Zeitreise nach New Orleans

Mit „Wonderful World“ bringt das Theater Konstanz eine Inszenierung auf die Bühne, die sich mit der Entstehungsgeschichte des Jazz sowie der Legende Louis Armstrongs beschäftigt. Musikalisch übertrifft der Abend alle Erwartungen und lässt eine längst vergangene Zeit wieder lebendig werden. Absolut empfehlenswert!

New Orleans in den 1960er Jahren, keine glamouröse Gegend, wie das Bühnenbild erahnen lässt. Es zeigt ein Museum: das Geburtshaus von Louis Armstrong, wo dieser vier Jahrzehnte zuvor geboren wurde. Hier will die Tochter der Jazzlegende Spuren ihres Vaters finden, der sie Nacht für Nacht als Geist heimsucht. Und sie trifft auf Figuren aus dessen Leben, die durch Anekdoten oder auf dem Gebiet der Musik die schemenhafte Vaterkontur füllen. Soweit die Handlung von „Wonderful World“, einem Stück, das von Schauspieldirektor Mark Zurmühle geschrieben und nun in Konstanz uraufgeführt wurde.

Konstanzer Ensemble trifft auf Stars aus Afrika und den USA

Auf der Bühne sind zwei Schauspieler des Konstanzer Ensembles: André Rohde, der mit seiner Johnny-Cash-Darstellung in den vergangenen Spielzeiten bereits sein musikalisches Vermögen präsentierte und wieder einmal zeigt, wie gut ihm doch die 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts gestanden hätten! Er singt und tanzt zu „What I’d say“ als würde er nie etwas anders tun … Chapeau! Begleitet wird er aus dem Haus von Ingo Biermann, der sein musikalisches Talent ebenfalls zur Schau stellt, wenn er zur Gitarre greift und darüber hinaus in verschiedenen skurrilen Rollen glänzt. Sein herrlich witziges Spiel vom Psychiater bis zum Exmanager kann nur durch die noch herrlicheren Haarprachten getoppt werden. Unterstützt werden sie von Ramsés Alfa, auch kein Unbekannter auf der Konstanzer Bühne, kommt er doch als Gast seit Jahren immer wieder aus Togo nach Konstanz. Diesmal verkörpert er Harper „Gatemouth“ Buckley und Louis Armstrongs physische Erscheinung auf der Bühne. Auch O’tooli Masanza, die ein Zimmermädchen sowie eine Radiomoderatorin spielt, ist nicht zum ersten Mal aus Malawi angereist. Beide überzeugen vor allem in einem sehr warmherzigen Liebesdialog, der als Filmsequenz mit Spielfilmqualität (Video: Aaron Noah Bircher) eingespielt wird.

Summertime, Fly me to the moon, Blueberry Hill & Georgia on my mind

Das Schauspiel wird an diesem Abend aber in den Hintergrund gedrängt, von den wahren Protagonisten: diese sind Siggy Davis und Terrence Ngassa in Begleitung der Theaterband (Frank Denzinger: Schlagzeug, Benjamin Engel: Klarinette und Saxophon, Thomas Förster: Piano, Albert Arpi Ketterl: Kontrabass, musikalische Leitung: Rudolf Hartmann). Die Musik kommt mit einer solchen Wucht auf die Bühne, dass alles drum herum zur Nebensache wird. Was nicht bedeutet, dass Bühnenbild, Text, Dramaturgie und Schauspiel nicht überzeugen würden – nein, all diese Facetten werden aber von der musikalischen Leistung davongeblasen, und vermutlich muss man das Stück ein zweites Mal besuchen, um das detailgetreue Geburtshaus Armstrongs mit original Zeitstücken und Mardern auf dem Dach (Ausstattung: Eleonore Bircher), sowie die historischen Verweise des Stückes, das von 1920 wild durch die Jahrzehnte springt (Dramaturgie: Elisa Elwert), zu erfassen.

Aber es wird schon beim ersten Wort von Siggy Davis deutlich, das sie auf der Bühne spricht: hier kommt eine Stimmgewalt, die sich „Sie“ schreibt. Und diese lässt gesanglich nicht lange auf sich warten. Auf der Suche nach ihrem Vater geht die verheimlichte Tochter über den Weg der Musik und offenbart damit ein Talent, das alles andere in den Schatten stellt. Bereits mit neun Jahren stand die Jazzmusikerin am Off Broadway in New York auf der Bühne und performte seither mit Größen aus dem Musikbusiness sowie mit eigenen Produktionen. Sie schlüpft in unterschiedliche Roben und gibt darin Stimmen wie Ella Fitzgerald, Nina Simone und all den Gospelsängerinnen, die ursprünglich als Sklavinnen auf den Feldern geheime Botschaften in der Musik übermittelt haben, eine Gestalt. Sobald Davis zu singen beginnt, verschwimmt die Kulisse und man erhält das Gefühl, man wäre durch die Zeit gereist und auf einem Konzert gelandet, das sonst nur in Schwarzweißaufnahmen überdauert hat.

Bester Trompeter West- und Zentralafrikas zeigt sein Können

Ins Duett geht Davis mit Terrence Ngassa, der mehrfach als bester Trompeter Kameruns ausgezeichnet wurde und dem es gelingt, sein Instrument auf demselben Niveau zu spielen wie Louis Armstrong – eine Leistung, an der viele Musikerinnen und Musiker scheitern. Ngassa spielt kristallklare Töne und als sei dem nicht genug, hat er zudem auch noch eine Stimme, die der großen Jazzlegende in nichts nachsteht. Im Stück kommt ihm die Rolle der geisterhaften Erscheinung Armstrongs zu und auch diese verzaubert von Mal zu Mal mehr und entführt in eine längst vergangene Zeit.

Dass es nicht eine „Wonderful World“ war, in der die Menschen zusammenkamen, um wundervolle Musik zu kreieren, wird durch die Rahmenhandlung immer wieder verdeutlicht – man würde es sonst tatsächlich vergessen und sich verträumt im Takt der bekannten Melodien wiegen. Aber Zurmühle führt sein Publikum immer wieder zurück zu politischen Missständen, Reden von Martin Luther King, der Ermordung John F. Kennedys, dem Vietnamkrieg sowie dem Separatismus der Südstaaten.

Und so fühlt man sich mit einem Schlag unwohl, wenn Armstrong auf der Bühne Kritik erfährt, weil er sich als Clown für ein weißes Publikum hergibt und man sich im Zuschauerraum umsieht – die Situation ist vergleichbar mit den Lebzeiten Armstrongs. Spätestens in diesem Moment offenbart der Abend sein theatrales Moment, da zu den musikalischen Highlights eine moralische Dimension hinzukommt, die ein Konzert nicht vermocht hätte – egal wie wundervoll.

Veronika Fischer (Foto: Ilja Mess)