tänzerpaar Elisa Dey und Levin Mischel erarbeitete die Choreographin eine Ebene der Erzählung, die nicht in Worte zu fassen ist. So werden die großen Konflikte und Explosionen der Gefühle im Tanz erzählt. Denn Geibel und Kistner wollen sich nicht an den kleinen inhaltlichen Vorwürfen der beiden Intellektuellen abarbeiten. Interessant sei vielmehr die Frage, woher die Aussagen in der Literatur über den jeweils anderen kommen: Sie sind entstanden aus einer prickelnden Chemie zwischen Bachmann und Frisch.

Wie sich zwei Menschen immer wieder anziehen und abstoßen, das zeigen Elisa Dey (ehemalige Schülerin der Palucca Hochschule für klassisches Ballett und zeitgenössischen Tanz) und Levin Mischel (Absolvent der Zürcher Hochschule der Künste und Tänzer am Landestheater Detmold) in ihrer körperlichen Kommunikation. Parallel, gewissermaßen als Alterego, verkörpert Cecilia Amann (Leitung der Uni-Bühne Konstanz) als Schauspielerin auf der Bühne Ingeborg Bachmann, die ihren Geliebten niemals wirklich erreichen kann.

Tanztheater Wolkensteinsaal Bild Bernd Hentschel

Dennoch wendet sie sich sehnsüchtig an die Bild- und Tonaufnahmen, in denen Georg Melich (Freischaffender Schauspieler, unter anderem am TAK Theater Liechtenstein) als Max Frisch, präsent aber niemals greifbar, auftritt. So hat das Tanztheater mehrere Erlebnis-Ebenen und einen multimedialen Erzählcharakter. Ingeborg spricht in Gedichten, Max Frisch drückt sich durch Passagen aus den Werken Montauk“ und „Meine Name sei Gantenbein“ aus. Daraus entsteht ein neuer Dialog, der mehr erzählt als die Werke an sich. Geibel und Kistner betonen, dass es nicht darauf ankomme, dass man die Texte von Bachmann oder Frisch bereits kenne. „Man kann definitiv auch etwas für sich mitnehmen, ohne die Autoren gelesen zu haben. Man erfährt etwas, lernt etwas kennen, trifft auf etwas Neues“ sagt Kistner. Das neue Erlebnis in dem 75-minütigen Stück ist tatsächlich das, was zwischen den berühmten Zeilen und um die verewigten Worte herum entsteht. Es ist letztendlich die Liebe, die diesem Tanztheater seine Seele gibt – eine vertraute Seele, denn jeder kennt ein wenig von diesem erfüllenden Gefühl aus seinem eigenen Leben.

Gleichzeitig deckt „Man kann die Wahrheit nicht erzählen“ die emotionale Fallhöhe auf, die jede echte Liebe fordert. Kistner sieht darin die Besonderheit des Stücks: „Man erfährt etwas über die Zerbrechlichkeit von Gefühlen, über die Ambivalenz von Gefühlen und auch über das Potential der Katastrophenhaftigkeit.“ Einerseits fügten sich Ingeborg Bachmann und Max Frisch unerträglichen Schmerz zu, andererseits gebe es etwas „Unbrechbares“ in dieser Beziehung, trotz und gerade wegen der Katastrophen und des tragischen Tods von Bachmann. Es gibt somit auch eine beruhigende, erleichternde und versöhnliche Wahrheit. Das alles bringen Geibel und Kistner an die Oberfläche und dennoch geben sie nicht vor, Bachmann und Frisch vollkommen erfasst zu haben: „Der Versuch zu sagen, so ist Liebe, ist lächerlich“, findet Kistner. Denn man könne immer nur ein Standpunkt sein, eine Erfahrung sein, persönlich sein. Nicht nur in der Liebe, sondern überall. Was auch in den 1950ern zwischen den beiden Größen der Literaturwelt passiert ist – die Wahrheit wird für immer in dieser Zeit versiegelt bleiben, trotz eines Briefwechsels, trotz der Werke. Leider? Nicht aus Sicht von Judith Geibel: „Die Wahrheit ist ja ein Geheimnis, das jeden Menschen umgibt. Der innere Kosmos in dem man lebt. Es ist etwas sehr Persönliches und Privates.“ Dieser Ansatz – das Geheimnis ein Geheimnis sein zu lassen – eröffnete erst den Raum für die Produktion des sensiblen Tanztheaters. Und wenn man sie lässt, zeigt sich die Wahrheit schließlich ganz von selbst, auf ihre Weise, so wie in diesem Stück.

Veranstaltungstermine: 29./30./31. Juli und 02./03./04./05. August, jeweils um 20:00 Uhr im Wolkensteinsaal des Kulturzentrums am Münster (Wessenbergstr. 43) in Konstanz. Karten gibt es im Vorverkauf bei der Buchhandlung Homburger & Hepp (Münsterplatz 7, Konstanz) für 21,- Euro und (sofern noch Plätze frei sind) ab 19:00 Uhr an der Abendkasse für 22 ,- Euro.

Text: Selma Badawi
Bilder: Bernd Hentschel