Wie Deutschland und die Bodensee-Region am Krieg verdienen
Natürlich kennen Sie Kohl und Merkel, Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Selbst Volker Kauder und Dieter Zetsche dürften fleißigen seemoz-Lesern ein Begriff sein. Aber wer ist Claus Günther aus Überlingen und wer Andreas Heeschen aus Oberndorf? In seinem, in diesen Tagen erschienenen „Schwarzbuch Waffenhandel“ gibt Jürgen Grässlin den Waffenhändlern, die für sich und Deutschland am Krieg verdienen, Namen und Gesicht: Es ist brutal und bestürzend, was da zutage kommt
Zweieinhalb Jahre hat Grässlin an seinem 624-Seiten-Paperback-Wälzer geschrieben. Und viele weitere Jahre dazu recherchiert. Denn Jürgen Grässlin ist Fachmann: Der Lehrer aus Freiburg gilt als Deutschlands „bekanntester Rüstungsgegner“ (Die Zeit), der in zahlreichen Büchern und unzähligen Vorträgen seit fast 20 Jahren schon die Rüstungsindustrie nicht nur in Deutschland geißelt, der in etlichen Ehrenämtern für weltweiten Frieden kämpft, der ohne Scheu (alle gegen ihn angestrengten Prozesse wurden gewonnen) die Täter – Waffenhändler wie Politiker – beim Namen nennt.
Und die Opfer auch. Die erste Seite seines neuen Buches zeigt ein Foto von Mohamed Jama aus Somalia, der während eines Massakers durch ein G3-Gewehr des deutschen Herstellers Heckler & Koch aus Oberndorf eine schreckliche Schädelverletzung erlitt. Er wird zeitlebens geistig behindert sein. Jürgen Grässlin ist ihm begegnet und berichtet über sein Schicksal.
Die griechische Tragödie mit Fortsetzung: Portugal
„Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient“ ist ein aktuell politisches Buch. Grässlin mischt sich in die derzeitige Polit-Diskussion ein, wenn er schreibt: „Profitinteresse kennt keine Grenzen und keine Rücksichtnahme. Während der sozialen Unter- und Mittelschicht in Griechenland radikale Sparmaßnahmen (….) aufgezwungen werden, profitierte die deutsche Rüstungsindustrie schamlos von milliardenschweren Geschäften mit dem griechischen Staat (…). Im Jahr 2006 rangierte Griechenland gar auf Platz 2 der wichtigsten Bestellerländer deutscher Waffen.“ Und weiter: „Überboten wird das eine Armenhaus durch das andere: Im Jahr 2010 bewilligte die Bundesregierung (…) Rüstungsgüter (…) an das portugiesische Militär im Gesamtwert von 811 739 201 Euro. Damit erklomm das total überschuldete Portugal Platz 1 der Empfängerländer deutscher Waffen“.
Der Rüstungsmanager aus Überlingen mit Ziel: Israel und Indien
Doch Mittelpunkt des Buches ist die Anklage an die Adresse der deutschen Rüstungsindustrie. Zum Beispiel an Diehl Defense in Überlingen und ihren CEO Claus Günther, der sich noch auf dem Bodensee-Kirchentag im letzten Sommer als einsichtiger Konzernchef gab. In Wirklichkeit ist er Bindeglied des deutschen und israelischen Rüstungsmarktes, über den zum Beispiel mehr als 300 Werfer für Spike-Raketen für die Bundeswehr geordert wurden – Raketen, die auch auf den Gaza-Streifen abgefeuert wurden.
Auch anderenorts ist Claus Günther für Diehl Defense erfolgreich: An Indien, bekanntermaßen im Dauerkonflkt mit dem Nachbarstaat Pakistan, werden Panzerketten geliefert – „ein weltweiter Erfolg“, wie Günther schwärmt. Und Günther zählt, gerade in diesen Tagen aktuell, zu den glühendsten Verfechtern der Drohnen-Technologie. Solche unbemannten Lenkflugkörper werden gegenwärtig von Diehl Defence in Kooperation mit dem US-Konzern GA-ASI vertrieben. Für Günther ein wahres Bombengeschäft, denn vor allem die Infrarot-Detektoren werden exklusiv von Diehl produziert.
Europas tödlichstes Unternehmen: Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar
„Kein anderer Bereich der Rüstungsexportpolitik ist sensibler, keiner problematischer, keiner folgenschwerer, keiner tödlicher als der der sogenannten Klein- und Leichtwaffen“. Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und bestimmte Maschinengewehre und ‚leichte Waffen‘ wie Granatwerfer oder Panzerabwehrkanonen – 95 von hundert Opfern gehen auf diese Waffen zurück. Und in diesem Marktsegment ist Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar vornehmlich mit seinen Schnellfeuergewehren G3 und G36 unumstrittener Marktführer. Und Andreas Heeschen aus Norddeutschland ist als Hauptgesellschafter der größte Profiteur: Mit einem Umsatz von 200 Millionen Euro und einer jährlichen Gewinnsteigerung von über 20 Prozent.
Viel mehr als diese Weltmarktführerschaft bei Kleinwaffen kritisiert Grässlin an H&K deren Exportpolitik, die auch vor Lieferungen an verbrecherische und menschenverachtende Regime nicht halt macht – manches Mal womöglich unter Umgehung geltender Gesetze. Allein 45 Seiten widmet Grässlin dem Mexiko-Deal des Unternehmens, das derzeit die Schlagzeilen füllt (seemoz berichtete). Kein Krieg dieser Welt kommt ohne H&K-Gewehre aus – selbst mit der weltweit umstrittenen Söldnerorganisation „Blackwater“ aus den USA scheinen Geschäftsbeziehungen bestanden zu haben.
EADS aus Friedrichshafen: „Äußerst lukrativer Zukunftsmarkt“
Fast schon selbstverständlich, dass Grässlin auch den siebtgrößten Waffenproduzenten der Welt und seine zahlreichen Tochtergesellschaften auf der Rechnung hat: EADS aus Friedrichshafen und Tognum und MTU und Astrium und Cassidian. Die Ahnengalerie der Verantwortlichen reicht von Jürgen E. Schrempp, einstmals als Daimler-Chef zum EADS-Großaktionär aufgestiegen, über Bodo Uebber, der bis 2012 die Rüstungsproduktions- und Waffenexportpolitik des zweitgrößten europäischen Rüstungskonzerns verantwortete, bis zu Thomas Enders. Der Bundeswehr-Reserveoffizier, seit 2012 EADS-Chairman, war erster Cassidian-Chef, davor auch Mitarbeiter im Bundes-Verteidigungsministerium und gilt als Kenner der asiatischen Märkte – seine Exporterfolge mit Malaysia sind legendär.
Neben den sattsam bekannten EADS-Geschäften mit Despoten-Staaten und dem Bombengeschäft mit Drohnen geht Grässlin besonders auf den Milliarden-Deal zur Errichtung eines Grenzsicherungssystems für Saudi-Arabien ein. Einen „äußerst lukrativen Absatzmarkt der Zukunft“ nennt Grässlin das Geschäft – schon hat Algerien als nächster Kunde in Friedrichshafen angeklopft.
„Schwarzbuch Waffenhandel“: Mehr Lexikon als Schmöker
Grässlins neuestes Buch ist ein Augenöffner. Es deckt auf und nennt Namen, es zeigt, wer in der Politik die Exporte genehmigt und wie die Banken das alles finanzieren. Ein faktenreiches Buch, schnörkellos und dennoch spannend geschrieben, das selbst auf Seite 624 noch nicht langweilt. Vor allem aber ein Buch, das über Jahre hinaus als Lexikon des Waffenhandels gelten, ohne das keine Diskussion zu diesem Thema in Zukunft mehr auskommen wird.
Jürgen Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient, Heyne Verlag, 2013, Taschenbuch, 624 Seiten, 13,5 x 20,6 cm, 11 s/w Abbildungen, ISBN: 978-3-453-60237-3; € 14,99 [D] | € 15,50 [A] | CHF 21,90
Autor: hpk
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