Zwischen kugelsicherer Weste und Kinderzimmer

Press von Fiona Mentzel am Konstanzer TheaterDas Thema Krieg wurde uns im letzten Jahr mit dem Gemetzel in der Ukraine so präsent wie lange nicht mehr. Klar, auch die Jahre zuvor begegneten uns in den Medien Bilder und Berichte über Kriege u.a. in Afghanistan, Syrien oder dem Jemen. Die Inhalte sind schockierend, erschreckend und belastend zugleich: Gewalt, Zerstörung, verletzte Menschen und bittere Armut sind an der Tagesordnung. Damit setzt sich ein aktuelles Stück am Konstanzer Theater auseinander.

All das sind Themen, über die wir nur durch die Arbeit von Kriegsreporter*innen möglichst objektive Informationen erhalten. Wie läuft der Alltag dieser Journalist*innen ab? Wie bereiten sie sich auf ihre Einsätze vor? Wie gehen sie mit dem Erlebten um? Mit diesen und weiteren Fragen rund um das Leben mit Kamera und Notizbuch an der Front beschäftigt sich die Regisseurin Simone Geyer in ihrer Stückentwicklung „PRESS“ am Theater Konstanz.

Nah dran

„Soll ich jetzt einfach anfangen?“. Das Publikum wird direkt ins Geschehen geworfen. Ganz nah stehen die drei Darstellenden Sarah Siri Lee König, Fynn Engelkes und Patrick O. Beck vorne am Bühnenrand der Spiegelhalle und hantieren geschäftig mit Mikrofonständern. Sie sprechen nicht künstlich oder aufgesetzt miteinander, sondern als hätten sie sich hinter der Bühne getroffen. Eine banale Alltagskonversation darüber, wie man sich jetzt am besten hinstellt und ob man das so sagen kann und „Ah, wir haben die Kamera vergessen!“. Auch im Zuschauerraum ist es hell – das erzeugt eine ungewohnte Nähe. Eine Handkamera wird herbeigeholt. Sie erfüllt an dem Abend gleich mehrere Aufgaben. Sie ist Sinnbild journalistischer Tätigkeit, verstärkendes Instrument für die Handlung und eröffnet neue Perspektiven. An einigen Stellen ist man auch durch sie den Figuren besonders nah oder entfremdet fern.

Raum für Erlebtes

Dem Gespräch lässt sich entnehmen, dass die drei Personen, die uns namentlich unbekannt bleiben werden, den Veranstaltungsablauf für eine Preisverleihung proben. Die Verleihung eines Preises für Journalist*innen, die aus Kriegsgebieten berichten. „Erinnern Sie sich an Ihren ersten Einsatz?“, fragt einer, „Haben Sie denn gar keine Angst?“. Und schon geht’s ans Eingemachte. Auf einer nüchternen schwarzen Bühne (Mona Marie Hartmann) setzt sich Simone Geyers Inszenierung mit dem Beruf Kriegsreporter*in – für viele eher eine Berufung mit Potential zur posttraumatischen Belastungsstörung als Berufskrankheit – auseinander. Teilweise wird das Publikum in Erlebtes mitgenommen und die Szenen direkt gespielt. Oft erzählen die Figuren auch einfach nur oder beleuchten eine Situation im sprachlich präzisen, nichts beschönigenden Dialog. Die schlichte Bühne gibt den emotional gewaltigen Schilderungen den nötigen Raum, um wirken zu können. Das heißt aber nicht, dass die Darbietung langweilig ist. Im Gegenteil, an geeigneter Stelle wird die Sterilität durch wenige Requisiten, etwa schusssichere Westen mit der Aufschrift „PRESS“, wie sie von Reporter*innen in Kriegsgebieten getragen werden, Videoeinspieler, Musik und Gesang aufgebrochen.

Ein disharmonischer Schlussakkord

Besonders beeindruckend ist die Szene, in der es um die Auswirkungen des Kriegsreporter*innen-Daseins auf das Privat- und Sozialleben geht. Die Figuren stimmen Vicky Leandros‘ Schlager „Ich liebe das Leben“ an und berichten von Ausgrenzung auf Parties aus Furcht vor Gesprächen oder übertriebener Fürsorge – wer weiß das schon? – , verrückten Träumen und durchwachten Nächten. Psychische Erkrankungen, die „Leere und Unzufriedenheit nach der Rückkehr“ und die Gratwanderung zwischen moralischem Anspruch und journalistischer Wahrheit werden nicht ausgeklammert. So Heile-Welt-mäßig der Song auch ist, Geyer lässt ihn auf einem disharmonischen Schlussakkord enden. Die Regisseurin kann an diesem Abend auf ein eingespieltes Ensemble zählen, dessen Mitglieder zwischen unterschiedlichen, nicht näher spezifizierten Rollen wechseln: Hauptsächlich natürlich die verschiedener Kriegsreporter*innen, aber auch Augenzeugen, Interviewpartner*innen und Weggefährt*innen. Sie bringen jung-dynamische Figuren, die noch vor Idealismus strotzen, ebenso gut rüber wie alte Hasen, denen nichts und niemand mehr etwas anhaben zu können scheint. Auch hier geht es nicht um übertriebene Performance, sondern leise Zwischentöne. Zum Beispiel wenn Sarah Siri Lee König nervös ihre Finger knetet, während Fynn Engelkes von einer Vergewaltigung im Krieg erzählt oder wenn Patrick O. Beck mit väterlich-warmherziger Stimme aus „Der alte Mann und das Meer“ eine Gute-Nacht-Geschichte vorliest. Geyers Text besticht aber nicht nur durch seine Natürlichkeit und Klarheit, sondern auch durch Informationen, die aufmerksame Zuhörer*innen erhalten; zum Beispiel über die wichtige Rolle sogenannter Fixer, das Gewicht einer kugelsicheren Weste oder warum man immer ein Kinderbild dabeihaben sollte, auch wenn man selbst keine Kinder hat. Insgesamt ein lehrreicher wie kurzweiliger Einblick in einen spannenden und mutigen Beruf.

Text: Franziska Spanner
Bild: Fiona Mentzel

Weitere Aufführungen: 11.6. / 15.6. / 17.6. / 21.6. / 23.6. – jeweils 20:00 Uhr
www.theaterkonstanz.de