Wie ein Baum einem Dichter Schädelweh bereitete
Nicht wenige deutsche SchriftstellerInnen flohen vor der faschistischen Terrorherrschaft ins französische Exil. Zahlreiche „normale“ Französinnen wiederum schlossen sich wenig später, nach der Besetzung ihres Landes, der Résistance an und riskierten ihr Leben im Widerstand gegen Besatzung und Krieg. Beide kommen in den nächsten Wochen zu ihrem Recht: Winterthur bringt ein satirisches Stück Ödön von Horváths auf die Bühne, und in Singen werden Frauen im französischen Widerstand vorgestellt.
Es gibt Todesarten, bei denen normale Menschen vor Neid erblassen, und diese treffen Normalos wie Promis gleichermaßen (oder werden von der Fama nachträglich entsprechend aufgebrezelt). Ein in dieser Hinsicht besonderer Günstling des Schicksals war Ödön von Horváth (1901–1938), der auf diese Ehre vermutlich gern verzichtet hätte. Er hatte sich in seinem Pariser Exil am 1. Juni 1938 mit dem ebenfalls nach Frankreich geflohenen deutschen Regisseur Robert Siodmak getroffen, um über die Verfilmung seines Werkes „Jugend ohne Gott“ zu verhandeln. Siodmak bot ihm anschließend an, ihn im Auto nach Hause zu fahren, doch Horváth lehnte ab und stapfte los – angesichts der finsteren Warnungen eines Wahrsagers schien ihm, so wird zumindest kolportiert, eine Autofahrt durchs abendliche Paris zu gefährlich zu sein.
Unter der Platane
Kurzum, nur ein kleines Stück weiter, an der Avenue des Champs-Élysées, etwa gegenüber dem Théâtre Marigny, erfüllte sich sein Schicksal, wie der „Figaro“ am nächsten Tag zu vermelden wusste: „Ein Sturm, der gestern Abend über Paris niederging, verursachte mehrere Unglücksfälle. In den Champs-Élysées warf er eine Platane um. Sieben Personen, die unter ihr waren, konnten sich retten, bis auf einen Ungarn, den sie erschlug.“ Der Ungar war Horváth.
Zu seinem 120. Geburtstag (um einmal von einem für den Dichter erfreulicheren Tag zu sprechen) spielt das Junge Theater Winterthur sein Stück mit dem nachträglich prophetisch erscheinenden Titel „Himmelwärts“ von 1937, in dem eine angehende Opernsängerin plötzlich Erfolg hat – jedoch nur mit der Hilfe des Teufels höchstpersönlich. Dabei gerät sie zwischen die Fronten von Himmel und Hölle, denn auch St. Petrus hat ein reges Interesse an den Seelen der Menschen. Die Heaven and Hell Corporation ist also am Werk …
Wer: Die Jugendlichen der UM16 des Jungen Theaters Winterthur: Franco Regnani, Gilian Giger, Jana Häring, Madlaina Rother, Noah Bax, Noel Stickel, Sebastien Napierala, Tanja Schwab, Ursina Vosswinkel, Yara Nemeth, Yannick Bollinger, Leitung: Franziska Beck und Ursula Rösli. Wann: Freitag, 09.07.2021, 20:00 Uhr; Samstag, 10.07.2021, 20:00 Uhr; Sonntag, 11.07.2021, 16:30 Uhr. Wo: Theater am Gleis, Untere Vogelsangstrasse 3, CH-8400 Winterthur. Wie: Vollpreis: 25,- CHF, Ermäßigte (Studenten, Kinder, AHV, Kulturlegi …) 15,- CHF, Eintrittskarten gibt es hier.
Widerstand – ein lebendiges Erbe
Apropos Frankreich: Wie in allen Ländern Europas gab es auch dort neben der Kollaboration einen breiten antifaschistischen Widerstand aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten. An diesem Widerstand gegen Hitler, Besetzung und Krieg waren nicht nur Männer, sondern selbstverständlich auch ungezählte Frauen beteiligt. Sie haben eigene Formen der Résistance entwickelt und auch eigenhändig an den Waffen gekämpft. Sie standen mit ihrem Leben für Freiheit, Frieden, Menschenwürde und Solidarität ein und fochten für ein friedliches Zusammenleben der Völker. Ihr Beitrag zur Befreiung von der Terrorherrschaft des deutschen Faschismus vor 75 Jahren kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dr. Florence Hervé, französische Autorin, Journalistin und Dozentin, stellt in einem Vortrag in Singen am 2. Juli u.a. einige dieser Widerstandskämpferinnen vor.
Was: Vortrag von Dr. Florence Hervé, „Widerstand – ein lebendiges Erbe“ mit anschließender Diskussion. Wann: Am Freitag, den 02.07.2021, um 19 Uhr. Wo: Wichernsaal, Freiheitstr. 36, 78224 Singen. Wie: Aufgrund der aktuellen Situation ist die Teilnehmenden-Zahl den Räumlichkeiten entsprechend begrenzt. Daher ist eine vorherige Anmeldung an info@bildungsbude.org erforderlich. Ein Einlass zur Veranstaltung kann zum einen nur nach vorheriger Anmeldung erfolgen, zum anderen gelten die 3G-Regeln (geimpft, genesen oder getestet). Wer: Bildungsbude e.V.; VVN-BdA Kreisverband Konstanz; Initiative Stolpersteine Konstanz.
red (Bild: Junges Theater Winterthur)
Quellen zu Horváth: Wikipedia, Frankfurter Rundschau