Zugehört!

Ein Dichter, der mehrere Jahre in Konstanz lebte, sowie ein bedeutender schweizerischer Komponist, der lange in Kreuzlingen wirkte und schon etliche Male in Konstanz zu hören war – das sind die Urheber eines Konzertes am 28. Mai, in dem in der Konstanzer Lutherkirche neue Liedkompositionen aufgeführt werden. Eine glänzende Gelegenheit also für alle, die wieder einmal Lust auf frisch komponierte Kunstmusik haben.

Häufig passiert es ja nicht, dass in Konstanz zeitgenössische „E-Musik“ zu hören ist (und das auch noch am Abend nach der Zürcher Uraufführung), daher ist dieses Konzert eine echte Rarität. Aufgeführt wird der Liederzyklus „Walliser Stunde“, in dem der schweizerische Komponist Ulrich Gasser Texte des Lyrikers Scardanelli vertont. Es ist bereits Gassers zweite Scardanelli-Komposition nach einem vor rund zehn Jahren entstandenen Zyklus, der Scardanelli-Lieder mit Schumann-Liedern verschränkte.

Als „Scardanelli“ publiziert übrigens Torsten Preisser, der in den achtziger Jahren in Konstanz wohnte, bei besserem Wetter als Straßenmusiker vor dem Rathaus oder am Obermarkt auf der Violine brillierte und seither in Berlin lebt.

Ulrich Gassers Kompositionen aus rund 45 Schaffensjahren sind auf zahlreichen CDs dokumentiert und waren schon auf vielen renommierten Festivals zu hören. Seine Musik ist oft religiös-spirituell motiviert, während in der Lyrik Preissers ein volltönendes, religiös indifferentes Todespathos anklingt. Der Liederzyklus ist also, auch wenn er in der Lutherkirche gespielt wird, keine eigentliche Kirchenmusik, obwohl Scardanellis Texte gern um die letzten Dinge kreisen, wie sie bevorzugt in der Kirche verhandelt werden. Claus Gunter Biegert, der die Aufführung im Rahmen seiner Reihe „das kleine konzert“ nach Konstanz in die Lutherkirche geholt hat, ist ja für seine musikalischen Streifzüge weit über den kirchlichen Rahmen hinaus bekannt.

Es ist natürlich schwer, über noch ungehörte Musik zu schreiben, darum folgen einige Auszüge aus dem Begleittext des Komponisten: „Scardanelli ist ein Dichter, der mich nach wie vor fesselt, aufwühlt, beunruhigt, trifft. Seine konsequente, obsessive Auseinandersetzung mit den Grundfragen der menschlichen Existenz ist einmalig, exemplarisch und fordert heraus. Der Tod, die Entgrenzungen des Sagbaren, das Heilige, das Jenseits und die Angst als Kernpunkte seines lyrischen Schaffens erzwingen eine radikale Sprache, die immer wieder das Unsagbare, Unnennbare durchscheinen lässt, Transzendenz schafft. […] Wohl wissend, dass Scardanelli seine Texte selber hart rhythmisiert, staccato, ohne jedes Pathos vorträgt, sie gelegentlich unterbricht durch Improvisationen auf der Geige, suche ich ihnen in ganz anderer Weise Gestalt zu geben. Ich möchte ihnen, soweit es möglich ist, ihre Eigenart, ihr Eigenleben bewahren. […]

Die ‚Scardanelli-Lieder II – walliser stunde‘ entstanden 2010–11 als selbständiger Zyklus für (Mezzo-)Sopran, (Bass-)Bariton und Klavier. Ich wählte acht Poesien aus dem Band ‚walliser stunde‘, erschienen 2009 in der cyanpress Berlin, Gedichte, die Scardanelli im Wesentlichen 2007 während eines Aufenthalts in Arolla, Wallis notiert hatte. Als Eigernordwandbesteiger und Wüstenalleingänger begibt er sich öfters in Extremsituationen und so gehen diese Gedichte von der realen Erfahrung der Walliser Bergwelt aus, um dann, die erlebten Bergextremsituationen reflektierend, weit über sie hinaus zu gehen. Es sind also in gewissem Sinn moderne, heutige Naturgedichte, Bergliteratur, allerdings der ganz besonderen Art. Und: nicht zufällig ist man auf den höchsten Gipfeln dem Himmel am nächsten.

Und so ergeben sich für die Aufführung dieses Liederzyklus neben dem traditionellen Konzertsaal zwei ideale, dem Inhalt entsprechende Aufführungsorte: Die Kirche als Raum der Begegnung des Menschen mit ‚dem Anderen‘ – und das Berghotel als Ausgangspunkt, von wo der Reisende zu den Gipfeln aufbricht, um dort ‚dem Anderen‘ wieder, anders zu begegnen.“

Konzert: Ulrich Gasser – Walliser Stunde
Ein Liederzyklus von Ulrich Gasser nach Gedichten von Scardanelli
Interpreten: Eva Nievergelt (Sopran), René Perler (Bassbariton), Simone Keller (Klavier)

Wann: Samstag, 28.05.2016, 17:00 Uhr
Wo: Lutherkirche an der Laube, Konstanz
Der Eintritt ist frei.

Die Uraufführung findet am Abend zuvor in Zürich statt:
Wann: Freitag, 27.05.2016, 19:00 Uhr [evtl. 20:00 Uhr?]
Wo: Alte Cigarettenfabrik, Sihlquai 268, Zürich

Weitere Aufführungen sind geplant, unter anderem:
Mittwoch, 28.09.2016, 19:30 Uhr, Maison 44, Basel

Harald Borges / Quelle: PR