Zum Niederknien schön

Nein! Die Rede ist hier nicht von Halle Berry oder Bérénice Bejo – sondern von drei Streichquartetten, Eckpfeilern im Prunkbau der abendländischen Musikkultur, die das in Konstanz ansässige Circolo Quartett am Sonntag in einer Matinee „Melancholie und Lebenslust“ zu Gehör bringen wird. Zentrale Werke der Gattung von Schumann und Bartók ragen aus dem Programm heraus. Das dritte Quartett des Vormittags allerdings nannte kein Geringerer als Beethoven „einen rechten Dreck“.

Der Streifzug des Quartetts durch drei Jahrhunderte Musik endet im Jahr 1927 mit Bartóks drittem Streichquartett. Dieses hochexpressive Werk unterscheidet sich etwa von Schönbergs gleichzeitig entstandenem drittem Streichquartett erheblich, wie Bartók es überhaupt immer wieder schaffte, eine eigene Welle im Strom der Musikgeschichte zu bilden. „Wir verlangen heute eine Musik, die durch die Idee lebt und nicht vom Gefühl“, hatte Schönberg gerade ziemlich selbstbewusst behauptet. Bartóks ebenfalls höchst komprimierte Musik hingegen sucht bewusst eine Synthese zwischen beidem und entfaltet eine schillernde Klangwelt, die sich aller Möglichkeiten der Streichinstrumente bedient, auch volksliedhafte Elemente aufnimmt und unablässig unter Hochspannung steht.

Naturschwärmerei und metaphysische Obdachlosigkeit

Das populärste Stück des Konzertes im Inselhotel dürfte Schumanns Streichquartett Nr. 3 A-Dur sein, ein Werk von erstaunlicher Wirksamkeit: Es ist eines jener Stücke, die man sein ganzes Leben lang immer wieder hören kann, ohne seiner jemals überdrüssig zu werden, weil es einfach zum Niederknien schön ist. Mit einer oft orchestralen Klangfülle und seinen teils gesanglichen Themen weist dieses Quartett in so ziemlich alle Richtungen vom Wiegenlied über die typisch deutsche Naturschwärmerei bis hin zu jenem Verständnis für die Brüchigkeit der menschlichen Existenz, das man an Schumann, vielleicht inspiriert durch dessen tragisch endendes Leben, als eine seiner großen Stärken entdeckt hat.

Das erste Werk, das Kyoko Tanino (Violine), Pawel Katz (Violine), Margit Bonz (Viola) und John Wennberg (Violoncello), allesamt Mitglieder der Südwestdeutschen Philharmonie (Foto), in ihrem Konzert präsentieren werden, ist aber Beethovens gefälliges op. 18/4 von 1799. Wo der spätere Beethoven ein Fugato gern als Ausgangspunkt eines philosophisch-musikalischen Exzesses einsetzt, der sich radikal von aller Konvention verabschiedet und seinen zurückgebliebenen Zeitgenossen den Stinkefinger zeigt, mündet das Fugato des zweiten Satzes hier noch in gepflegte Schrammelmusik. So recht zufrieden war Beethoven mit diesem op. 18/4 aber scheint’s nicht, denn als jemand ihm gegenüber das Werk lobte, kriegte der zu hören: „Das ist ein rechter Dreck! Gut für das Scheißpublikum.“ So lieben wir unseren Ludwig van.

Wie sieht Klassik eigentlich aus?

Wo wir gerade bei rechtem Dreck sind, gibt das Gelegenheit, anhand Beethovens und Schumanns einen eklatanten Missstand der zeitgenössischen Musikpflege zu geißeln: Das Klassik-Video, eine verabscheuungswürdig ungepflegte Gattung. Ein Beispiel gefällig? Beethovens Große Fuge op. 133 ist zweifellos eine der allerallergrößten Hervorbringungen des abendländischen Geistes, und ihre Wiedergabe durch das Alban Berg Quartett gehört zu den herausragenden interpretatorischen Leistungen der letzten Jahrzehnte. Und wie sieht das im Video aus? Schauen Sie mal auf YouTube nach. Oder lassen Sie es besser bleiben, denn dort sehen Sie nicht eine der Sternstunden der Menschheit, sondern vier Herren, die auf hässlichen Stühlen hockend und von welkem Gemüse umzingelt harte Musikantenarbeit verrichten, während das Publikum gnädig im Dunkeln gelassen wird. Wenn es eines Tages auf meiner Beerdigung so aussieht, will ich lieber gar nicht erst sterben:
https://www.youtube.com/watch?v=XEZXjW_s0Qs

Eine solche pure Abfilmerei des Musikmachens funktioniert nur selten, wie etwa im folgenden Video (ebenfalls mit Beethoven). Dass man gern hinschaut, liegt hier aber nicht an einer ausgeklügelten Bildästhetik, sondern daran, dass die Musikerin so cool bleibt, als bewege sie ihre Finger zum Playback oder beobachte nur eine Spinne, die auf dem Griffbrett ihrer Gitarre herumturnt:
https://www.youtube.com/watch?v=o6rBK0BqL2w

Es gibt allerdings auch einige wenige rühmliche Ausnahmen der Gattung, und dazu zählt ein Video mit einem Satz aus Schumanns drittem Streichquartett, dargeboten vom niederländischen Ragazze Quartet (das auch ein ansehnliches Video zu Jörg Widmanns musikalischem Spaß „Jagdquartett“ abgeliefert hat):
https://www.youtube.com/watch?v=e2G8Ow4EY04

Man kann füglich darüber streiten, ob es Sinn macht, Schumanns metaphysische Abgründe mit der Angst vor verregneter Schminke zu bebildern, aber sei’s drum: Hier haben endlich einmal Menschen ihre Kreativität darauf verwendet, gute Musik sinnvoll in Szene zu setzen.

MM/Harald Borges; Foto: Südwestdeutsche Philharmonie


Sonntag, 11.12.2016, um 11.15 Uhr im Inselhotel, Auf der Insel 1, 78462 Konstanz

Karten 18 Euro/ermäßigt 14 Euro/Kombikarte mit Mittagessen im Inselhotel: 48 Euro, Kinder à la carte.

Karten gibt es unter anderem hier:
Südwestdeutsche Philharmonie, Mo.-Fr. 09.00-12.30 Uhr, Tel. +49 7531-900-816
philharmonie-karten@konstanz.de
Stadttheater Konstanz, Mo.-Fr. 10.00-19.00 Uhr, Sa. 10.00-13.00 Uhr, Tel. +49 7531-900-150
theaterkasse@konstanz.de
Kombikarte mit Mittagessen beim Veranstaltungsbüro des Inselhotels, Tel. +49 7531-125-466

Karten, Konzertkalender und weitere Informationen auch im Internet:
www.philharmonie-konstanz.de

Quelle: Wohin geht die deutsche Musik? Ein Interview mit Schönberg in Paris, Berliner Börsenzeitung, 06.12.1927:
http://www.schoenberg.at/index.php/de/1927-wohin-geht-die-deutsche-musik-ein-interview-mit-schoenberg-in-paris