«Eine Frechheit, was die Deutschen sich erlauben!»

Ein geplantes Outlet-Center im Thurgau brachte auch Konstanz, Singen und Radolfzell in Rage. Die Städte befürchten wirtschaftliche Einbussen und Umweltschäden. Nach dem Steuerstreit scheint die Verstimmung zwischen Deutschland und der Schweiz nun auch auf den Detailhandel überzugreifen.

Bei der Planung von grosstechnologischen Anlagen wie Atomkraftwerken, Staudämmen und Flughäfen sind Einsprachen aus dem benachbarten Ausland üblich. Bei der Planung eines Eldorados für SchnäppchenjägerInnen ist das aber sehr ungewöhnlich. Die südbadischen Städte Konstanz, Radolfzell und Singen haben ihre Einsprache gegen das Fashion-Outlet-Center Edelreich in der Gemeinde Wigoltingen im Thurgau vorgebracht und mit einem Gutachten unterfüttert.


Verschobener Spatenstich

In dem Center auf der grünen Wiese sollen zwischen 90 und 120 Mieter untergebracht werden, die auf einer Verkaufsfläche von 30 000 Quadratmetern Markenprodukte aus Überproduktionen zu stark reduzierten Preisen verhökern. Die JTM Holding plant, zwischen 180 und 200 Millionen Franken in das Projekt zu investieren, das bei Vollbetrieb 350 Arbeitsplätze bieten soll. Noch ist erst der überarbeitete Gestaltungsplan aufgelegt worden, und MieterInnen sind noch keine in Sicht. Vorgesehen sind drei Bauetappen. Der erste Spatenstich hätte bereits im vergangenen Januar erfolgen sollen. Das Center liegt jetzt weit hinter dem Zeitplan und kann anstatt 2011 frühestens 2012 eröffnet werden – wenn überhaupt.

Das wollen nämlich die deutschen Städte unter der Führung des Konstanzer Oberbürgermeisters Horst Frank  unter allen Umständen verhindern. Das Outlet-Center bedeute eine Schwächung des Detailhandels und ruiniere somit die Innenstädte in Südbaden, heisst es in der Einsprache. Weiter bringe es zusätzlichen Mehrverkehr in die eh schon heikle Bodenseeregion. Das Projekt sei raumplanerisch und aus Gründen des Umweltschutzes nicht zu verantworten. Die südbadischen Städte gehen nach juristischen Abklärungen davon aus, dass sie zur Einsprache in Wigoltingen legitimiert seien, weil es sich bei dem geplanten Outlet-Center eindeutig um ein Grossprojekt handle, dessen Genehmigung der internationalen Espoo-Konvention über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen unterliege.

«Aber halt, es ist Fasnacht!»

Die Reaktionen aus der Schweiz sind geharnischt. Der Thurgauer Gewerbeverband hat «erstaunt und mit grosser Entrüstung» von der Einsprache aus der deutschen Nachbarschaft Kenntnis genommen. Der Kreuzlinger SVP-Ortspräsident Fabian Neuweiler blödelte am vergangenen 11. Februar in einem Leserbrief an den Konstanzer Oberbürgermeister Horst Frank in der «Thurgauer Zeitung»: «Aber halt, jetzt fällt es mir wieder ein: Es ist Fasnacht! Die Narren haben das Rathaus in Konstanz bereits übernommen.» In der gleichen Ausgabe des Blattes sprach Christian Brändli, FDP-Fraktionschef im Kreuzlinger Gemeinderat, von einer «absoluten Frechheit, was die Deutschen sich hier erlauben».

Gegen den Gestaltungsplan des Outlet-Centers ebenfalls Einsprache erhoben haben der VCS und der WWF, weil vieles am Projekt nicht stimme und es eindeutig zu gross sei.

In der Bodenseeregion hat das Shoppen über die Grenzen Tradition. Es sind vor allem Güter des täglichen Bedarfs, die ausser Landes eingekauft werden. Lanciert hat den sogenannten «Nudeltourismus» das Einkaufszentrum Rheinpark in St. Margrethen SG. 1974 machte es auf der grünen Wiese – mit Anschluss an die Autobahn und die österreichische Grenze – seine Pforten auf. Steigender Wohlstand und die noch fehlenden Grossverteiler zu Hause brachten die angepeilten KonsumentInnen aus Vorarlberg und dem süddeutschen Raum in Scharen zum Shoppen in den Rheinpark. Nicht wenige fanden auch dorthin, weil sie als ArbeitspendlerInnen in der Schweiz bessere Löhne verdienten und sich somit auch die höheren Konsumpreise hierzulande leisten konnten. Nach dem gleichen Konzept wie der Rheinpark entstanden weitere grenznahe Einkaufszentren in Haag SG, im thurgauischen Kreuzlingen (Karussell, Seepark) und im Schaffhausischen (Herblinger Markt).

Der vorarlbergische und der süddeutsche Detailhandel sahen die heimische Kundschaft wie die Felle davonschwimmen. Ein zu schmales Warensortiment und auch fehlende Qualität wirkten lange paralysierend. 1987 wurde mit der Eröffnung des Messeparks Dornbirn in Vorarlberg der Spiess umgedreht. Mit breit gestreuter und selbstbewusster Werbung im schweizerischen Grenzgebiet wurden KonsumentInnen über den Rhein gelockt: Der «Nudeltourismus» bewegte sich plötzlich auch in umgekehrter Richtung – nach Osten.

2004 eröffnete das Shoppingcenter Lago in Konstanz und empfahl sich vor allem auch den SchweizerInnen als «das besondere Einkaufserlebnis». Was laut Center-Manager Peter Hermann gelungen ist. «Der Anteil von Kundinnen und Kunden, die in der Schweiz Wohnsitz haben, ist stark», sagt er. Konkrete Zahlen gibts jedoch nicht, weil die über siebzig Fachgeschäfte im Lago diese nicht erheben. In der jährlichen Statistik, die das Hauptzollamt in Singen aufgrund der Mehrwertsteuerrückerstattung führt, soll nach inoffiziellen Angaben der Einkaufstourismus aus der Schweiz im letzten Jahr um rund neunzehn Prozent gestiegen sein. Die offiziellen Zahlen kommen demnächst raus.

Mehrwertsteuer zurück

Ein grosses Plus für ShopperInnen aus der Schweiz: Ohne eine Mindesteinkaufsgrenze wird in Deutschland bei der Ausfuhr von Konsumgütern die Mehrwertsteuer zurückerstattet. In der Schweiz erfolgt eine Rückerstattung erst ab einem Einkaufsbetrag von 300 Franken und in Österreich ab 75 Euro. Für Burkhard Dünser, Leiter des Messeparks, ist die grosszügig gehandhabte Rückerstattung der Mehrwertsteuer «ein Argument» für SchweizerInnen, in Österreich und in Deutschland auf Shoppingtour zu gehen. Zudem sei das Frankenverhältnis zum Euro sehr «sympathisch», meint der Zentrumsmanager. Der Messepark habe heute einen KundInnenanteil aus der Schweiz von rund fünfzehn Prozent. Im Rheinpark ist der Anteil der KäuferInnenschaft aus Österreich und Deutschland gesunken, liegt aber laut Angaben der Zentrumsleitung trotzdem noch bei rund zwanzig Prozent. Keines der Zentren – ob hüben oder drüben – könnte ohne den kleinen Grenzverkehr existieren. Da sind sich die Zentrumsleitungen einig.

Die Outlets sind sehr viel stärker auf internationalen Shoppingverkehr angewiesen als die grenznahen Einkaufszentren. Das letzen November für «Wildwest Shopping» bei Landquart GR eröffnete Alpenrhein-Outlet-Village rechnet neben der Ost- und der Zentralschweiz auch Oberitalien, Tirol, Vorarlberg und Süddeutschland zu seinem Einzugsgebiet. Die Verkehrsprobleme, die das Outlet im Raum Landquart ausgelöst hat, eskalieren. Eine speziell eingesetzte Arbeitsgruppe soll sie jetzt lösen.

Das Outlet hat zudem das Ladenöffnungsgesetz auf den Kopf gestellt. Als «Tourismusbetrieb» in einer nicht als touristisch definierten Region hat es sieben Tage in der Woche geöffnet. Gegen den Sonntagsverkauf läuft ein Einspruch der Gewerkschaft Unia.

Das Butterschiff

Die bis jetzt verrückteste, aber auch erfolgreichste grenzüberschreitende Businessidee in der Bodenseeregion hatte in den siebziger Jahren ein junger Schwede. Bei seinem Studium an der Hochschule St. Gallen (HSG) war ihm zu Ohren gekommen, dass es im Bodensee keine Staatsgrenzen gibt, das Schwäbische Meer also internationales Gewässer ist. Als findiger Kopf charterte er ein Ausflugsschiff, fuhr damit auf die Mitte des Sees hinaus und verkaufte zollfrei Tabak, Lebensmittel und alkoholische Getränke.
Die Seeanrainerstaaten waren perplex, taten sich schliesslich zusammen und konnten den Schweden erst stoppen, als ihm alle Bodenseehäfen das Anlegen mit dem sogenannten «Butterschiff» verboten hatten. Bis es aber so weit war, hatte der Skandinavier bereits mehrere Millionen Franken verdient.

AutorIn: Harry Rosenbaum