Wer hat Angst vor der dicken Frau?

Das Unitheater Konstanz geht mit dem Stück „Fettes Schwein“ von Neil LaBute den Fragen von Leistungsgesellschaft und Optimierungswahn nach. Anhand einer eigentlich banalen Liebesgeschichte werden die eigenen Vorurteile und Klischees gnadenlos hinterfragt. Obwohl viel gelacht werden darf, hinterlässt das Stück einen nachhaltig ernsthaften Eindruck. Absolut empfehlenswert, meint unsere Kritikerin.

Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters. Doch unser Auge wurde erzogen. Und nicht umsonst präsentiert das Sprichwort einen männlichen Akteur, denn die Schönheitsideale sind dementsprechend stark ausgerichtet. Männer bewerten Frauen aufgrund ihrer Optik: in der Werbung, in Fernsehshows, in der Modebranche, im Alltag. Und die Frauen unterwerfen sich dieser Doktrin, bewerten sich selbst unter diesem Blick – nicht alle, zum Glück. So gibt es einen immer stärker werdenden Trend zur Body-Positivity, was bedeutet, dass Frauen mit Kurven diese in Szene setzen und zeigen wie schön die Welt abseits von Bodymaßindexen und Diäten ist. Allen voran die US-amerikanische Rapperin Lizzo, die sich in ihrer Sexyness durch nichts aufhalten lässt. Oder auch die ehemals in Konstanz und mittlerweile in Berlin lebende Sängerin Alina, der man auf Instagram dabei zusehen kann, wie sie für das Magazin Curvy modelt, auf der Fashion Week über Laufstege stolziert und singend auf der Bühne die Hüften schwingt.

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Wie aber ergeht es Frauen wie diesen beiden in ihrem Privatleben? Davon erfährt man auf Sozialen Medien ja meist wenig bis gar nichts. Und dieser Frage stellt sich das Unitheater mit dem Stück „Fettes Schwein“, das derzeit aufgeführt wird. Es stammt von Neil LaBute, der am Theater Konstanz schon mit einigen Arbeiten zu sehen war („Eine Art Liebeserklärung“, „We have a situation here“, Regie in „Onkel Wanja“) etc., darüber hinaus aber international bekannt ist für Spielfilme wie „Nurse Betty“ oder aktuelle Netflix-Serien wie „Van Helsing“ und „The I-Land“. Bekannt ist LaBute für einen provokativen Stil, der sich vor keinem Tabuthema scheut. So auch – wie es der Titel bereits vermuten lässt – in „Fettes Schwein“.

„Man scheißt nicht auf den einen Tag in der Sonne“

Es geht um eine Liebesgeschichte zwischen Helen und Tom, die sich zufällig beim Mittagessen kennenlernen. Die Story ist nicht besonders aufregend: Tom ist begeistert von Helens Lachen, sie hingegen findet den etwas schüchternen Typen ganz süß. Sie daten sich, verlieben sich, werden ein Paar und irgendwann kommen die ersten Differenzen und Probleme aufs Parkett. In diesem Fall ist es Helens Figur, die sie selbst mit einem Lächeln versieht – sie wäre als Kind schon etwas mollig gewesen. Toms Exfreundin findet schärfere Worte: „Sie ist richtig fett, Tom. Ein fettes Schwein.“ Und auch Toms Kollege ist d’accord – Tom solle sein „Potential“ nicht vergeuden und seine Jugendlichkeit nicht an eine dicke Frau verschwenden. Die eigentlich perfekte Liebesbeziehung kommt durch diesen Blick von außen ins Schwanken und scheitert letztendlich am fehlenden Standing von Tom. Vielleicht hätten ihm dabei ein paar Kilo mehr geholfen?

Überzeugende Regie, hervorragendes Schauspiel

Was macht Thomas Fritz-Jung, Leiter das Konstanzer Uni Theaters, mit seiner Truppe aus diesem Stoff? Einen Theaterabend, der in seiner Schlichtheit sehr wandlungsfähig ist, ebenso wie das Bühnenbild. Einen Abend, an dem viel gelacht werden darf. Anfangs über die charmante Unsicherheit von Tom, der kein Fettnäpfchen auslässt – im wahrsten Sinne des Wortes. Sehr autentisch gespielt von Sebastian Beck, der die Zerrissenheit seiner Figur zwischen den Erwartungen seiner Arbeitswelt sehr überzeugend darstellt und dabei nie langweilig wird, obwohl er doch einen absoluten Durchschnittstypen verkörpert. Man versteht es also, dass die selbstbewusste, witzige und schlaue Helen sich in ihn verkuckt. Sie wird von einer umwerfenden Lara A. Sauer gespielt, die ihr Publikum schonungslos mit dem Thema des Stückes und den damit verbundenen eigenen Vorurteilen konfrontiert. Sie zeigt facettenreich den psychologischen Verfall einer energiegeladenen, schönen und lebensfrohen Frau, die sich durch die Unsicherheiten und Bösartigkeiten ihres Umfeldes zu einem traurigen Häuflein Elend verwandelt.

Die beiden anderen Figuren des Stückes, Exfreundin Jeannie und Arbeitskollege Carter, werden von jeweils drei Darstellerinnen und Darstellern gespielt, was als Metapher für deren Stereotyp-Sein sowie für die gesamte Gesellschaft stehen kann. Hervorragend eignet sich diese Konstellation für die einzelnen Figuren, um innere Dialoge oder Gedankengänge plastisch auf die Bühne zu bringen. So entfalten sie ihre Eigenschaften auf eine dreifache Weise, was dem Stück einen unglaublichen Witz und Drive verleiht.

Überhaupt kann und darf viel gelacht werden in „Fettes Schwein“, und doch geht man am Ende mit einem dumpfen Gefühl in der Magengegend nach Hause, denn das Schlussbild sitzt. Somit reiht sich die Inszenierung ein in eine Historie aus bislang ausgesprochen überzeugenden Stücken „Der Zwang“, „Krankheit der Jugend“ und man darf gespannt sein auf „Bash“, ebenfalls ein LaBute-Stück, das bereits am 2.2. Premiere feierte.

Weitere Termine von „Fettes Schwein“: 04.02/ 05.02/ 07.02/ 08.02/ 10.02./ 12.02
Kartenvorverkauf im Foyer der Uni oder bei Homburger und Hepp. Ansonsten Abendkasse!

Veronika Fischer – www.fronelle.de (Bild: Unitheater)