Wie es Euch gefällt
In der Stadtbibliothek Konstanz kann jedermann/frau noch bis Ende September zum/r MitkomponistIn werden. Dort steht ein elektronischer Spieltisch, an dem man/frau ein etwa achtminütiges Musikstück aus sieben verschiebbaren Einzelstücken zusammenstellen kann. Das macht nicht nur Spaß, sondern wird auch in der vom Publikum favorisierten Version am 13. Mai 2017 von der Südwestdeutschen Philharmonie live aufgeführt.
Die Idee zu diesem offenen Stück, dessen nächste Stufe jetzt in der Konstanzer Stadtbücherei kreiert werden soll, entstand bei einem Gespräch zwischen dem Intendanten der Südwestdeutschen Philharmonie Beat Fehlmann und dem an der Konstanzer Uni tätigen Mathematik-Professor und Komponisten Jan Beran. Bis jetzt handelt es sich dabei nicht um ein fertiges Stück, sondern immer noch um rund 325 mögliche Werke, denn das sind die möglichen Kombinationen der Einzelteile. Daher fragen Intendant und Komponist das Konstanzer Publikum: Wie hätten Sie’s denn gern?
Das Publikum komponiert mit
Wie muss man sich das alles vorstellen? Die Südwestdeutsche Philharmonie hat zusammen mit dem Pianisten Patrizio Mazzola und dem Dirigenten Kevin Griffiths sieben etwa einminütige Einzelstücke eingespielt, die vom Komponisten so gearbeitet wurden, dass sie an Anfang und Ende mit jedem anderen beliebigen Einzelstück kombinierbar sind. In den Einzelstücken treten zusätzlich zu Orchester und Klavier verschiedene andere Instrumente in den Vordergrund, manche Module sind lebhafter, andere eher getragen. Die Reihenfolge, in der diese Module im Gesamtwerk gespielt werden sollen, wird jetzt vom Konstanzer Publikum bestimmt.
In der Konstanzer Stadtbücherei steht ab sofort ein grauer Kasten mit einer Tischplatte, die wie ein großer Touchscreen durch Berührung bedient werden kann. Jedes einzelne Musikmodul wird durch einen etwa handtellergroßen Spielstein („Token“) verkörpert, den man auf die Tischplatte setzt. Über Kopfhörer kann man sich dann einzelne Module oder das ganze Stück in seiner momentanen Zusammensetzung anhören, man kann an Modulanfänge und -enden springen und sich überlegen, in welcher Reihenfolge die Stücke am ehesten ein Ganzes ergeben. Dabei hilft, dass die Spielsteine für die einzelnen Module mit entsprechenden Symbolen versehen sind, so dass man sie sich besser merken kann.
Lediglich Anfangs- und Schlusssequenz des Stückes sind vorgegeben, alles andere regelt man über die Reihenfolge der Spielsteine auf dem Tisch, wobei man aber nicht alle Module verwenden muss. Hat man eine Reihenfolge gefunden, die einem gefällt, drückt man schließlich auf ein Häkchen und speichert so die eigene Zusammenstellung. Das Orchester führt dann im nächsten Mai bei der „Langen Nacht der Wissenschaft“ die beliebteste Version auf.
Computer trifft auf Orchester
Besonders aufwendig war die Gestaltung und Verwirklichung der Benutzeroberfläche, in die der Programmierer Evgeni Schumm mehrere Monate investiert hat, denn natürlich steht und fällt der Erfolg dieses Projektes mit der leichten Bedienbarkeit des Spieltischs. Eigentlich kann man nicht viel falsch machen, und wer einmal nicht weiter weiß, kann sich mit der Bitte um Hilfe einfach an die Büchereiangestellten wenden. Wer sich ernsthaft mit den Stücken und ihrer Reihenfolge auseinandersetzen will, sollte etwa 15 Minuten Zeit dafür mitbringen.
Ein spannendes Experiment also, bei dem alle mitmachen können. Ein wenig atmet dieses Projekt von Universität, Stadtbücherei und Südwestdeutscher Philharmonie den Geist der 60er und 70er Jahre, als junge Komponisten versuchten, die elitären Opernhäuser und Konzertsäle für ein breiteres Publikum zu öffnen und das Publikum auch mal zum Mitmachen zu bewegen. „Wahrscheinlich kann niemand grundsätzlich erklären, was Musik ist und warum sie entsteht“, sagte der große Komponist Mauricio Kagel einst, und der musste es wissen. Hier in Konstanz können jetzt alle Interessierten wenigstens einmal ausprobieren, wie Musik entsteht und wie man sich als MitkomponistIn denn so fühlt.
Harald Borges
Stadtbücherei am Münster, 4. Stock (wo die DVDs stehen). Noch bis Ende September 2016, Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10:00–18:30 Uhr, Samstag 10:00–14:00 Uhr, 22.–27.08. geschlossen.