„Flüsterstadt“ Radolfzell: Der Film zum Theaterstück
Mit viel Erfolg läuft derzeit das Theaterstück „Flüsterstadt“ von Gerd Zahner im Radolfzeller „Scheffelhof“. Es beschäftigt sich mit der NS-Vergangenheit der Stadt und sorgt für Gesprächsstoff. Parallel dazu hat der Filmemacher Günter Köhler einen Dokumentarfilm zum Thema gedreht. seemoz hat nachgefragt.
Sie haben einen Film mit dem Titel „Leichen im Keller“ gedreht, der am 16.April im Radolfzeller Milchwerk gezeigt wird. Auch Sie beschäftigen sich mit der Radolfzeller NS-Vergangenheit. Worum geht es?
Es gibt hier einige Bauwerke, die eng verbunden sind mit dem Nationalsozialismus. Aber die Bevölkerung weiß kaum etwas darüber und bislang bestand auch wenig Interesse, darüber etwas zu vermitteln. Im Mittelpunkt meiner Dokumentation stehen die Überreste der Radolfzeller SS-Kaserne, das Kriegerdenkmal und die von KZ-Häftlingen unter unmenschlichen Bedingungen gebaute Schießanlage. Ich habe die Menschen dazu gefragt und wollte wissen, ob sie damit was anfangen können, ob sie dieser Teil der Stadtgeschichte noch bewegt.
Hatten Sie einen Auftrag für Ihren Film? Steht ein Sender dahinter?
Nein, das ist eine klassische Eigenproduktion. Ich bin freier Filmemacher, aber sozusagen im Nebenberuf. Ich bin Grundschullehrer mit reduziertem Lehrauftrag. Das sag´ ich immer gleich dazu, damit die Leute nicht auf komische Gedanken kommen und meinen, ich hätte nur meine Filme im Kopf. Nein, ich habe auch noch meine Kinder im Kopf.
Ist es Ihnen gelungen, für Ihren Film Zeitzeugen ausfindig zu machen, die sich beispielsweise noch an den Bau der SS-Kaserne erinnern können?
Das wird natürlich immer unwahrscheinlicher. Natürlich gibt es Interviews mit Zeitzeugen, aber die waren damals noch Kinder. Ich war noch an einer Zeitzeugin dran, die zu der Zeit eine junge Erwachsene war. Sie hätte einiges berichten können, aber sie wollte nicht.
Was war denn nun der Anlass für Ihre Arbeit? Was hat Sie persönlich umgetrieben?
Mehreres. Der Film ist auch eine Herzensangelegenheit. Ich bin Jahrgang 1955 und erinnere mich noch daran, wie ich den Kriegsdienst verweigert habe. Die Frage, was ich denn tun würde, wenn meine Freundin im Wald von fünf Russen angegangen wird – diese Frage kennt unsere Generation sicher noch. Mit eine Wurzel meines Films ist so gesehen auch eine Mischung aus Seelenarbeit und politischem Engagement. Aufgeregt habe ich mich schon vor zehn Jahren, als unter dem Radolfzeller Kriegerdenkmal der Volkstrauertag abgehalten wurde. Unter einem Denkmal, das von der SS „geweiht“ wurde.
Derzeit läuft Gerd Zahners Stück „Flüsterstadt“ mit großem Erfolg. Sein Stoff ist auch Ihrer. Gab es eine Art von Kooperation?
Ja, durchaus. Vor einiger Zeit habe ich gelesen, dass Gerd Zahner sein Stück vorbereitet. Wir sind dann zusammen über die Schießanlage gelaufen und das war der Augenblick, in dem mir klar wurde, dass ich diesen Film mache. Zahner und ich haben da in etwa die gleiche Wellenlänge und er taucht auch immer wieder in meiner Dokumentation auf.
Eine Gruppe junger Radolfzeller setzt sich dafür ein, vor der SS-Kaserne ein Mahnmal zu errichten. Unterstützen Sie diese Forderung?
Klar, denn diese sogenannte braune Zeit hier vor Ort ist noch nicht ganz aufgearbeitet. Da ist noch einiges zu recherchieren, da lagert jede Menge Stoff.
Waren Sie während Ihrer Recherchen und Dreharbeiten irgendwelchen Anfeindungen ausgesetzt?
Überhaupt nicht. Keine Drohbriefe, keine lästigen Anrufer. Aber während der Filmproduktion hatte ich den Eindruck, dass ich mich zwischen einer Flüsterstadt und einer Offenstadt hin- und her bewege. Offenstadt deswegen, weil vor allem Jüngere, aber erstaunlicherweise auch viele eher Konservative mein Projekt gut fanden. Die andere Seite, eben diese Flüsterstadt, besteht aus Leuten, die sich über die NS-Vergangenheit der Stadt Radolfzell überhaupt keine Gedanken machen. Die flüstern ja nicht mal, die sagen einfach gar nichts dazu.
Ihr Film wird mit Spannung erwartet, das Interesse daran ist groß. Denken Sie jetzt schon an eine Wiederholung?
Könnte sein, dass er 13 Tage später, also am 29.4., erneut gezeigt wird. Aber das ist noch nicht sicher.
Das Interview mit Günter Köhler führte Holger Reile
Foto: p.schmelzle
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