Wollen Sie Gerechtigkeit oder nur ‘ne neue Küche?

seemoz-der-staat-gegen-fritz-bauer2Bildgewaltige Landschaften, Feuer und Dunkelheit. Massen an gutaussehenden Kämpfern rasen brüllend und von Musik untermalt aufeinander zu, um sich gegenseitig zu zermetzeln. Ein einzelner Mann mit zerrissenem Hemd und blutender Wunde reckt sein Schwert in den Himmel. Der Trailer von Macbeth zeigt, wie man sich Helden so vorstellt… Fritz Bauer reißt im Film Der Staat gegen Fritz Bauer weder sein Schwert in die Höhe, noch brüllt er Kampfesschreie…

… er steckt sich Zigarren an und erhebt seine Stimme, um in wohlgesetzten Worten auszusprechen, was keine*r hören will. So tritt auch er als Held auf, was sich gerade deshalb ohne Unwohlsein gegenüber diesem verklärenden Wort sagen lässt, weil er nicht heroisierend, nicht spektakulär und prahlend daherkommt. Regisseur Lars Kraume und Schauspieler Burghart Klaußner inszenieren den Generalstaatsanwalt als alten Mann in sturer Unruhe und mit ungeheurem Mut. Fritz Bauer trug entscheidend dazu bei, dass im Jahr 1962 SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in Israel vor Gericht gestellt und verurteilt wurde. Dies tat er entgegen dem Willen der deutschen Regierung und unter hohem Risiko. Der Film erzählt die Geschichte seiner Arbeit, seines sturen Kampfes für Gerechtigkeit.

Für jene, die sich noch nicht eingehend mit deutscher Geschichte nach 1945 befasst haben, muss es schockierend wirken, dass Deutschland unter Adenauer kein Interesse daran hatte, den Naziverbrecher Eichmann nach deutschem Recht zu verurteilen. Skandalös, dass viele der ehemaligen Nazifunktionäre in hohen und wichtigen Posten saßen und für ihre Verbrechen nicht büßten, sondern das Schweigen darüber zum Programm nationaler Sicherheit erklärt wurde. Jene, die diese Geschichte kennen, leben zumeist in einem von zwei Gemütszuständen. Die einen haben sich abgefunden, zucken mit den Schultern, fühlen sich abgeklärt und seufzen, nicht ohne Stolz über ihr bitteres Einsehen, dass „es halt so ist“.

Wissende Resignation, die für Gerechtigkeit kämpfen zu wollen vielleicht zu oft als gefühligen Idealismus erklärt, tritt auch im Film auf den Plan. Sie linst um die Ecke, wenn Männer an machtvollen Stellen etwas tun könnten und es aus Angst vor Restriktionen sein lassen. Sie kriecht als Angst in die Nieren, wenn Bauer Morddrohungen erhält. Sie fühlt sich gesünder an, wenn sich die Macht der nicht ignorant, sondern systematisch Schweigenden und Drohenden, als übermächtig erweist. Doch, so viel kann ohne Spoiler gesagt werden, Fritz Bauer vertritt den zweiten Gemütszustand. Er behält seinen Zorn, auch wenn ihn die Ohnmacht manchmal heimsucht. Er will Gerechtigkeit und er will die Täter*innen mit ihrer Schuld konfrontieren.

In einem Fernsehinterview wird er gefragt, worauf die Deutschen denn stolz sein können. Seine Antwort ist schlagend und motivierend zugleich: „Stolz können wir doch nur sein auf das Gute, was wir selber gemacht haben.“  Fritz Bauer lebt Demokratie und tut das mit Verbündeten. Sein Mitstreiter, der Staatsanwalt Karl Angerer, gespielt von Ronald Zehrfeld, unterstützt ihn, ist ihm ein siezender, zurückhaltender Freund. Im Film erscheint die im gleichen Maße wichtige wie unpopuläre Arbeit für Gerechtigkeit als hart und die sozialen Einbußen, die der allein lebende Fritz Bauer erträgt, lassen diese Arbeit nicht gerade attraktiv wirken, was vielleicht dem Realismus geschuldet ist.

Mit Gefühlen umzugehen, Nähe zu spüren, wird im Film als staatliches Liebesverbot inszeniert. Die umstrittene Homosexualität Bauers wird in der Fiktion zum Fakt und der § 175, der die Liebe zwischen Männern unter Strafe stellt, erweist sich anschaulich als perfides politisches Machtinstrument, das ein Vorgehen gegen unliebsame Kritiker erleichtert.

Frauen treten in diesem Film leider nur als Sekretärinnen und die unverständige Frau des Staatsanwalts Angerer auf, die ihren Ehemann für das kleinbürgerliche Glück der oberen Klasse gewinnen will. Es ist etwas schade, dass das Heldennarrativ die Arbeit eines Einzelnen isoliert darstellt und weniger auf Zusammenarbeit eingeht, als es vielleicht, ohne die Realität zu verzerren, möglich wäre. Fritz Bauer hat noch eine weitere Antwort auf die Frage nach dem Stolz im filmisch inszenierten Fernsehinterview. Die Demokratie gibt es nur, wenn Leute sie leben. Das kann keine und keiner alleine tun. Diese Botschaft ist heute genauso aktuell wie vor gar nicht so langer Zeit.

Der Film führt seine Zuschauer*innen durch den politischen Kampf eines 59 Jährigen, jüdischen Staatsanwaltes. Obwohl der Ausgang der Geschichte bekannt ist, entsteht eine thrillerähnliche Spannung, weil die Möglichkeit des Scheiterns trotzdem ängstigt und das Vorgehen der Widersacher auch die Zuschauer*innen die Wut spüren lässt, die zum Handeln antreibt.

Der Film entlässt sie mit der Gewissheit, dass sich Haltung lohnt und Standfestigkeit nicht nur etwas für heroische Helden mit Schwertern ist. Fazit: Reingehen!

Louise Haitz