„Den Verkehrskollaps in Konstanz und im Umland stoppen“
Dass sie eine neue Verkehrspolitik am westlichen Bodensee wollen, weiß man von den Sprechern der Konstanzer Aktionsgemeinschaft „Das bessere Verkehrskonzept“ schon lange. Dass aber Dr. Günther Schäfer, Marco Walter und Dr. Sabine Seeliger sich nun konkret in die Landespolitik einmischen, ist neu. Wohl ein Vorgeschmack auf die Oberbürgermeister-Wahl in Konstanz 2012. Und ein wenig Rückendeckung für den grünen Bundestagsabgeordneten Till Seiler
Der nämlich bekam jüngst reichlich Gegenwind. Nicht zuletzt seine Kritik an den Ausbauplänen für die B 33 rief Provinzgranden der CDU, in holder Eintracht mit OB Frank aus Konstanz, auf den Plan, die eine Festlegung der Landesregierung zum Bau der noch nicht begonnenen B 33-Bauabschnitte fordern. Es ist ein Verdienst des jetzt veröffentlichten Offenen Briefes, darauf zu verweisen, dass die CDU vor Ort zwar stets den Ausbau der Bundesstraße auf ihr Panier schreibt, ihre Parteifreunde in Berlin und einstmals in Stuttgart die finanzielle Unterstützung aber stets verweigerten.
Solche Doppelzüngigkeit gibt es übrigens auch auf der anderen Bodenseeseite, wo eine Modernisierung der B 31 von CDU und FDP seit Jahren propagiert, die finanzielle Unterstützung von Land und Bund, ebenfalls CDU-verantwortet, aber ebenfalls seit Jahren verweigert wird.
Die Konstanzer Aktionsgemeinschaft „Das bessere Verkehrskonzept“ fordert in ihrem Offenen Brief nicht nur einen Stopp des Bundesstraßen-Ausbaus, sondern stattdessen verkehrsberuhigende Maßnahmen in Stadt und Landkreis Konstanz – bis hin zu einer City-Maut im Stadtgebiet. Hier der „Offene Brief“ der Konstanzer Aktionsgemeinschaft „Das bessere Verkehrskonzept“ vom 5. 9. in vollem Wortlaut:
„Offener Brief
Ministerium für Verkehr und Infrastruktur, Baden-Württemberg (MVI), Herrn Minister Winfried Hermann, Hauptstätter Str. 67, 70178 Stuttgart
Zur Kenntnis:
Herrn Bundestagsabgeordneten Till Seiler, Herrn Landtagsabgeordneten Siegfried Lehmann,
Herrn Oberbürgermeister Horst Frank (Konstanz), Herrn Bürgermeister Helmut Kennerknecht (Allensbach), Herrn Bürgermeister Wolfgang Zoll (Reichenau), Gemeinderätinnen und Gemeinderäte (Konstanz, Allensbach, Reichenau), Bundesverkehrsministerium, Presseverteiler
Sehr geehrter Herr Verkehrsminister Hermann, lieber Winfried,
seit Jahren engagieren sich am westlichen Bodensee ökologisch orientierte Verkehrspolitiker, Naturschutzverbände, Kreisverband von Bündnis90 / Die Grünen und Freie Grüne Liste Konstanz (die letzten beiden mit klarer Beschlusslage vor Ort) gegen den überdimensionierten Ausbau der B 33.
Um eine unbefriedigende verkehrliche Situation an einer Kreuzung zu lösen – hier die Kreuzung an der Ortschaft Reichenau/Waldsiedlung – wurde ein insgesamt sechs-spuriger Ausbau der B33 (vier-spurige B 33 + zwei-spurige Gemeindeverbindungsstraße) planfestgestellt. Dieser macht unter anderem riesige Knotenbauwerke zur Verknüpfung der neuen Straßen notwendig, die teuer sind, unnötig viel Fläche verbrauchen und die Landschaft verschandeln.
Bislang ist nur ein sehr kurzer Abschnitt der am 13.03.2007 planfestgestellten Straße, vom Flughafen Konstanz bis zur Kreuzung Kindlebild, im Bau. Die großen und kostenintensiven Bauwerke wie die Kreuzung Kindlebild, der Verkehrsknoten Allensbach Ost und die Brücke über die Eisenbahn sind zukünftige Bauabschnitte. Soweit uns bekannt ist, sind nur wenige Abschnitte in der Bauausführungsplanung, mit dem Bau wurde noch nicht begonnen. Somit sind diese Maßnahmen keine laufenden Baumaßnahmen, die entsprechend dem Koalitionsbeschluss weitergeführt werden müssten.
Seit Jahren haben sich die regionalen Vertreter aus CDU und FDP (bedauerlicherweise unterstützt vom Konstanzer OB) darum bemüht, bei der CDU-FDP Koalition in Bund und Land eine Finanzierungszusage für den umstrittenen Ausbau zu erhalten. Dies ist bisher nicht gelungen. Jetzt schicken regionale CDU-Politiker „Brandbriefe“ an den grünen Ministerpräsidenten, um diesen zu einer Festlegung zum Bau der noch nicht begonnenen Bauabschnitte der B 33 zu bewegen, die sein CDU-Vorgänger nicht zugesagt hatte. Die Vorgängerregierung hatte für diesen Streckenabschnitt keinen vordringlichen Bedarf beim Bund angemeldet.
Schon heute kann das Oberzentrum Konstanz die automobilen Verkehrsmassen, die die Innenstadt fluten, nicht mehr verkraften. Der Verkehrskollaps in der Innenstadt, der den Zusammenbruch des Stadtbusverkehrs nach sich zieht, ist an jedem Haupteinkaufstag zu besichtigen. Nach Angaben von Stadt und Einzelhandel war dies 2010 an 60 Tagen der Fall. Durch den Wechselkurs des Franken und damit verstärkten Kundenzustrom aus der Schweiz verschärft sich die Situation weiter.
Es ist daher kontraproduktiv, durch einen weiteren Ausbau der Straßeninfrastruktur noch mehr Autoverkehr in die Bodenseeregion zu leiten. Bewusst wurde in die Dimensionierung der neuen Straße eingeplant, dass Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagert wird; eine Bankrotterklärung für nachhaltige Verkehrspolitik. Weder verkehrspolitisch noch finanzpolitisch (EU-Schuldenkrise) ist ein weiterer Ausbau der B 33 vertretbar.
Die Region am westlichen Bodensee leidet nicht an einem zu geringen Ausbau der Straßenverkehrsinfrastruktur, sondern an einer auch im Vergleich zu den anderen Bodenseeanrainern schlechten Schieneninfrastruktur und in Folge zu geringer Taktfrequenz.
Wir schlagen alternativ folgende Schritte vor:
Der Gemeinderat in Konstanz hat ein Verkehrskonzept beschlossen, das eine deutliche Absenkung des automobilen Verkehrsaufkommens in der Innenstadt von 38 auf 25 % des Modalsplits vorsieht. Dies kann nur mit einschneidenden verkehrslenkenden Maßnahmen gelingen. Leider hat die Stadt bislang kaum wirksame Maßnahmen beschlossen und beschlossene Maßnahmen (Car-Sharing, Park&Ride etc.) nicht oder nur unvollständig umgesetzt.
Wir würden es begrüßen, wenn Sie, Herr Minister Hermann, dafür sorgen würden, dass für Konstanz (und andere Städte Baden-Württembergs) die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um eine City-Maut einzuführen. Damit stünde auch in Baden-Württemberg ein effizientes, verkehrslenkendes Instrument für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik zur Verfügung, wie es in vielen anderen Städten Europas bereits angewendet wird. Gerade angesichts der europäischen Finanzkrise ist diese Maßnahme deutlich kostengünstiger als der weitere exzessive Straßenausbau und im Gegensatz dazu auch zielführend.
Sollten im Baden-Württembergischen Landeshaushalt, beim Bund und bei der Deutschen Bahn nach einem Scheitern von Stuttgart 21 noch Mittel zur Verkehrsinfrastrukturverbesserung vorhanden sein, so wäre ein Ausbau der Schieneninfrastruktur am deutschen Ufer des Bodensees auf das Schweizer und Österreicher Niveau dringend geboten.
Des Weiteren würden wir es sehr begrüßen, wenn Ihnen der Abschluss eines Rahmenvertrages mit der DB zur Einrichtung von Radstationen an größeren oder touristisch stark frequentierten Bahnhöfen (vergleichbar der Vereinbarung in NRW) auch in Baden-Württemberg gelingen würde. Zusätzlich sollte in das laufende Bahnhofsmodernisierungsprogramm der Bau bzw. Modernisierung von Fahrradabstellanlagen an allen Stationen einbezogen werden. Dies wären wichtige Schritte, um umweltverträgliche Verkehrsmittel besser miteinander zu vernetzen und die Alternativen zum Autoverkehr zu stärken.
Wir wünschen Ihnen, Herr Minister, von Herzen viel Erfolg bei der Etablierung einer neuen umweltverträglicheren Verkehrspolitik ohne Stuttgart 21, mit einer besseren Schieneninfrastruktur in der Fläche, einem effizienten Taktverkehr und verkehrslenkenden Maßnahmen, durch die Baden-Württemberg an europäische Maßstäbe Anschluss findet.
Gerne stellen wir Ihnen bei einem Besuch der Bodenseeregion das traurige Ergebnis der bisherigen, autofixierten Verkehrspolitik am westlichen Bodensee und in Konstanz vor. Dass hier andere Wege beschritten werden müssen, ist offensichtlich. Nicht angefangene Straßenbauprojekte auch endgültig sein zu lassen, ist der erste Schritt. Wir würden gerne mit Ihnen die weiteren Möglichkeiten diskutieren.
Mit besten Grüßen im Namen der Aktionsgemeinschaft
Dr. Günther Schäfer, Marco Walter, Dr. Sabine Seeliger“
Autor: PM/hpk
Weiterer Link:
>>>Dieser (Ausbau) macht unter anderem riesige Knotenbauwerke zur Verknüpfung der neuen Straßen notwendig, die teuer sind, unnötig viel Fläche verbrauchen und die Landschaft verschandeln.<<<
100 % Zustimmung! Ich fahre jeden Tag an dem hässlichen Bauwerk vorbei und frage mich, was das bringen soll. Der relativ kurze 4-spurig ausgebaute Streckenabschnitt in der Reichenaustraße mündet an jedem Ende in ein Nadelöhr, es gibt weder in östlicher noch in westlicher Richtung eine vernünftige Anbindung, die den Verkehr abfließen lässt. Daran ändert auch das überdimensionierte teure Beton-Gedöns nichts.