„Negativerinnerung“ im Sonderangebot

Wäre da nicht ein nach ihm benannter Weg, dann würde sich vermutlich kein Schwalbenschwanz mehr an den NS-Schreibtischtäter Wilhelm von Scholz erinnern. Nun aber wird der braune Bodensatz nochmal hoch gekocht und intellektuell verbrämt. Neo-Scholzianer wollen am Scholz-Weg festhalten.

Wieder mal wurde die Bevölkerung in das Schloß Seeheim geladen, um über das Erbe von Wilhelm von Scholz zu diskutieren. Die FDP spielte den Gastgeber, aber schon bei der Begrüßung durch FDP-Stadtrat Heinrich Everke war klar, dass da erneut Südkurier-Redakteur Siegmund Kopitzki seine seltsamen Strippen zog. Sein Bemühen, von Scholzens Schulterschluss mit den Nazis zu verharmlosen, wirkt mittlerweile nicht nur grotesk, sondern zunehmend pathologisch.

Assmanns ungewollte Schützenhilfe

Als Referentin konnte man die überregional bekannte Wissenschaftlerin Aleida Assmann gewinnen. Sie hat sich einen Namen gemacht als „Erinnerungsforscherin“ und als solche sollte sie der Scholz-Veranstaltung höhere Weihen bescheren. Für jene, die schon immer der Meinung waren, Scholz sei lediglich ein ganz normaler Nationalkonservativer gewesen, waren Assmanns Aussagen Balsam auf die Seelen. Ihre Kernthese, dass „strafendes Vergessen“ auch beim Thema Scholz zu dürftig sei, Geschichte auf diese Art nicht entsorgt werden könne und sie im Zusammenhang damit den Begriff der „Negativerinnerung“ in die Diskussion brachte,  kann man akzeptieren. Deutlich wurde aber von Anfang an, dass Aleida Assmann auf den konkreten Fall Wilhelm von Scholz schlecht vorbereitet war.

Der Dichter, so Assmann sinngemäß, sei „keine Ausnahme“ und nur einer von vielen Mitläufern gewesen. Offen gab sie zu, dass sie ihre Kenntnisse zu Scholz  überwiegend den Südkurier-Beiträgen Kopitzkis entnommen habe. Dann wundert einen nichts mehr. Als sie auch noch ihrer Verwunderung Ausdruck gab, warum es erst jetzt und nicht schon früher eine Debatte über die Ergüsse des Literaten zwischen 1933 und 1945 gegeben habe, froren auch manchen Neo-Scholzianern kurzfristig die Gesichtszüge ein. Nur wenige Debatten wurden in dieser Stadt über lange Jahrzehnte so intensiv geführt wie die über Scholz. Das sollte man wissen, wenn man sich darüber öffentlich äußert.

„Etikettenschwindel“ im Anmarsch

Am 18.Januar tagt erneut die Straßenbenennungskommission, die darüber diskutieren wird, nach wem der Scholz-Weg neu benannt werden soll. Bis vor kurzem sprach sich eine Mehrheit des Gemeinderates dafür aus, das auch zu tun. Nun aber knicken einige Räte ein und verstecken sich sichtlich erleichtert hinter der Forderung Assmanns, „Negativerinnerung“ zu pflegen. Die Referentin hatte dann auch einen Vorschlag zur Hand, wie man aus der Geschichte geschickt heraus käme. Man möge doch, so die renommierte Wissenschaftlerin allen Ernstes, den Wilhelm-von-Scholz-Weg in von-Scholz-Weg umbenennen. Eine bizarre Idee, die von den Stadträten Peter-Müller Neff (FGL) und Roland Wallisch (FGL) dankbar aufgenommen wurde. Hinter der Reputation einer international bekannten Wissenschaftlerin lässt es sich auch bequem verstecken.

Nur FGL-Rat Werner Allweiss wehrte sich vehement gegen diesen „Etikettenschwindel“ seiner grünen Ratskollegen, deren Argumente von bedrückender Schlichtheit geprägt waren.
Man könnte die Negativerinnerung ja auch auf die Spitze treiben: Wie wäre es, die Seestraße in Himmler-Promenade umzubenennen?  Wenn schon Negativerinnerung, dann richtig.

„Positiverinnerung“ nicht mehrheitsfähig?

Mag sein, dass sich die Referentin Aleida Assmann später im stillen Kämmerlein gefragt hat, ob mit ihren durchaus diskutablen Thesen bei der Scholz-Debatte nicht doch kalkulierter und sinnentstellender Missbrauch getrieben wird und ihr Auftritt an Scholzens alter Täterstätte oberflächlich und tendentiell blauäugig war. Sicher, man kann sich sein Publikum nicht aussuchen, aber vor allem Assmanns Einschätzung, von Scholz habe zwischen 1933 und 1945 keine herausragende Rolle gespielt, entbehrt jeder Grundlage und zeugt von erstaunlicher Unkenntnis längst bekannter Fakten.

Ich persönlich bleibe dabei und plädiere für Positiverinnerung. Der Weg muss umbenannt werden. Als der überzeugte Nationalsozialist Wilhelm von Scholz im Spätherbst 1943 von Reich, Führer und Endsieg träumte und sich dafür von Massenmördern fürstlich entlohnen ließ, wurde das Konstanzer Ehepaar Risch wegen sogenannter Wehrkraftzersetzung in Berlin enthauptet. Sie waren nicht die einzigen Konstanzer, die ihren Mut mit dem Leben bezahlen mussten. Doch für die Schicksale vergessener Widerständler interessierte sich an diesem Abend kaum jemand.
Stellvertretend für eine Mehrheit äußerte ein Besucher seine tiefe Besorgnis: „Wenn das so weiter geht, dann werden noch mehrere Straßen nach Widerstandskämpfern benannt“. Der Negativerinnerer wurde mit starkem Beifall bedacht.

Autor: Holger Reile