„Ich stehe zu meiner grünen Parteizugehörigkeit“

Langsam kommt der OB-Wahlkampf in die Gänge. Mittlerweile bewerben sich 13 KandidatInnen für die Nachfolge von Horst Frank. Der erste Wahlgang ist für den 1. Juli geplant. Als aussichtsreiche Kandidatin gilt Sabine Seeliger, die für die Grünen antritt. Im ausführlichen seemoz-Gespräch gibt sie Auskunft über ihre kommunalpolitischen Ziele. Gewinnt die promovierte Biologin die Wahl, wäre sie die erste Oberbürgermeisterin der Stadt Konstanz.

Frau Seeliger, soviele grüne und angeblich unabhängige BewerberInnen für das Oberbürgermeisteramt gab es noch nie in der Stadt und kaum einer kann erkennen, worin sich die KandidatInnen unterscheiden. Alle krähen lauthals nach Transparenz und sprechen von mehr Bürgerbeteiligung. Was wollen Sie tun, dass sich das Original deutlicher von den Plagiaten abhebt?

Ich muss für meine Inhalte und Aussagen im Wahlkampf meine Parteizugehörigkeit nicht verleugnen, sondern stehe zu meiner grünen Parteizugehörigkeit. Auch privat halte ich mich an das, was ich fordere: Statt über Carsharing zu reden, praktiziere ich es seit über zehn Jahren. Statt über Klimaschutz zu reden, habe ich mich 1997 an der Bürger-Photovoltaik-Anlage auf dem Dach der EBK beteiligt. Statt über Nachhaltigkeit zu reden, produzieren mein Mann und ich ökologisch regionale Getränke.

Statt allgemein über Bürgerbeteiligung zu reden, schlage ich konkrete, umsetzbare Maßnahmen vor: Runde Tische aller von einer städtischen Planung Betroffenen vor dem ersten Beschluss und die Möglichkeit Bürgeranträge via Internet zur Abstimmung im Gemeinderat zu bringen.

Ich vertraue auf die Intelligenz der Konstanzerinnen und Konstanzer, diese Unterschiede zwischen meinen Mitbewerberinnen und –bewerbern und mir zu sehen. Denjenigen, die meine zehnjährige Tätigkeit im Gemeinderat verfolgt haben und jenen, die sich mit den unterschiedlichen Programmen beschäftigen, wird dies leicht fallen.

Sie liebäugeln mit einer City-Maut. Wie soll die genau aussehen, wie wäre sie auch technisch umzusetzen? Schließlich wohnen wir in einer Grenzstadt mit viel Durchgangsverkehr.

Alle sind für Park & Ride mit Shuttlebussen ab der nördlichen Schänzlebrücke, möglichst auch noch mit Wassertaxis, Leihrädern, einem gut ausgebauten Carsharing-System. Ich bin bisher die einzige, die ein Finanzierungskonzept dafür vorgelegt hat.

Der Durchgangsverkehr wäre mautfrei, die B33 von der City-Maut ausgenommen. Es gibt sechs Zugänge zur staugefährdeten Innenstadt, die mit dem technischen Equipment zur Fahrzeugregistrierung ausgestattet werden müssten. Die technische Realisierung wäre damit gerade für Konstanz leicht umzusetzen; London hat 174 Zufahrtstraßen! (Anm.d.Red: Die City Maut wurde 2003 erfolgreich in London eingeführt).

Die Mautgebühr müsste nicht hoch sein, für Tübingen wurde errechnet, dass eine City-Maut von einem Euro pro Einfahrt ausreichte um den gesamten städtischen Bus kostenfrei fahren zu lassen.

Mein Vorschlag zur Einführung einer City-Maut wäre, diese nur an Samstagen und voraussichtlichen weiteren Stautagen zu erheben und damit nur an diesen Tagen neben dem kostenlosen Shuttlebus den Busverkehr insgesamt in Konstanz ticketlos zur Verfügung zu stellen. Neben den Gästen, die mit dem Auto in Richtung Konstanz fahren, sollen auch die Konstanzerinnen und Konstanzer, die ihr Auto stehen lassen und den Bus in die Stadt nehmen, belohnt werden. In den vielen bestehenden City-Maut-Gebieten, z.B. in Italien, haben Anwohner meistens 90 Prozent Ermäßigung der Gebühr.

Die einfachste Form der Finanzierung eines kostenlosen Shuttlebusses vom Park & Ride am Schänzle könnte auch durch einen Aufschlag auf die Parkgebühr erfolgen, ein Konzept, das in Stuttgart verfolgt wird.

Der noch amtierende OB hat für eine Erweiterung des Parkhauses Lago Süd gestimmt und der Gesamtgemeinderat hat sich für ein Nasenwasser diese Erweiterung abkaufen lassen. Wie hätten Sie entschieden?

Der Bürgerentscheid zum KKH ging unter anderem auch deshalb so deutlich gegen das Vorhaben aus, weil es den meisten Menschen unmittelbar einleuchtet, dass an der am schlechtesten zu erreichenden Stelle der Stadt keine Parkplätze gebaut werden sollten. Auch die Erweiterung des Lago-Parkhauses ist eine strukturelle Fehlentscheidung, wie die Stadtverwaltung in der Entscheidungsvorlage selbst geschrieben hat: „Der ruhende Verkehr ist so zu konzipieren, dass er zur Stärkung des Umweltverbundes im Modal Split beiträgt. Bezogen nur auf diese Aspekte widerspricht das geplante Vorhaben dem verkehrsplanerischen Grundziel der Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV), da mit der Parkhauserweiterung zusätzliche Fahrten insbesondere auf der Bodanstraße induziert werden.“ Zitat Stadtverwaltung Konstanz, Begründung zum Bebauungsplan „Südlich Lago“, Seite 12

Momentan wird am Bahnhof an einer Begegnungszone gebastelt. Bahnt sich da nicht ein Fiasko an, das man täglich in der Nachbarstadt Kreuzlingen erlebt?

Grundsätzlich bin ich für den Versuch, Straßenraum für Fußgänger und Radfahrer zurück zu gewinnen. Im Zuge des Umbaus Bahnhofsplatz wird auch endlich der durchgehende Radweg geschaffen, der insbesondere für Radtouristen ausgesprochen wichtig ist. Am stärksten gefährdet sehe ich das Konzept dadurch, dass geplant ist, bei Stau auf der Bodanstraße den Verkehr aus dem Lago-Parkhaus heraus in die Begegnungszone zu zwingen.

Sprechen wir über Kultur. Die Philharmonie ist in die roten Zahlen geraten und steht unter Beschuss. Am Stadttheater wird herum gemäkelt, weil es sich dabei um einen hoch subventionierten Betrieb handelt und manche auch in Konstanz einen „Kulturinfarkt“ an die Wand malen. Wie würde eine grüne Oberbürgermeisterin mit diesem Thema umgehen?

Das Stadttheater leistet mit im Vergleich zu anderen Häusern bescheidener Finanzausstattung Großartiges. Es meistert die nicht optimale Spielstätte mit den starken Einschränkungen z.B. bei der Bühnentechnik hervorragend. In Bezug auf die Philharmonie stimme ich der Theorie, dass diese zum Überleben eine optimale Spielstätte benötige, nicht zu. Die Stadt kann jeden Euro nur einmal ausgeben und ich plädiere in jedem Fall dafür, ihn lieber in Musiker zu investieren, als in teure Infrastruktur. Verbesserungen am Konzil wie z.B. die Verlegung von Flüsterschienen sind schnell wirksam und bezahlbar. Die Philharmonie selbst benötigt ein funktionierendes Kostencontrolling. Dass es nach mehreren deutlichen Hinweisen des Rechnungsprüfungsamtes zur Buchhaltung der Philharmonie keine Besserung gab, sondern sogar „plötzlich“ ein Defizit von mehreren hunderttausend Euro auftauchen kann, zeigt, dass die öffentlichen Mittel dort zu intransparent bewirtschaftet werden.

Damit im Zusammenhang: Museumsleiter Tobias Engelsing wurde vorgeworfen, er habe sich für sein Engagement bei den alternativen Fasnachtsveranstaltungen unangemessen hoch bezahlen lassen. Nun hat er den Bettel hingeworfen und Konstanz hat ein Alleinstellungsmerkmal weniger. Wie hätten Sie sich bei dieser Debatte verhalten?

Meiner Einschätzung nach ist Herr Engelsing ein Opfer dieser Intransparenz geworden. Wäre diese Ausgabe in den Abschlussberichten der Philharmonie aufgetaucht, wäre der Vorgang vermutlich kurz diskutiert und zur Kenntnis genommen worden statt zu eskalieren.

Trotz erhöhter Zuschüsse vom Land darben viele Initiativen der Freien Kultur weiter vor sich hin und kämpfen täglich um ihr Überleben. Dürfen diese Einrichtungen mit Ihrer Unterstützung rechnen?

Ja, voll und ganz.

Bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper in der Stadt. Sie haben bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass es Wohnbaureserven gäbe, die den Mangel kurzfristig und teilweise beheben könnten. Welche Flächen meinen Sie?

Projekte, die im Bau oder in Planung sind mit über 50 Wohneinheiten: Austraße, Bücklestraße, Hofgarten V, Gärtnerei Brunner, Schneckenburgstraße, Chèrisy I und II (auch wenn man an der Zweckbindung der konkreten Planung zweifeln kann), Gottfried-Keller-Str., Schmidtenbühl Nord (200 WE), Petershausen Bahnhof, Bruder-Klaus-Str., Eichendorff-Siebenbürgener Weg, Sonnenbühl (Alte Laborgebäude) und Jacob-Burckhardt-Str.

Darüber hinaus gibt es mittelfristig verfügbare Flächen wie z.B. das Döbele (Wohnen plus Park) oder den Lutherplatz, der aufgrund der hervorragenden Wohnlage nicht für ein Parkhaus genutzt werden sollte. Manche Industriebrache wie Ravensberg oder die Halle gegenüber Kula ist in den Listen der Wohnbaureserven gar nicht enthalten. Ebenso eventuell umsiedlungswillige Gewerbebetriebe, die bei entsprechendem Angebot im Industriegebiet für das Wohnen geeignete Flächen in der Stadt frei geben würden.

Seit langen Jahren wird gefordert, den Büdingen-Park zum Bürgerpark zu machen. Klingt nett, ökologisch und bürgernah, aber wäre an dieser Stelle nicht auch bezahlbarer Wohnraum zu schaffen, evt. mit der Wobak zusammen? Grünflächen rund um das Büdingengelände gibt es doch genug. Trauen Sie sich da ran, auch wenn Ihr Klientel umgehend Protest anmelden würde?

Schon während meiner Zeit im Gemeinderat wurde die Möglichkeit geprüft. Es scheiterte damals an den Kosten eines Rückkaufs und drohender Entschädigungsansprüche der Grundstückseigentümer. Bezahlbarer Wohnraum würde das bestimmt nicht.

Thema Sozialpolitik. Da findet man in fast allen Programmen wenig bis gar nichts. Auch in Ihrem Programm ist da kaum was zu lesen. Da drängt sich das Gefühl auf, die Wahlkampfthemen beschäftigen sich fast ausschließlich mit den Wohlstandsproblemen der Satten und Reichen, obwohl auch hier bei uns soziale Armut zunehmend ein Thema ist. Nehmen wir bspw. den Sozialpass. Bisher gibt es bei der Benutzung des ÖPNV nur Ermäßigungen für Einzeltickets. Und: Die Teilübernahme von Vereinsbeiträgen gilt nur für Minderjährige. Außerdem gilt der Pass nur sechs Monate. Besteht da nicht Handlungsbedarf?

Ein Wahlkampf hat eine eigene Dynamik und aus den sozialen Fragen steht das bezahlbare Wohnen im Mittelpunkt. Bezüglich der Überprüfung und Verbesserung der mit dem Sozialpass verbundenen Leistungen, insbesondere der Ermäßigung von Monatsfahrkarten und Vereinsmitgliedschaften, stimme ich zu. Vielleicht ist es gar nicht verkehrt, diese Themen in Form von normaler Beschlussvorlage und Diskussion im Ausschuss zu behandeln. Ich rege darüber hinaus an, den Sozialpass gegen Stigmatisierung zukünftig im Format einer Chipkarte zu gestalten.

Mit dem Projekt „Soziale Stadt“ im Berchengebiet wurde ein Anfang gemacht, Modelle für soziale Brennpunkte zu entwickeln. Die finanzielle Förderung läuft nun aus. Doch auch in anderen Quartieren gibt es Probleme in vergleichbarer Form. Wird sich eine grüne Oberbürgermeisterin dafür einsetzen, sich um die Nöte von sozial Benachteiligten auch in anderen Stadtteilen zu kümmern?

Ich sehe die Entwicklung des Berchen-/Öhmdwiesen-Quartiers im Rahmen des Projekts Soziale Stadt ebenfalls als vorbildlich. Damit der neue gegründete Verein „Miteinander in Konstanz e.V.“ die Aufgaben übernehmen kann, wäre vermutlich die Unterstützung durch eine städtische Koordinierungsstelle für Bürgerschaftliches Engagement sinnvoll. Für eine solche Stelle setze ich mich ein. Auch zur Sicherung des Wissens und der Erfahrung und damit zur Übertragung auf andere Quartiere wäre diese Stelle sinnvoll.

Ein Blick zurück, da dieses Thema immer noch für massive Kritik aus der Bevölkerung sorgt: Eine Mehrheit des Gemeinderates, darunter auch einige RätInnen aus Ihrer Fraktion, hat der Kündigung von Müller-Esch zugestimmt. Dieses Desaster hat die Stadt fast eine Million Euro gekostet und den Ruf des Klinikums beschädigt. Das Klima unter den Beschäftigten ist lausig. Wie hätten Sie in diesem Fall entschieden? Was hätten Sie anders gemacht?

In diesem Fall wie auch im Maultaschen-Fall wären sicher ausnahmslos alle froh, wenn es jemanden in der Verwaltung gegeben hätte, der mit gesundem Menschenverstand eine unsinnige Eskalation unterbrochen hätte. Meiner Meinung nach zeigt sich daran, dass eine allzu juristische Sichtweise hinderlich sein kann – ein Argument das für eine Quereinsteigerin aus der Wirtschaft in die Politik wie mich spricht.

Seit Jahren wird behauptet, das anstehende Konziljubiläum bringe ab 2014 die halbe Welt zu uns. Rund 5 Millionen Euro will sich die Stadt das Spektakel kosten lassen. Sie haben bei Ihrer Nominierung erklärt, man müsse schauen, dass die Veranstaltung „nicht peinlich“ wird. Geht es etwas konkreter? Was halten Sie für sinnvoll und auch finanzierbar?

Normale Bürgerinnen und Bürger, auch normale Touristen wissen vermutlich nicht, was „Konzil“ heißt. Wenn jemand etwas mit dem Begriff „Konstanzer Konzil“ verbindet, dann am ehesten die Verbrennung des Jan Hus. Ich bin nicht mit den Details der Planungen zum Konzil-Jubiläum vertraut, aber es erscheint mir geradezu unmöglich, dieses Beispiel von religiöser Intoleranz und Verfolgung in unterhaltsamer Form aufzugreifen. Für ebenso unerfüllbar halte ich die Erwartung, den Spannungsbogen für eine Veranstaltung über mehrere Jahre aufrecht zu erhalten. Für konkretere Aussagen muss ich mich jedoch zunächst mit der Planung auseinander setzen.

Die Fragen stellte Holger Reile