Your appointment with Impfschiene 1

Der Sprachwandel vollzieht sich ähnlich schnell und verheerend wie der Klimawandel. Deshalb stellt der Schriftsteller Jochen Kelter sich und uns die Frage: Dient Englisch als letzte Klammer der Gesellschaft?

Im Oktober habe ich das Aufgebot für meine zweite Auffrischung, die insgesamt vierte Corona-Impfung bekommen, also für meinen zweiten Booster, noch so ein Ausdruck, den vor zwei Jahren noch kein Mensch verstanden hat, und der inzwischen bereits zum Alltagswortschatz gehört. Geschafft hat das innerhalb kürzester Zeit die internationale pharmazeutische Industrie. Am Vorabend bekam ich von OneDoc, also dem Gesundheitsamt Thurgau, mithin eines deutschsprachigen Kantons in einem dreisprachigen Land (wozu Englisch ganz eindeutig nicht gehört) in vorauseilendem Gehorsam die folgende Erinnerung auf mein Handy (auch das so ein scheinbar englischer Ausdruck, den kein Brite versteht):

Please remember your appointment with Impfschiene 1 Friday 21. 10. at 13.35 … in Frauenfeld.

Die Pfizer und Biontech haben es geschafft. So etwas nennt man gemeinhin Pidgin-Englisch. Dabei handelt es sich um eine in der Kolonialzeit entstandene Hilfssprache aus jener der Kolonialmacht (dazu gehören auch Pidgin-Spanisch und -Portugiesisch) und Wörtern und gängigen Sprachwendungen der kolonisierten, sprich unterdrückten und «minderwertigen» Völker. Da sind wir also offenkundig in der durch den Neoliberalismus globalisierten (Wirtschafts-) Welt unterdessen angekommen. Was unsere Politiker gerne unter den Teppich kehren, macht die Sprache deutlich.

Ich hörte im Impfraum (einer Betriebslagerhalle in einem entlegenen Gewerbegebiet), wie eine Angestellte einen Impfkandidaten fragte: Verstehen Sie Englisch? Eine durchaus berechtigte Frage. Die Antwort des Mannes habe ich nicht mitbekommen. Aber das Englische (oder eine Pidgin- Abart) sind mittlerweile ja längst nicht mehr auf Medizin und Wissenschaft beschränkt. Internationale Konzerne, Versicherungen, die Medien, Mode- und Lebensmittelketten preisen ihre Dienste und Waren auf Englisch an, egal ob die potenziellen Kunden es verstehen oder nicht (wer‘s nicht versteht oder nicht so tut, als ob, ist sowieso out).

Aber selbst Handwerker, die Pizzeria an der Ecke oder der Einzelhandel und der Tante-Emma-Laden werben auf Englisch. Da gibt es den Barber Shop, der Käseladen wirbt für Emmental Cheese, der Schnellimbiss fordert uns auf Try our fresh pizza. Fine food gab es schon immer, jetzt kommt auch noch Ice cream dazu. Aber selbst Reparaturläden und Autowerkstätten werben unterdessen für ihren Repair service. Eine immer konformer und eintöniger werdende Lebenswelt als Konsumuniversum sollen durch das Pidgin-Englisch einen glamourösen, exotischen Anstrich erhalten. Das spricht nicht gerade für das Selbstbewusstsein und den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft.

Text: Jochen Kelter, Bild: Bilderjet auf Pixabay