„Relikte von gestern beim Südkurier“
Es gab eine kämpferische Mai-Rede von Uwe Hück, dem Porsche-Betriebsrat, in Singen und eine brillante Ansprache von Gregor Gysi in Zürich. Wir aber dokumentieren die 1.Mai-Rede, die Gerhard Manthey im Konstanzer Stadtgarten gehalten hat. Das ist viel Lesestoff, nur geringfügig redaktionell bearbeitet, aber von vorne bis hinten lesenswert. Vor allem die letzten, auf die aktuellen Auseinandersetzungen beim Südkurier bezogenen Passagen empfehlen wir unserer geschätzten Leserschaft.
„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
als Vertreter aus dem Fachbereich Medien, Kunst und Industrie meiner Gewerkschaft ver.di freue ich mich, an diesem Feiertag der Arbeiter in der Stadt von Joseph Fickler, Franz Joseph Egenter, Johann Nepomuk Letour, aber auch Johann Georg August Wirths zu sein. Und ich wäre froh, wenn Konstanz noch eine Tageszeitung wie die damaligen „Seeblätter“ hätte.
Ich möchte meine Mai-Rede im Gedenken und im Geiste der badischen 1848/1849er Bewegung, den arbeitenden Menschen hier in und um Konstanz, den freiheitlich- und radikal-demokratischen Bürger und Bürgerinnen dieser Region und insbesondere der Pressefreiheit widmen. Faire Löhne – soziale Sicherheit – gute Arbeit – Das ist das Mindeste! Das ist das Motto unseres Tages. Und diesen 1. Mai lassen wir von niemand Anderem besetzen.
Kein Tag zum Schüren der Fremdenfeindlichkeit
Wenn heute in Halle, Greifswald und Heilbronn die Neonazis zu Mai-Demonstrationen unter dem Motto „Fremdarbeiter-Invasion stoppen“ aufrufen, dann trifft das unseren Widerstand: Nazis haben nichts mit der Arbeiterbewegung gemeinsam. Und wenn diese Faschisten unter dem Deckmantel der Kapitalismus- und Globalisierungs-Kritik am heutigen 1. Mai, da endlich für die lettischen, estnischen, polnischen, tschechischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die EU-Freizügigkeitsregeln auch bei uns in Deutschland gelten, dann ist das kein Tag zum Schüren der Fremdenfeindlichkeit.
Es ist tragisch, dass die sozialdemokratische Partei Deutschlands es nicht geschafft hat, den Steigbügelhalter von Rassismus, Sozialdarwinismus Sarrazin aus ihren Reihen zu entfernen. Wir brauchen weder ihn noch die Neofaschisten. Wir grüßen von Konstanz aus unsere Kolleginnen und Kollegen in Heilbronn, die Gewerkschafter, die Bürger und Bürgerinnen, die in vielen demokratischen Organisationen heute den 1. Mai mit einer Gegendemonstration unter dem Motto “ Gemeinsam Nazis blockieren“ verteidigen. Es gibt keine Gemeinsamkeiten mit Faschisten, Rassisten, Antisemiten. Dafür stehen wir als DGB als Gewerkschaften. Denn wir wissen: Zuwanderung dient unser aller Wohlstand.
Allerdings haben unsere Regierungen in Deutschland durch ihre bornierte Bremserpolitik bei der Fremdenfreizügigkeit verhindert, dass qualifizierte Facharbeiter in den vergangenen Jahren zu uns gekommen sind. Diese sind lieber nach Großbritannien oder in die Schweiz ausgewandert. Die ungelernten Arbeiter wurden von profitgeilen Baufirmen zu Dumpinglöhnen dagegen bei uns beschäftigt und senken damit das Lohnniveau in der Branche unter den dort geltenden Mindestlohn. Denn die Kontrollen sind immer noch zu gering. Diese Ausgrenzungspolitik hat am heutigen 1. Mai endlich ein Ende.
Freizügigkeit darf aber nicht dazu missbraucht werden, noch mehr Menschen in unsichere Beschäftigung und in den Niedriglohnsektor zu drängen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Das ist gerecht. Und so wollen wir es!
Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn
Wir haben mit viel Druck und Widerstand eine Lohnuntergrenze in der Leiharbeit erkämpft. Wir brauchen aber einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn für alle Beschäftigten. Ohne jede Ausnahme. Jetzt! Das ist das Mindeste!
Und wenn das nicht kommt, werden wir auch dafür auf die Straße gehen wie gegen Stuttgart 21 oder gegen die Atomkraft. An die Adresse aller in dieser Republik und in dieser Welt: Als Gewerkschafter sind wir eine Internationale. Für uns gibt es Arbeitnehmer und keine Immigranten, gleichviel, wo sie herkommen. Wir haben etwas gegen Menschen, die gegen Demokratie, Menschenwürde und Gleichberechtigung sind. Darum: Wir kämpfen auch gegen alle konservativen Politiker, die mit solch einer falschen Einwanderungspolitik den Zuzug von Facharbeitern und integrationswilligen ausländischen Arbeitnehmern verhindern und über ihre Lohnpolitik versuchen, uns gegeneinander auszuspielen.
Unsere Solidarität und Grüße gelten den Menschen in Syrien, im Jemen, in Lybien, Ägypten und Tunesien. Wir müssen uns schämen, dass unsere Politiker und Regierungen mit deren Diktatoren jahrzentelang im Namen des Profits und der guten Geschäfte lieber Waffen geliefert haben, Stillschweigen bei Verletzung von Menschenrechten den preiswerten Öllieferungen vorgezogen haben. Die Assads, Mubaraks, Ghadafis, Seleks dieser Welt müssen durch demokratisch gewählte Regierungen ersetzt werden. Und dabei müssen wir den Völkern helfen. Aber nicht mit militärischen Interventionen durch die Nato. Das ist der übliche Imperialismus. Den machen wir nicht mit. Was wir brauchen, sind Partnerschaften zwischen den Gewerkschaften dort und uns und unseren Betrieben und Familien.
Bildung statt Waffen für Arabien
Mit Geld für Bildung in deren Land zum Aufbau von Schulen, von Ausbildungsstätten mit dualen Ausbildungs-Systemen müssen wir dafür Sorge tragen, dass diese Menschen nicht den Schlepper-Organisationen in die Hände fallen, ihr letztes Geld von ihnen nehmen, um in Lampedusa zu landen. Partnerschaften von hier aus in alle diese Länder, die den Menschen dort in ihrem Lande helfen, lebensfähige Infrastrukturen schaffen, sind besser als sie hier in Ghettos anzusiedeln.
Unsere Solidarität und unser Mitgefühl gilt den Menschen in Japan und Alabama, die durch Katastrophen ihre Arbeitsplätze, ihr Hab und Gut und viele ihre Angehörige verloren haben. Dies zeigt uns, dass unsere Welt nicht nur durch Faschisten und Diktatoren bedroht wird, sondern auch durch Katastrophen, die ihre Ursachen darin haben, wie wir mit unserer Welt, auf der und von der wir leben, umgehen. Wir sind mitten in den Katastrophen, die durch die Art und Weise entstehen, wie wir das Kapital und die Politik ohne effektive Kontrollen regieren und Bodenschätze abbauen lassen oder auch selbst durch unser Verbraucher-Verhalten fördern.
Tschernobyl vor 25 Jahren hat uns aufgeschreckt, aber nicht zu einer grundlegenden Änderung unserer Atomenergie-Politik gebracht. Es bedurfte erst der menschengemachten Katastrophe von Fukushima , um uns drastisch und schlagartig vor Augen zu führen: Wir müssen heute etwas ändern und in die Wege leiten, damit wir und unsere Kinder eine Chance auf dieser Welt haben.
Wann führen wir den nächsten Krieg um Öl?
Andere Katastrophen, wie zum Beispiel die Klimakatastrophe, verlaufen schleichend, nicht abrupt bemerkbar. Denken wir an die Katastrophe: Bevölkerungswachstum. In diesem Jahr wird die Sieben-Milliarden Grenze überschritten. Wer sorgt sich darum, wie diese Menschen leben und arbeiten? Wir hier in den hoch entwickelten Ländern leben von ihren Ressourcen, Bodenschätzen. Wie lange noch und wie lange noch friedlich? Wann führen wir den nächsten Krieg um das Öl für unsere Autos, unsere Baumwollhemden. Wann schicken wir deutsche Soldaten in fremde Länder, um den Strom aus der Sahara für uns zu reservieren oder das Trinkwasser vor dem Verbrauch der jeweiligen Bevölkerung des Landes zu schützen, um es für die Produktion, für die Waren der großen Weltkonzerne zu nutzen?
Wir machen das heute schon. Ölförderung in Afrika oder der Abbau seltener Erden. Es ist uns egal, wie die Menschen dort sterben. Wann begreifen wir, dass dies eine Katastrophe ist wie Fukujima – und eines nicht mehr fernen Tages auf uns zurückfällt? Faires Leben – soziale Sicherheit – gute Arbeit. Das ist das Mindeste – auch für diese Menschen! Denn auch dort ist der 1. Mai!
Keine Geldgeschenke an die Atom-Energie-Betreiber
Atomkraft – Bevölkerungswachstum – steigender Energieverbrauch- wie verhalten wir uns dazu? Es ist ein Denkfehler zu glauben, dass eine Technologie wertneutral ist und zum Guten wie zum Bösen verwendet werden kann. Genau das trifft bei der Kerntechnologie nicht zu. Fukushima hat uns das durch die Katastrophe mit einem Schlag deutlich gemacht und unsere lange überdeckten Ängste bloßgelegt. Kernenergie ist keine Option für das langfristige Überleben der Menschheit. Kernenergie taugt auch nicht als Brückentechnologie. Die Konsequenz: Energie sparen, wo sie bisher von uns und von der Wirtschaft verschwendet wurde.
Der hier erzeugten alternativen Energie ein Stromnetz bauen, das den vorhandenen Strom in jeden Winkel unseres Landes bringt, wo er benötigt wird. Schnellstens und gut geplant und in öffentlichem Besitz. Und : Alternative Energie schnellstens ausbauen. Kohlekraftwerke, die heute in Planung sind, wo immer möglich in Kraft-Wärme-Kopplung plus Gaskraftwerke für die Übergangszeit zu bauen. Diese werden den Ausstiegs-Prozess aus der Atomenergie begleiten.
Hier fordern wir Klarheit. Hier fordern wir Wahrheit. Hier darf es keine Geldgeschenke an die Atom-Energie-Betreiber geben und keine Energie-Preis-Erhöhungen, weil den Atomkonzernen die Milliarden-Gewinne aus den Laufzeitverlängerungen ihrer Oldtimer-Meiler entgehen oder nicht vorhandene Engpässe mit Preiserhöhungen bezahlt werden. Und eines ist für uns aber auch klar: Ausstieg aus der Atomindustrie muss mit einer sozialverträglichen Gestaltung für die betroffenen Arbeitnehmer in diesen Konzernen einhergehen. Keine betriebsbedingten Kündigungen. Gleichzeitige Entwicklung einer Arbeitsplatzperspektive bei einer ökologischen Energie- und Umwelt-Politik. Das ist unsere Forderung. Soziale Sicherheit Das ist das Mindeste!
Umwelt ist das nächste Stichwort, liebe Kolleginnen und Kollegen. Welternährung, Recycling, Öl- und Wasserverbauch. Verschmutzung der Weltmeere mit meterdicken und kilometerlangen Plastikmüll-Inseln, die um die Erde schwimmen. Das Wesentliche wäre, unseren Politikern in den Parteien und Regierungen Vernunft in die Bücher zu schreiben. Zwingend, überprüfbar, nachweisbar. Wenn es sein muss, mit einem Politikwechsel, mit Bürgerdemokratie und sehr viel mehr Mitbestimmung in Politik und Betrieb als heute.
Tempo 100 auf den Autobahnen
EU-Gipfel, G8, G23-Gipfel – diese millionenverschlingenden Mammut-Treffen in isolierten und für die Bürger gesperrten Städte, die stacheldrahtbewehrten Hotelburgen oder Meeresinseln sind nicht in unserem Sinne. Politik muss von unten nach oben aufgebaut werden. Politik muss regional gestaltet und im Regionalen beginnen. In der Gemeinde, der Stadt, der Region und dem Land- und dann in die Vernetzung und Abstimmung mit anderen münden. Der Globalisierung ist in vielen Bereichen eine umfassende De-Zentralisierung an die Seite zu stellen.
Es geht nicht darum sich zu isolieren, weltweite Abstimmungen einzustellen, wie zum Beispiel Kyoto. Aber Wirtschaftskonzerne dürfen nicht mehr ihren Profit als alleinige Richtschnur haben, sondern ebenso die Infrastruktur des Landes und die dort betroffenen Menschen, wo sie ihre Produkte herstellen lassen. Wir müssen dort anfangen, wo wir Einfluss haben. Hier können wir mit Beispielen aufwarten, die Schule machen können. Dänemark lebt heute schon ganz von erneuerbaren Energien. Der Hoffnungsträger sind wir selbst.
Dazu müssen wir uns selbst aber ernster nehmen. Von uns selbst die Konsequenzen fordern und einlösen, die eine nachhaltige Wirtschaft und ein umweltfreundliches Leben vorantreiben. Als erster Schritt: Tempo 100 auf den Autobahnen. Geht nicht? Gibt’s nicht. Auch wenn jeder Autofahrer und der ADAC dagegen stehen. Wie sonst wollen wir die endlichen Ölvorkommen bewahren und für sinnvollere Produktionen ausgeben als den kostbaren Rohstoff Erdöl in die Luft zu pusten und uns die Klimakatastrophe zu bescheren? Windhosen in Alabama und in Mecklenburg Vorpommern, weil das Klima sich ändert und die Landwirtschaft große Anbauflächen will. Ergebnis: Tote und Millionen Geldschaden. Umweltfreundliche Autos, Hybrid-Motoren, Gas-.Motoren, Elektro-Autos und auf jeden Fall einen besseren Schienennahverkehr.
Die Autostaus zwischen Singen und Stuttgart sind legendär
Wer öfters von Stuttgart nach Konstanz fahren muss, weiß, von was er dreieinhalb Stunden redet. Und die Autostaus zwischen Singen und Stuttgart sind legendär. Mehrere Millionen Stunden im Autostau verbracht – bei laufendem Motor. Das kostet Geld und fördert den Hautkrebs. Und in der Zwischenzeit ist an den Tankstellen zwischen Singen und Rottweil der Spritpreis um zehn Cent gestiegen.
Von den Portugiesen, denen wir und die EU Bürgschaften für ihre Staatsschulden leisten, erwarten wir, dass sie sparen und nur noch Tempo 100 fahren. Denn die Arbeiter haben dort kein Geld mehr für Benzin. Warum also nicht wir? Und wenn jeder indische Arbeiter und jeder chinesische Kollege, der für uns die Ipods von Apple zum Billiglohn produziert, auch so eine vier bis sieben Liter Benzin verbrauchende Kutsche haben will statt seines Fahrrades? Ja, das müssen wir ihm verbieten, denn dann ist das Weltklima noch schneller am Ende.
In Kyoto wird das Problem nicht gelöst.Das Problem lösen wir nur durch unser eigenes Konsumverhalten. Unser chinesischer Arbeitskollege will ebenso gut wie wir leben. Oder unser polnischer, estnischer, ungarischer. Aber auf einem Müllplaneten haben wir gemeinsam keine Zukunft. Darum fangen wir an: Was sozial ist, was nachhaltig und umweltfreundlich ist, schafft Arbeit. Uns könnte es allen besser gehen mit nur zwei Prozent Wachstum auf der Welt.
Wirklicher Wettbewerb auf der Welt ist nicht der Wetteifer darum, wer seinen Bürgern größeres Leid abverlangen kann. Wettbewerb ist nicht Wachstum um jeden Preis. Und wenn der Landstrich ausgebeutet wurde, werden die Arbeiter entlassen und der Konzern zieht zwei Länder weiter. Wettbewerb um Produkte und Technologien, die die Erde erhalten und schonen. sind notwendig.
Davon können sowohl die Kapitaleigner als auch die Arbeitnehmer profitieren. Dabei müssten sich alle aber damit bescheiden, nur zwei Prozent Wachstum zu haben. Das aber wollen die Akteure der Finanzwirtschaft und die Aktionäre von Konzernen auf keinen Fall. Die Deutsche Bank hat in der vergangenen Woche einen Vierteljahresgewinn von drei Milliarden vor Steuern vermeldet. Der Dax stieg auf 7362, einige Bankangestellte werden in diesem Monat bestimmt noch entlassen.
Der Löwenanteil dieses Profits kommt aus dem Investmentbanking, der andere Teil aus dem profitablen Zukauf der Postbank. Die Kleinkunden dürfen dort ihr Spar-Geld abgeben zu kleinen Zinsen. Mit diesem Kapital wird dann am Markt groß gezockt. Und wenn es schief geht, kommt unsere Regierung, rettet mit unserem Steuermilliarden die Banken und erklärt uns, es hätte keine Alternative gegeben.Da haben wir uns belügen lassen, weil wir zu wenig nachgehakt haben.
Wenn die EU Irland hilft, dann hilft sie auch den deutschen Banken
Warum lassen wir uns das bieten? Warum laden wir uns nicht aus Island die Bürger und Bürgerinnen ein, die Ihre Banken und Politiker zum Teufel gejagt haben, die das ganze isländische Volk für Jahrzehnte an den Bettelstab gebracht haben und lernen von ihnen, wie man konsequent einen Politikwechsel vollzieht?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kennt ihr die Geschichte von der Eisbär-Datei, die im Gebäude Tango aufbewahrt wurde? Es geht um schmutzige Deals eben dieser Deutschen Bank, die mitgeholfen haben soll, dass 15 Firmen zusammen mehr als 300 Millionen Euro durch Luftnummern beim Zertifikate-Verschieben an Steuern hinterzogen haben sollen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt schon länger, als sie sich das vorgestellt hat.
Als unsere Regierung im November 2010 mit unseren Steuergeldern in der EU zusammen mit dem Geld unserer anderen europäischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen Irland retteten, da waren die deutschen Banken begeistert. Wenn die EU Irland hilft, dann hilft sie auch den deutschen Banken, weil diese der zweitgrößte Gläubiger Irlands sind. Irland war nämlich die Spielbank der Banken. Dort war erlaubt, was anderswo verboten war. Gezockt ohne Kontrolle und ohne Grenzen. Die nächste Finanzkrise kommt.
Finanzkrisen kommen immer wieder, solange wir den Banken keine weltweite wirksame Kontrolle entgegensetzen. So lange wir das Investmentbanking nicht verbieten. Es darf keine Luftgeschäfte mehr geben. Es darf keinen Derivate-Handel mehr geben, keine Swaps mehr, auf die gierige Stadtkämmerer zur Sicherung ihrer Haushalte hereinfallen und ganze Gemeinden in die Insolvenz treiben. Das ist das Gebot der Stunde. Sicherheit im Geldgeschäft – das ist das Mindeste. Ein Blick auf den Euro, auf die Europäische Zentralbank und auf die Politik der EU sagt uns, dass dieses Ziel nicht angestrebt wird. Die Geldlobby ist noch stärker.
Die Schuldenquote in Europa stieg von 66 auf 84 Prozent. Nun haben die Politiker für die jeweils Armen und Arbeiter in Portugal, Irland, Griechenland und Spanien eine Zwangsdiät verordnet. Perfiderweise werden diese Länder die P i g s – Länder genannt. Beschäftigte, Arbeitslose, Rentner sollen die Suppe auslöffeln. Die Reichen gehen mit einigen kleinen Dellen ungeschoren davon.
Wir müssen die europäische Spaltung – dort arme, hier starke und reiche Staaten und Wirtschaften verhindern. Um aus den Schulden herauszuwachsen, braucht es in den Überschussländern – also insbesondere bei uns – höhere Löhne und mehr öffentliche Investitionen. Nur wenn eine Balance zwischen Export und Import besteht, sind kontrolliertes Wachstum und Wohlstand für alle möglich. Ansonsten heißt es: Maikäfer flieg. Euroland ist abgebrannt.
Sind Unternehmer demokratisch belehrbar?
Hat der Kapitalismus eine Chance? Ja, aber nur, wenn wir beginnen, ihn zu begreifen und anfangen, ihn umzubauen. Wenn demnächst zusammen mit den von Entlassung bedrohten Arbeitnehmern auch die richtigen Arbeitgeber und Investoren auf die Straße gehen würden und gegen die Zocker aufbegehrten. Das wäre ein Anfang.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben Wahlen. Wir können Rechenschaft und Transparenz fordern. Wenn wir schon die Schulden für die Reichen tragen, dann fordern wir: Faire Löhne, gute Arbeit, soziale Sicherheit und paritätische Mitbestimmung im Unternehmen. Das ist das Mindeste.
Sind Unternehmer demokratisch belehrbar? Diese Frage müssen wir uns als Gewerkschaft und Beschäftigte im Unternehmen täglich stellen. Betriebsratswahlen sind so wichtig wie Wahlen zum Gemeinderat, Landtag , Bundestag oder für Europa. Wir müssen noch mehr Sorgfalt und Arbeit dafür aufwenden. Und: Wir brauchen sehr viel mehr Mitbestimmung in den Unternehmen. Der Ausgleich von Kapital und Arbeit kann in einem Unternehmen nur mit einer wirklich paritätischen Mitbestimmung geschaffen werden. Erst dann haben wir auch Demokratie im Betrieb,
Beim Südkurier will nur noch die Geschäftsleitung bestimmen
Hier ist ein Beispiel aus Konstanz: Es geht um die Beschäftigten des Südkurier, eurer Zeitung. Die Zeitung ist ohne Zweifel ein kapitalistisches Unternehmen, das aber der Pressefreiheit verpflichtet ist. Und das sich an die Verträge halten soll, die es mit seinen Beschäftigen vereinbart hat. Wie steht das so beim Südkurier? Die Geschäftsleitung leistet gute Arbeit. Das Unternehmen, bzw. seine Beschäftigen erwirtschaften Gewinn. Ohne Frage haben es die bundesdeutschen Zeitungen nicht nur mit konjunkturellen Auf und Abs zu tun wie auch die übrige Wirtschaft. Es gibt auch einen Strukturwandel des gesamten Medienbereiches, der mit zukunftsfähigen Medien im Sinne der Erhaltung von Pressefreiheit und Qualität in der journalistischen Arbeit und den Arbeitsplätzen entwickelt werden muss.
Es ist keine leichte Aufgabe, im Regionalen einen aus Werbung und Verkauf finanzierbaren Qualitätsjournalismus zu ermöglichen. Aber: Die Belegschaft ist qualifiziert, hoch motiviert, flexibel, fleißig und, wenn es sein muss, auch zu Opfern bereit. Die Kardinalsfrage aber ist: Warum stellt ein Unternehmer seine Ideologie höher als das gemeinsame Suchen und Finden von Arbeitsbedingungen, die von den Beschäftigten gewünscht werden und die das Unternehmen in der Gewinnzone belassen?
Der Standort und die Zukunft des Blattes sind sicher. Aber nicht mit Tarifverträgen, sagt die Geschäftsleitung. Das sind Relikte von gestern. Wir wollen Verträge mit unseren Beschäftigten ohne solche Fesseln. Und die versucht alles, bis zum Verstoß gegen geltendes Recht, um in fürsorglicher täglicher Belagerung der Beschäftigten diese zu zwingen, per Einzelarbeitsvertrag diese schlechteren Konditionen zu akzeptieren. Der Südkurier soll zu einem Unternehmen gemacht werden, in der nur noch die Güte und der Willen der Geschäftsleitung über Arbeitszeiten, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Überstunden-Bezahlung bestimmt.
Gute Leute, die gute Arbeit leisten brauchen auch gutes Geld. Brauchen Tarifverträge. Brauchen geregelte und rechtlich verbindliche Arbeitsbedingungen. Brauchen eine verbesserte Mitbestimmung im Betrieb. Die Beschäftigten haben mehrheitlich für einen Haustarifvertrag votiert. Die Geschäftsleitung verweigert das nicht nur, sie hintertreibt es mit allen Mitteln.
Wir hoffen auf die Unterstützung der Leser
Deshalb stellen wir heute die Öffentlichkeit her und appellieren an die Konstanzer Bürger und Bürgerinnen: Unterstützt die Beschäftigten bei dieser Auseinandersetzung. Tarifverträge sind Demokratie im Betrieb. Wir wollen den Südkurier aber als ein Blatt, das eine Zeitung darstellt, die dem grundgesetzlichen Gebot der Pressefreiheit dient, seine Beschäftigten auch an demokratischen Rechten und Plichten misst. Und Tarifverträge gehören zu diesen Rechten und Pflichten.
Tarifverträge sind keine Straßenverkehrsordnung, die man übertreten kann, wenn keiner hinsieht. Pressefreiheit braucht qualitätsvolle Arbeitsplätze. Im Druckbereich, bei den Verlagsangestellten, bei den Redakteuren. Diese Auseinandersetzung geht in den kommenden Wochen in eine heiße Phase. Wir hoffen auf Eure Unterstützung. Im Großen wie im Kleinen
Die Agenda 2010 muss weg
Liebe Kolleginnen und Kollegen: Der 1. Mai wurde vor wenigen Tagen von den Politikern zum Jobwunder-Tag erklärt. Fanfarenklänge. Der Rückgang der Arbeitslosen auf 3.08 Millionen. Als wenn das ein Sieg wäre: Gerecht geht anders. Aber schauen wir uns diese Fanfarenzahlen an: In diesen Zahlen fehlen alle Menschen über 58 Jahre. Die wurden von der Statistik gar nicht erfasst.
830 000 Menschen erhalten Arbeitslosengeld I. 4,7 Millionen Menschen erhalten Arbeitslosengeld II. Eine Million und vierhunderttausend Menschen sind so beschäftigt, dass sie als sogenannte Aufstocker um Geld bitten müssen. Volle Arbeit aber der Lohn reicht nicht zu leben. Das ist nicht gerecht, das ist nicht fair, das ist nicht sozial. Eine gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro. Das wäre das Mindeste.
28 Millionen Menschen haben ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. 700 000 mehr als 2010. Ein Jobwunder? Eine Erfolgstory von Bruder Brüderle? Davon sind 200 000 Kolleginnen und Kollegen Leiharbeiter. In unserem badischen und württembergischen Land sind 80 Prozent aller Neueinstellungen Leihjobs. Die Kolleginnen und Kollegen verdienen 30 bis 50 Prozent weniger als ihre festangestellten Kollegen.Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das ist das Mindeste. 2,50 Euro für Toilette putzen, 3,50 Euro für Hofkehren – Zwangsarbeit, weil ein Hartz-IV- Empfänger, egal welche Qualifikation er hat, diese Arbeit nicht verweigern darf. Das ist nicht fair, das ist nicht sozial, das ist keine gute Arbeit. Und deshalb muss diese Agenda 2010 weg.“