Zwischen allen Stühlen … more than leather and feathers. Indigenes Filmfestival in Stuttgart
Vom 2.-5. Februar findet in Stuttgart zum neunten Mal „Indianer Inuit: Das Nordamerika Filmfestival“ statt. Initiiert wurde es 2004 von dem Konstanzer Erzieher und Musiker Gunter Lange, der das Festival bis heute leitet. Unser Autor sprach mit ihm.
“I feel like the more you know what’s going on with other people the more we can relate and the more we can help each other.” (Junger Indigener im Film “For Love”, Regie: Matt Smiley)
Nordamerikanische Indigene – ‚Indianer‘ – spielen in der deutschen Imagination eine besondere Rolle als edle Wilde, als ‚rote Ritter der Prärie‘. Gemeint sind damit vor allem die Lakota, die Modell standen für das Bild des tipibewohnenden, büffeljagenden Nomaden mit bemaltem Gesicht und Federschmuck, bewaffnet mit Pfeil und Bogen. Sie waren gewissermaßen Seelenverwandte des aufrechten, alle Härte sich selbst und anderen gegenüber verachtenden deutschen Mannes. „Ein deutscher Indianer kennt keinen Schmerz“, war ein Satz, der mir in meiner Kindheit genauso oft begegnet ist wie die Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand, die im Karst der Berglandschaft Kroatiens Seit‘ and Seit‘ Abenteuer bestanden.
„Das habe ich natürlich auch gesehen. Winnetou war ein Held meiner Kindheit. Damit bin ich in den 1960er Jahren aufgewachsen mit Büchern von Karl May und ihren Verfilmungen“, sagt Gunter Lange, Initiator und künstlerischer Leiter des „Indianer Inuit Filmfestivals“. Durch seine Begegnungen mit Indigenen auf Reisen in die USA und nach Kanada lernte er die Realität in den Reservaten kennen und kam zu der Überzeugung „Heute kann man so etwas nicht mehr machen.“
Als erster Europäer hat er beim American Indian Film Institute und dem American Indian Film Festival mitgearbeitet. „Das war eine besondere Ehre für mich.“ Als er, inspiriert durch einen Themenabend über Indigene in den Medien bei ARTE, in San Francisco anfragte, ob er mitarbeiten könne, war man überrascht: „Was?! Du interessierst Dich für das, was wir machen? Hier kommt sonst kein Schwein vorbei!“ Man bot ihm ein zweiwöchiges Praktikum an und drückte ihm den Schlüssel zum Treffpunkt in die Hand.
Raus in die Reservate
Aus dem Praktikum wurde eine einjährige Mitarbeit am Filminstitut und dem Film Festival. „Ich hatte Glück, weil im Anschluss an das Festival das Pilotprojekt Tribal Touring Programme gestartet wurde. Man ging mit digitaler Filmtechnik raus in die Reservate, um Jugendliche und junge Erwachsene zum Filmemachen zu motivieren. Eigentlich das, was ich heute am KikuZ mit Kindern mache. Das habe ich auch dort gemacht. Wir waren dann immer so 7-10 Tage in den Reservaten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben kurze Filme erarbeitet – so 5 bis 10 Minuten lang – die dann am Ende in der jeweiligen Gemeinschaft vorgestellt wurden.
Zu diesen Vorführungen wurden bekannte indigene Filmemacher:innen und Drehbuchautor:innen eingeladen. Bei diesen Gelegenheiten sind viele Kontakte entstanden. Das war auch deshalb toll, weil man bei normalen USA-Reisen Indigene nicht kennenlernt. Du kommst nicht an die Orte, wo sie wohnen, begegnest ihren Familien nicht. Auch ich wurde zunächst mit Skepsis beäugt. Drei oder vier Tage redete niemand mit mir. Man beobachtete mich, grinste mal. Und irgendwann riss dann einer einen Witz über mich und damit war das Eis gebrochen.“
Das sind ja gar keine richtigen Indianer mehr!
Nach Beendigung der Arbeit in San Francisco fragte der Gründer des American Indian Film Institutes und Film Festivals, Michael Smith, ob Lange ein solches Festival nicht auch in Deutschland machen wolle. Unterstützt vom Zürcher Nordamerika Native Museum und vom Stuttgarter Lindenmuseum hob er 2004 das „Indianer Inuit: Das Nordamerika Filmfestival“ aus der Taufe. Es hält der filmischen Repräsentation nordamerikanischer Indigener durch Nichtindigene v.a. im Western die Bilder und Erzählungen heutiger Angehöriger nordamerikanischer Indianergesellschaften entgegen. Dabei geht es weniger um das Leben, wie es vor 150 Jahren war oder gewesen sein mag, sondern um Themen der Gegenwart. Es geht um die lebendige Kultur heutiger Indigener, vor allem auch die Anliegen, Interessen und Probleme junger Indianer, nicht um die korrekte Musealisierung einer lang zurückliegenden Vergangenheit. „Wenn dann Musikerinnen und Musiker Rapmusik machen, dann hört man plötzlich im Publikum die ein oder andere Stimme, die sagt ‚Das sind ja gar keine richtigen Indianer mehr!‘“
Mir geht es um Aufklärung
Insbesondere die Kunst- und Musikproduktion Indigener, ihr Einsatz für den Klimaschutz sowie ihr Kampf um die Verbesserung der Situation indigener Frauen vor allem in der Einsamkeit Alaskas, wo sie von Holzfällern und Arbeitern der Ölindustrie als sexuelles Freiwild betrachtet werden, sind Themen, die das in Stuttgart stattfindende Filmfestival prägen. „Mir geht es um Aufklärung“, sagt Lange. In Konstanz sind deshalb immer wieder auf seine Einladung hin verschiedene Vertreter:innen indigener Gesellschaften Nordamerikas zu Gast: mal arbeiten sie mit Kindern im Kinderkulturzentrum (KiKuZ) –, mal treten sie im Theater auf – wie etwa Kimmernaq Kjeldsen aus Grönland, die 2018 im Märchen „Die Seehundfrau“ zu sehen war (seemoz berichtete hier).
Aufklärung bedeutet für Gunter Lange allerdings auch ein Absehen von Verboten. „Verbote bringen nichts“, meint er, weil Verbote nichts zum Verständnis beitragen. Das ist ja immer so bei Verboten: man macht etwas nicht deshalb nicht, weil man verstanden hat, dass das falsch ist, sondern weil man Sanktionen fürchtet. „Ich werde keinem Kind verbieten, sich auf Fasnacht als Indianer zu verkleiden. Aber wenn meine indigenen Gäste am KikuZ erklären, dass bestimmte Muster und Designs eine Bedeutung haben und nicht von jedem getragen werden dürfen, dann kommt das bei den Kindern schon an.“
Wie steht es aber um den Begriff ‚Indianer‘ selbst? Der basiert ja bekanntermaßen auf Kolumbus‘ Missverständnis, einen neuen Seeweg nach Indien entdeckt zu haben, weshalb die Menschen, die er dort traf, eben ‚Indianer‘ sein mussten.
Viele sprechen nur noch vom I-Wort
„Das ist ganz schwierig. Ich sag‘ schon auch noch ‚Indianer‘. Viele sprechen jedoch nur noch vom I-Wort, vor allem junge Akademikerinnen und Akademiker. Ich habe jetzt keine Probleme mit dem Begriff ‚Indigene‘, aber das meint ja alle indigenen Völker auf der ganzen Welt. Am liebsten möchten die sogenannte Indianer natürlich bei ihrem eigenen Namen angesprochen werden, aber bei knapp 700 first nations allein in den USA ist das unmöglich. Beim Filmfestival suchen wir seit Monaten nach einem passenden Begriff, finden aber keinen. Im Team haben wir auch unterschiedliche Meinungen – wie ja auch in den Redaktionen der Medien. Wir bleiben dran. Es wird auch ein Thema sein beim Festival. Dafür haben wir auch das Rahmenprogramm zum Thema kulturelle Aneignung. Ich hab im Sommer mal bei meinen indigenen Freunden rumgefragt und die waren ziemlich überrascht. Die meisten indigenen Einrichtungen in den USA nennen sich eben auch ‚Indian‘ – American Indian Filmfestival, American Indian Film Institute, Institute of American Indian Arts etc.“
Es geht auch um kulturelle Aneignung
Das diesjährige Filmfestival trägt das Motto „More than leather and feathers“: „Diesmal ist der besondere Schwerpunkt Mode, indigene Mode. Ich habe in Santa Fé Amber Dawn kennengelernt, die ursprünglich aus Kanada stammt. Sie ist Gründerin der größten indigenen Modenschau in den USA, der SWAIA [Southwestern Association for American Indian Arts, AKS]. Da wird jedes Jahr in Santa Fé auf einem riesigen Markt indigene Mode aus ganz Nordamerika ausgestellt. Wir zeigen Kurzfilme darüber. Und sie wird auch auf dem Podium sitzen, auf dem es um kulturelle Aneignung geht, weil es natürlich auch darum geht, dass große Modelabels einfach Designs übernehmen, ohne zu fragen oder auch nur zu wissen, was es bedeutet. Darüber wird sie dann sicher sprechen.“
Der kulturellen Aneignung ging die kulturelle Enteignung voraus. Seit 2021 gehen die Funde von Massengräbern in Kanada und den USA durch die internationale Presse. Bis in die 1990er Jahre entrissen christliche Missionare indigenen Familien Kinder zur Umerziehung in sogenannten Residential Schools. „Gewalt und sexueller Missbrauch gehörten in diesen Schulen zur Tagesordnung.“
Indigene konnten ihre Kultur nicht mehr weitergeben
„Das war schon bekannt, aber hat noch einmal größere Kreise gezogen, als die vielen Gräber erst in Kanada und dann auch in den USA entdeckt wurden. Das Leid, was daraus entstanden ist, dass die Indigenen ihre Kultur nicht mehr weitergeben, ihre Sprachen nicht mehr sprechen durften, ist groß. Inzwischen arbeitet man stark daran, diese Sprachen wieder zu lehren. Allerdings gibt es bei den kleineren Stämmen auch oft einen Generationenkonflikt. Da sagen die Älteren zu den Jüngeren ‚Wenn Ihr nicht bereit seid, einen bestimmten Umgang mit der Sprache zu pflegen, dann geben wir sie Euch nicht weiter.‘“
In Matt Smileys Film „For Love“, der auf dem Festival zu sehen sein wird, sitzt eine ältere Dame im geblümten Kleid zwischen Tipis an einem See: “I always tell them. Speak your mother tongue I said. Because like if we loose it … Chinese can go to China, French can go to France. Where do we go? This is it. We can’t go home. This is home and I said: Once we loose our language then we are white.“
Das Filmfestival in Stuttgart trägt dazu bei, dass die Stimme der Indigenen in Nordamerika auch in Europa gehört wird.
Text: Albert Kümmel-Schnur, die Bilder wurden vom Veranstalter zur Verfügung gestellt.