Zur „Knoppisierung“ der (Neo)Nazi-Geschichte
So der Titel eines Films, der gewaltig für Furore sorgt und bereits in dieser Woche in Konstanz und Singen gezeigt wird: Die ausländerfeindlichen Ausschreitungen 1992 in Rostock-Lichtenhagen werden aus Sicht dreier Jugendlicher beleuchtet – dazu eine kritische Vorschau von einem, der nicht in die Jubelchöre einstimmen mag
Setzt man anstelle von Geschichtsfernsehen Geschichtsfilm, so kommt diese Beschreibung dem, was „Wir sind jung. Wir sind stark“ bietet, doch ziemlich nahe. Der Sound der tackernden Bass-Linie, mit dem die Zusammenrottung des braunen Mobs vor dem Sonnenblumenhaus unterlegt ist, entspricht fast schon peinlich der bedeutungsschwangeren musikalischen Aufladung, mit der in Guido Knopps Fernsehspielen Frontbewegungen der Wehrmacht untermalt werden.
Besser hätte es für die Macher des Films nicht laufen können, das Timing ist perfekt: Pünktlich zum Filmstart kam „Pegida“ – allein schon deswegen ist dem Film das allgemeine „Ganz, ganz wichtig“ garantiert. Wichtigkeit und Bedeutung erhält ein Film aber nicht allein schon aufgrund des historischen Geschehens, das er als Aufhänger benutzt. Oder aus dem Verweis auf tatsächliche oder vermeintliche tagesaktuelle Entsprechungen dazu. Auch im Spannungsfeld zwischen guter Sache und Film erhebt sich die Frage nach der Qualität des Films als solchem.
Versuchen wir also, den Film als Film und seine vielleicht gutgemeinte politische Absicht (an die ich inzwischen nicht mehr so recht glauben kann, s.u.) voneinander zu trennen. Beginnen wir mit dem Formalen:
Authentizitäts-heischendes schwarz-weiss, verwendet für die Filmabschnitte, die der Psychologisierung der Charaktere der rechten Clique gewidmet sind (also der Frage nach dem „warum“), kontrastiert mit Farbaufnahmen, wenn es um die Reproduktion dokumentarischer Mitschnitte der realen Abläufe der Geschehnisse geht (also der Frage nach dem „was“). Warum aber diese sicherlich als künstlerisch intendierte, letztlich aber nur künstliche Trennung des Einen vom Anderen? Wo bleibt die inhaltliche Entsprechung? Warum überhaupt diese Abgrenzung? Ist es nicht gerade der Anspruch des Films, das „Warum“ als Bedingung für das Ergebnis des „Was“ anders zu formulieren? Oder soll das neue „Warum“ qua schwarz-weiss als „wahr“ ausgewiesen werden?
Dabei spricht überhaupt nichts von vornherein gegen die fiktiv-literarische Verarbeitung historischer Geschehnisse. Nur muss sich ein solcher Film dann auch primär daran messen lassen, ob und inwieweit die Entwicklung von Charakteren, die über platte stereotype Klischees hinauskommt, gelingt. Leider passiert in dieser Hinsicht wenig. Ein tumber Rudelführer, die Mädchen bleiben begleitendes Beiwerk. Der Einzige, der sich „entwickelt“, ist der nette Langweiler, der vom Beobachter zum Akteur changiert: Nachmittags der erste Kuss für die Angebetete in den Wogen der Ostsee, abends dann den ersten Molli auf das Ausländerheim…..Da bleibt doch die Frage: So what?
Weiter fällt auf, dass fast alle irgendwie (oft ziemlich unwahrscheinlich) qua Familien-, Freundschaft- oder Liebesbeziehung miteinander verbandelt sind. Was mitunter konstruiert wirkt, und vielleicht schon vorbereitend ist für die später postulierte Unmöglichkeit von individueller Verantwortung für das Geschehen. Und Arbeitslosigkeit, Langeweile, Perspektivlosigkeit, Coming of age mit Distinguierung von den Eltern als letztlich ent-schuldigende Erklärungsversuche zu Entstehen und Verfestigung von Rechtsextremismus gehören ganz sicher in den Bereich ‚Klischees‘.
Dass man zum völkischen rassistischen Denken durch ein Zuviel an Zeit gelänge, ist sicherlich eine der dümmsten Erklärungen für dieses Phänomen, dem doch eher ein Zuwenig an Hirn und/oder auf jeden Fall der Verlust des moralischen Kompass zugrundeliegt.
Der Unfug „akzeptierender Jugendarbeit“, die auf genau diesem sozialarbeiterischen Konzept von Verständnis für die armen „Modernisierungsverlierer“ fußte, hat ja dann im Ergebnis eher zur Verfestigung rechtsextremer Identität geführt.
Das Klischee der genannten Erklärungsversuche ist auch deswegen problematisch, weil es nur allzuleicht einer (Ost-)Generation in toto übergestülpt wird, eben als das einer „verlorenen“ nach „Verlust von Identität“(beides O-Ton Film-Reklame). Genau das ist falsch, weil trotz genannter widriger Umstände eben nicht eine Generation als ganze und damit eben nicht zwingend braun (geworden) ist. Und weil „Grosswerden“ nun mal die Suche nach Identität bedeutet. Das ging schon immer und geht noch immer allen so.
Richtig problematisch wird es, wenn es als Resümee der Ereignisse (wieder O-Ton der Film-Reklame: „jungundstark.de/#site„dort: Inhalt) heisst: „Am Ende dieses Tages wird sich für viele das Leben geändert haben. Dabei eint sie alle die Sehnsucht nach einer Heimat, nach Liebe und einer Alternative im Leben; nach der Möglichkeit, den eigenen kleinen Traum vom Glücklichsein verwirklichen zu können.“ Deutscher Versöhnungs- und Erlösungskitsch at its best. Hannah Arendts „Banalität des Bösen“ ist in Deutschland schon immer gerne falsch „verstanden“ worden.
„Vermeidung direkter Schuldzuweisung“, „Beleuchtung aus verschiedenen Perspektiven“, so beide Male „kino.de“ dazu, hört sich fein an, endet aber letztlich in der bequemen Äquidistanz zur Vielzahl gleichberechtigter Narrative.
Bleibt die Frage, was in der Sache gewonnen ist mit „Wir sind jung. Wir sind stark.“ Sieht man rechte Jugendliche und/oder Neonazis jetzt anders? Ist man danach besser informiert über das „Wie“ des Pogroms? Nach den immerhin 123(!) Minuten, die das Werk dauert, die weder ausreichen, den dargestellten Charakteren zu einer Tiefe zu verhelfen, die den Film für den Zuschauer interessant werden lassen könnte, noch man danach genauer über die Umstände der Geschehnisse Bescheid wüsste, ist die Antwort einmal „Ja“, einmal „Nein“.
Der Film erreicht sein erklärtes Ziel, den Protagonisten von „Lichtenhagen“ ein anderes Gesicht zu geben als das der ikonischen eingenässten Jogginghose mit Hitlergruss. Jetzt wissen wir, dass es ja auch denen, die die Brandsätze in das Sonnenblumenhaus warfen, um Sehnsucht nach Heimat und Liebe geht.
Und so schließen sich die Hände der beiden Frisch-Verliebten vor dem Lodern der Brandsätze (dazu muss man nicht in den Film gehen, da reicht der offizielle Trailer aaO, Min 1:58). Wenn es überhaupt eine Schuld gibt, dann liegt die im „moralische(n) Versagen der Gesellschaft, sich um die Menschen zu kümmern“. (Wieder O-Ton Film-Reklame, aaO) „Ein Film, den man hören und sehen sollte“, so das ZDF (Heute Journal). Dort muss man es ja wissen: Sowas wie Schuld oder persönliche Verantwortung kommt bei Guido Knopp ja auch so gut wie nie vor.
Kommt jetzt doch noch der Einwand, immerhin sei der Film schon deswegen wichtig, weil er hinweise auf ein leider immer noch aktuelles Phänomen? Ist er nicht, denn die Antwort auf die 2. oben gestellte Frage heißt wie gesagt: „Nein.“ Wem es um ein besseres Verständnis davon geht, was damals in Lichtenhagen warum und wie geschah, dem sei der Film „The truth lies in Rostock / Die Wahrheit liegt /lügt in Rostock“ empfohlen:
Dort kommen diejenigen, gegen die es damals wie heute geht, als Subjekte zu Wort. Erschütternd die Verzweiflung der Rumänin, die zwischen dem Ausharren in einem Lager, wo man nur essen und schlafen kann und der ständigen Bedrohung außerhalb, fragt, warum sie nicht die nötigen Papiere bekommt, auf dass sie weggehen und sich ein freundlicheres Land suchen könne? (Wer könnte ihre Sehnsucht nicht teilen?) Szinti und Roma, an denen sich das Pogrom in Lichtenhagen entzündete, müssen in einem Film über „Lichtenhagen“ vorkommen. Da reicht die eher beiläufige Darstellung ihres Abtransports als Objekte nicht.
Und damit sind wir neben der beschriebenen Blässe bei der Darstellung der Charaktere beim Hauptkritikpunkt an „Wir sind jung. Wir sind stark“: Das Nach-/Mitempfinden des Rauschs der kollektiven rechten Gewalt ermöglicht er dem Zuschauer sicherlich. Das der Angst derer, die dadurch bedroht werden, eher weniger.
Und man dürfte durchaus nochmal deutlich darauf hinweisen, dass „Lichtenhagen“ für die Politik der willkommene Anlass war, die im Zuge der Wiedervereinigung geschürte „Das Boot ist voll!“-Stimmung mit dem sog. „Asylkompromiss“ zu krönen, einer Grundgesetzänderung, die für viele Betroffene das Recht auf Asyl bis heute faktisch ausgehebelt hat.
Autor: Christoph Linge
PS: Auf was ich mich in Sachen „Ost-Jugend“ wirklich freue, ist die Verfilmung von Clemens Meyers „Als wir träumten“. Hoffentlich demnächst im Kino.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]