„Wir sind ja nicht im Landtagswahlkampf“

Der über 300 Millionen schwere Konstanzer Doppelhaushalt 2011/2012 ist unter Dach und Fach  – der Gemeinderat nahm ihn mit breiter Mehrheit an (nur die Linke Liste stimmte dagegen). Angesichts deutlich gesunkener Einnahmen der Kommune enthält er einige soziale Grausamkeiten. OB Frank begründete dies in seiner Grundsatzrede mit der Finanzkrise, die gezeigt habe, „dass der Neoliberalismus als Ideologie gescheitert ist“.

Man glaubte seinen Ohren kaum: Horst Frank, sichtlich im Amte erblüht, übte sich in Systemkritik pur, so dass man sich durchaus einige Zitate aus seiner Rede auf der Zunge zergehen lassen sollte: Was „vor allem durch die Zunft der Ökonomen gepredigt wurde“, sagte OB Frank (der noch vor einem Jahr das KKH als ökonomischen Selbstläufer verkaufen wollte, aber dies beiseite), was also „gepredigt wurde, nämlich weniger Staat und mehr Markt und dass der Markt sich selber regulieren würde, hat sich als Märchen herausgestellt.“ Es habe sich, so der OB weiter, gezeigt, „dass vor allem die fundamentalen Risiken verdrängt wurden – ein ‚Casino-Kapitalismus’, in dem Wetten eingegangen wurden ohne reale Basis. Obwohl die grundlegenden Ursachen der Krise bekannt sind, waren die OECD-Staaten bis jetzt nicht zu einer grundlegenden Reform des Systems fähig. Statt den Finanzmarkt zu regulieren, […] wurden die Verluste sozialisiert und die grundlegenden Mechanismen, die dazu führten, nicht angetastet. […] Die Auswirkungen der Finanzkrise bedeuten für viele Menschen weltweit Verlust des Arbeitsplatzes, Überschuldung und Not.“

„Not“ reimt sich nicht umsonst zumindest in der Dritten Welt auf „Tod“, könnte ein Spötter hinzufügen. Horst Frank jedenfalls sieht die Zukunft von Konstanz eher in Bildung und Wissenschaft denn im verarbeitenden Gewerbe und setzt auch auf die Ausstrahlung des Konstanzer Konziljubiläums 2014-2018 als gesamteuropäisches Ereignis. Schließlich sei Europa nicht nur ein Handelsraum, sondern aufgrund seiner Geschichte auch eine ideelle Gemeinschaft. Hoffen wir, dass Europa das auch so sieht.

Gut gebrüllt, OB

Franks trotz aller Unkenrufe optimistisches Fazit: Wir in Konstanz sind auf dem richtigen Wege, müssen den Wandel als Chance begreifen und uns an den eigenen Haaren aus dem Sumpf der Finanzkrise ziehen, da die Landesregierung vor allem die Großräume Stuttgart und Karlsruhe unterstütze und der Bodenseeregion wenig (finanzielle) Aufmerksamkeit widme.

Gut gebrüllt, OB Frank! Aber: War hier ein grüner Wolf im roten Schafspelz am Werke? Wohl kaum, denn viele seiner unverhohlen systemkritischen Sätze scheinen mit Herzblut geschrieben zu sein.

Für die Freie Grüne Liste lobte Peter Müller-Neff, der Haushalt verfolge viele grüne Ziele und profitiere nicht zuletzt von der (auch!) von den Grünen immer wieder geforderten Erhöhung der Gewerbe- und der Grundsteuer. Er setzt auf ein Wirtschaftswachstum, das auch steigende Zahlungen von Land und Bund mit sich bringen werde und schlägt vor, die derzeit um einige Jahre verschobene Umgestaltung des Bahnhofsplatzes bei einer besseren Finanzlage vorzuziehen.

Visionär Fecker

Der Grand Old Man der Konstanzer CDU, Alexander Fecker, hofft ebenfalls auf ein baldiges Wirtschaftswachstum, das es vielleicht schon 2012 ermögliche, die Kürzungen im Schuletat zurückzunehmen. Er forderte mehr Parkplätze für die Einkaufsstadt Konstanz sowie Vorratsflächen für die Wirtschaftsansiedlung. Vor allem das Konziljubiläum 2014-2018 erscheint ihm als große Chance, beispielsweise Altstadt und Niederburg aufzuwerten. Mit seiner unerschrockenen Forderung „Lasst uns rasch mutig ins Handeln kommen!“ erwies er sich wieder einmal als echter Visionär. Er lobte ausdrücklich die Unterstützung der Kommunen durch den Ministerpräsidenten Mappus und den lokalen CDU-Landtagsabgeordneten.

Das betrachtete Hanna Binder (SPD) naturgemäß etwas anders; sie hatte wie Horst Frank auf das Ende des Neoliberalismus gehofft, sieht diesen aber durch die CDU/FDP-Regierung zurückkehren. Sie forderte dazu auf, aus der Abstimmung über das KKH im letzten Jahr zu lernen und die Bürgerinnen und Bürger künftig früh an wichtigen Entscheidungen zu beteiligen, ehe es zu teuren Planungsfehlern komme. Sie forderte auch, das Ausländeramt personell so zu besetzen, dass die ankommenden Menschen sich dort freundlich empfangen fühlen.

„Tourist-Info privatisieren“

Na ja, und so weiter, der Konsens, dass dies ein guter Haushalt sei, der die Lebensqualität der Konstanzer und Konstanzerinnen trotz der schwierigen Zeiten gewährleiste, ging durch alle Fraktionen. Alle? Fast alle. Vera Hemm begründete die Ablehnung des Haushalts durch die Linke Liste u.a. mit der Verschiebung des Projektes Soziale Stadt Berchengebiet und mit den geplanten Streichungen und Verschiebungen im Sozial- und Bildungsbereich. Auch sie geißelte wie der OB in seiner Rede den Casino-Kapitalismus. Sie forderte, die Betriebe der Stadt dürften sich nicht an Spekulationen beteiligen, und bestand darauf, dass wichtige Themen, die existenziell für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Konstanz sind (wie etwa die Zukunft des Klinikums), künftig nicht mehr hinter verschlossenen Türen behandelt werden. Die Zeche der Finanzkrise zahlten heute die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Deregulierer von „CDU-FDP-SPD-Grüne stehen zudem allesamt für eine Politik, die den Kommunen immer mehr Aufgaben vor allem im Sozialbereich aufgebürdet hat, ohne für einen entsprechenden finanziellen Ausgleich zu sorgen.“

Sie sieht Alternativen: „Millionen könnten bei Prestigeprojekten wie dem notorisch defizitären Katamaran, der Therme sowie bei den hochfliegenden Plänen zum Konziljubiläum oder gar einem Neuaufguss des KKH eingespart werden. Wir sind zwar dafür bekannt, in der Regel strikte Gegner der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen zu sein. So kommt für uns beispielsweise ein Verkauf des Klinikums nicht in Frage. Sehr wohl könnten wir uns allerdings vorstellen, Institutionen wie die Tourist-Information, das Stadtmarketing und das Wirtschaftsförderungsamt in private Hände zu legen.“

Als dann die CDU den FWGler Ewald Weisschedel darauf hinwies, das Land habe über die Jahre 30 Millionen Euro für das Konstanzer Krankenhaus gezahlt, prägte OB Frank sichtlich angetan den Spruch des Tages: „Wir sind ja Gott sei Dank nicht im Landtagswahlkampf“. Die Zustimmung zum Haushaltsentwurf war nach den langen Debatten im Vorfeld überwältigend. Nur die beiden Linken stimmten dagegen.

Mitbestimmung im Klinikum?

Die zweite wichtige Entscheidung war die Verabschiedung des Wirtschaftsplanes des Klinikums Konstanz, wobei deutlich wurde, dass die Interessen der Beschäftigten im Klinikum und ihre Mitbestimmungsrechte für die Mehrheit des Gemeinderates bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielen.

Nachdem SPD und Linke bei der Debatte über den Wirtschaftsplan der Technischen Betriebe Konstanz den dortigen Stellenabbau moniert hatten, kam es dann bei der Debatte über den Wirtschaftsplan des Klinikums Konstanz zu einem kleinen Showdown. Während Rainer Ott, Geschäftsführer des Klinikums, versicherte, ein Mitglied des Personalrates habe ihm die anstehende Zustimmung des gesamten Personalrates zu diesem Wirtschaftsplan signalisiert, betonte Elisabeth Keller, Personalratsvorsitzende von Klinikum und Spitalstiftung Konstanz, dem sei nicht so. Eines wurde jedenfalls deutlich: Das Betriebsklima im Klinikum ist gründlich zerrüttet, und Geschäftsführer Rainer Ott nach schlechtester Gutsherrenart offensichtlich entweder unfähig oder unwillig, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vernünftig zu reden. Ott wurde von mehreren Seiten angegriffen, und Regine Rebmann (FWG) schlug vor, die Entscheidung über den Wirtschaftsplan des Klinikums auf die nächste Sitzung des Gemeinderates zu vertagen, bis Ott endlich mit dem gesamten Personalrat gesprochen habe und zu einer Einigung gekommen sei. Nach einigen Drohungen des OB mit der Forderung des Regierungspräsidiums, zusammen mit dem Haushalt einen genehmigungsfähigen Wirtschaftsplan für das Klinikum vorzulegen, ging dieser Wirtschaftsplan dann nach vielseitigem Murren gegen die Stimmen der Linken und unter wackerer Enthaltung der FWG durch.

Amputation für’s Krankenhaus?

Die wie immer um das leibliche und seelische Wohl der Konstanzer besonders besorgte Dorothee Jacobs-Krahnen (FGL) wies aber darauf hin, dass alle Beschlüsse des Gemeinderates hinfällig seien, wenn die Konstanzer nicht klar zu ihrem Krankenhaus stünden. Sie forderte die Bevölkerung auf, sich bei Operationen bewusst für das heimische Klinikum zu entscheiden. Auch die Ärzteschaft solle dementsprechend auf die Patienten einwirken.

Ein bedenkenswerter Vorschlag dieser einflussreichen Gemeinderätin, den wir alle beherzigen sollten. Ein überzeugter Konstanzer, der zwei Arme hat, von denen er gerade nur einen braucht (zum Beispiel, weil er sich ganztags mit der Fernbedienung beschäftigt, um sich über neue Plagiate in Guttenbergs Dissertation auf dem Laufenden zu halten), kann sich ja den anderen Arm fürs Gemeinwohl im Konstanzer Krankenhaus amputieren lassen.

Aber halt: Gibt es nicht sogar eine Möglichkeit, mehrere Konstanzer Fliegen mit einer Klappe zu schlagen? Ein weltweit wirksames Konziljubiläum plus die Sanierung des Krankenhauses, und das alles fast umsonst? Eine stilechte Pestepidemie könnte man schon jetzt ausbrechen lassen, und – gut gemacht – hält sie Konstanz bis 2018 in der Weltpresse. Selbst der Tourismus dürfte auf blühen (statt eines einzelnen Papstes gäbe es dann 2014 massenhaft Touristen, die in Glaskästen à la Papamobil durch die Stadt fahren), und wenn Nycomed bis 2018 wirksame Medikamente gegen die Pest entwickelt, steigt auch die Gewerbesteuer endlich wieder … und selbstredend hätte das Klinikum bis dahin alle verbliebenen Hände voll zu tun. Das wär’s doch? Aber bis zu derart kühnen Schritten muss wohl noch etwas mehr scheitern als „nur“ der Neoliberalismus.

Autor: O. Pugliese