Wenn Hirn und Herz sich streiten
Auf der Studiobühne des Unitheaters in Konstanz UTK war das Stück „Weißalles und Dickendumm“ zu sehen. Im Rahmen einer Liebeskomödie werden Themen wie der Dualismus von Körper und Geist, aber auch verschiedene Formen der Liebe behandelt. Mit einem zu Unrecht selten inszenierten Stück gibt Regisseurin Anna Hertz ihren Auftakt als neue Leitung am UTK und wird mit donnerndem Applaus belohnt.
Wer kennt sie nicht, die Stimmen, die sich streiten? Das Herz sagt ja, der Kopf schreit nein, oder anders herum, manchmal weiß man es ja selbst nicht so genau. Daher ist es ebenso spannend wie auch unterhaltsam zu beobachten, wenn diese beiden Pole exakt differenziert und personifiziert werden: Während Weißalles (Leonie Hochgesand) sich in den Sphären von Wissenschaft, Philosophie, Kunst und Astronomie bewegt, ist für Dickedumm (Lukas Lautenschlager) einzig erheblich wo er das nächste Sandwich herbekommt. Der eine rational, der andere impulsiv, begeben sie sich auf eine Reise mit dem Ozeandampfer, Ozeandampfer, Ozeandampfer. Es geht zur Baronin (David Attenberger), die zum Fest geladen hat und Herr Weißalles ist ganz aus dem Häuschen. Alles muss perfekt geplant sein, die Garderobe muss stimmen und auch das Geschenk will sorgsam ausgewählt sein, um seiner Verehrung für die Dame gebührend Ausdruck zu verleihen. Und wie könnte man das Herz einer erhabenen Dame besser erobern als mit Musik?
Dickedumm, der Herrn Weißalles als Diener zur Hand geht, soll also ein Geigensolo einüben und die erste Begegnung der künftig Liebenden begleiten. Soweit der Plan. Doch wie so oft ist das Leben eben das, was passiert, während man eifrig Pläne schmiedet und auch der hochgeistige Weißalles ist vor diesem Phänomen nicht gefeit. Als die Baronin das Ständchen hört, verliebt sie sich nämlich augenblicklich in den vermeintlichen Verehrer: Dickedumm. Und obwohl sie einen sjehr ungjewöhnljchen Jakzjent jat, verliebt sich dieser auch in sie – immerhin gibt es Schokolade. Das Drama nimmt seinen Lauf.
Was aber ist denn die Liebe?
Es beginnt eine Reise zu verschiedenen Liebeskonzepten. Während Dickdumm jemanden liebt, sofern er selbst geliebt wird, hat Weißalles eine genaue Vorstellung über die Eigenschaften, die eine zu liebende Person haben sollte. Hinzu kommt die Theorie, dass es weder auf die Persönlichkeit noch auf die Fähigkeit zu lieben ankommt, sondern einzig auf das Timing. Und schließlich wird gezeigt, welche Ausmaße das Scheitern der Liebe haben kann: krankhafte Limerenz bis hin zum Mord.
Warten auf Godo meets Alice in Wonderland
So finden die beiden Protagonisten irgendwann doch zusammen: im Liebeskummer. Gemeinsam gehen sie durch eine Wüste und sinnieren über das Dasein. Hier hätte das Stück ein stringentes Ende gefunden: gleiches Bild wie zu Beginn, Dickedumm und Weißalles sitzen am Tisch und unterhalten sich – zu Beginn in Konfrontation, nun im einheitlichen Zweifel an der Menschheit und aller Existenz. Das wäre doch eine runde Sache gewesen! Doch es geht weiter und das Stück driftet ab in eine herrlich absurde Welt des Dadaismus. Während man sich kurzzeitig fragt, was denn nun diese ganzen Engel da so treiben und man den Wald vor lauter Tannen kaum mehr sieht, findet sich die Antwort spätestens in dem hervorragenden Schlussbild: bunt, trashig und orgienhaft findet ein jeder seinen Platz in den Armen oder der Zunge eines anderen. Es folgt langer Applaus mit Johlen und Pfiffen.
Alles aus Hand und Hirn der Studierenden
Vollkommen zu Recht, denn hier hat die Theatergruppe, die von A bis Z alles in Eigenarbeit geleistet hat, wirklich wunderbar zusammengespielt. Das Bühnenbild ist schlicht und doch wandlungsfähig und ermöglicht so mit einfachen Mitteln den Wechsel von Landschaften und trägt die Stimmungen der Spielenden. Diese funktionieren als Gruppe und man spürt den Zusammenhalt sowie die Energie jeder und jedes einzelnen. Die Hauptakteure sind hervorragend besetzt. Leonie Hochgesand als Weißalles hat ihren stärksten Moment im Kampf mit dem eigenen Teufel und der unergründlichen Traurigkeit, die sie im Käfig ihres Selbst winden lässt. Lukas Lautenschlager als Dickedumm mimt das Tölpelhafte mit einer Herzlichkeit und Wärme, dass man ihn sofort ins Herz schließen muss, man kann es der Baronin nicht verdenken. Die wird von David Attenberger verkörpert, dem das weiße Kleid ebenso auf den Leib geschneidert scheint wie Akzent und Attitüde der Grand Dame. Der Chor, der das Stück mit sehr eindrücklich umgesetzten Sprachspielen begleitet, vervollkommnet die Inszenierung. Kompliment und Chapeau. Man darf sich auf das nächste Semester also bereits jetzt schon freuen!
Veronika Fischer (Foto: Uni-Theater – Jacob Höferlin)