1. Mai: „Gemeinsam sind wir stärker“
Heraus zum 1. Mai, trotz Corona: Um die 150 Leute fanden sich am Samstag zur gewerkschaftlichen Demo an der Konstanzer Seestraße ein. Der Pandemie wegen fiel sie kurz aus: Über die Alte Rheinbrücke und die Konzilstraße zogen GewerkschafterInnen und Linksorientierte – coronakonform mit Masken ausgestattet und auf Abstand bedacht – zur Kundgebung in den Stadtgarten. Dort berichteten Beschäftigte von der angespannten Lage in ihren Einrichtungen. Tenor der Forderungen: Die Kosten der Corona-Pandemie dürfen nicht auf die Lohnabhängigen abgewälzt werden.
In der Pandemiesituation sei sichtbar geworden, wohin die Sparpolitik der letzten Jahre geführt habe, sagt ver.di Gewerkschaftssekretär Thomas Weisz den in der Seestraße Versammelten. Unter ihnen zeigen neben GewerkschafterInnen die Linkspartei, die Linksjugend und Marxistische Studierende Flagge, auch eine Juso-Fahne ist zu erblicken. Auffällig zudem die Teilnahme von Klima-AktivistInnen der Konstanzer Fridays-for-Future-Initiative. Augenfällig, hören sie von Weisz, seien die Folgen von Privatisierung und Sozialabbau „im Gesundheitswesen, der Daseinsfürsorge, der Ausstattung der Schulen“, es träfe aber auch kleine Selbständige und KünstlerInnen. Weisz erinnert zudem an hunderttausende auf Kurzarbeit gesetzte Kolleginnen und Kollegen, die ohne Aufstockung malochen. In vielen Betrieben fehle es an Gesundheitsschutz, so sei es für viele Beschäftigte immer noch ein Problem, überhaupt an Masken zu kommen.
In der Krise, betont Weisz, habe sich die ungerechte Verteilung in unserer Gesellschaft gezeigt: „Während der kleine Einzelhandel und die Kultur am Abgrund stehen, werden andere Bereiche mit Millionenbeträgen unterstützt.“ Krisengewinner seien Amazon oder die großen Supermarktketten, zu den vielen Verlierern gehörten die dort Beschäftigten. In der gerade laufenden Tarifrunde für die Beschäftigten des Einzelhandels etwa habe die Arbeitgeberseite, die Konzerne vertrete, die „gerade Millionengewinnen machen wie nie zuvor“, noch nicht einmal ein Angebot gemacht. Dabei komme die 4,5 Prozent-Forderung der Gewerkschaft nicht Leuten zugute, „die dieses Geld brauchen, damit sie sich ein neues Häuschen in Monaco kaufen können, das sind Menschen, die sind von Altersarmut bedroht, es ist einfach zwingend notwendig, hier drastisch aufzuschlagen.“
Wer bezahlt die Krise?
Der Gewerkschafter warnt eindringlich vor weiteren Einschnitten. Alarmzeichen gebe es mehr als genug. So werde in der Politik zwar von einer gerechteren Stellenpolitik geredet, von einer Abschaffung der Schuldenbremse und der Stärkung der Daseinsvorsorge. Indes vermisst Weisz entsprechende Taten. Er nennt die Verhandlungen über einen verbindlichen Tarif für die Beschäftigten in der Altenhilfe als Beispiel, mit dem die Gewerkschaft „in dieser Branche zumindest mal Mindeststandards einziehen“ wollte. Ganz im Sinne der Unternehmer habe die Caritas den Abschluss in letzter Minute platzen lassen, mit der fadenscheinigen Begründung, er sei nicht gut genug. Damit nicht genug: 40 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege, bilanziert Weisz, haben die Corona-Hilfen, die schon im Oktober hätten ausgezahlt werden müssen, bis heute noch nicht erhalten.
Wohin die Reise gehen solle, lasse man Politik und Unternehmer gewähren, zeigten aktuelle Planspiele, warnt der Gewerkschaftssekretär. So sei Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident („er heißt glaube ich Laschet“) auf die Idee gekommen, „die Arbeitszeit für Beamtinnen und Beamte anzuheben: von der 41-Stunden- auf die 44 Stunden-Woche“. Und in Baden-Württemberg habe die CDU bei den Koalitionsverhandlungen vorgeschlagen, doch 3000 Stellen bei den Landesbeschäftigten einzusparen. Ohnehin seien sich die Verhandler einig gewesen, notwendige Investitionen in den Gemeinden, in Schulen und in den Krankenhäusern unter Haushaltsvorbehalt zu stellen, sprich weiter vor sich herzuschieben.
„Wenn diese Pandemie-Situation zu einem Ende kommt, wird sich die Frage stellen, wer zahlt diese ganzen Milliarden“, richtet Weisz den Blick in die Zukunft, „und da bin ich mir nicht sicher, dass man dieses Geld da holt, wo es ist, sondern dass es auf die Beschäftigten abgewälzt wird, im Öffentlichen Dienst, in den Krankenhäusern, im Einzelhandel.“
„Kehrwisch der Politik“
Bei der Abschlusskundgebung im Stadtgarten kommen dann KollegInnen aus jenen Bereichen zu Wort, die während der aktuellen Krise als systemrelevant beklatscht worden waren. Eine Erzieherin etwa berichtet vom enorm gestiegenen Arbeitsaufwand in den Kindertagesstätten. Zusätzliche Belastungen stellen etwa die jeweils vor den Kitas vorgenommenen Tests dar, Voraussetzung für den Zugang der Kinder zu den Einrichtungen. Vor allem in größeren Einrichtungen bedeute die Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation der Test-Prozedur jeweils Stunden an Mehrarbeit für die Erzieherinnen, auch weil das Testen der Kleinen viel Einfühlungsvermögen verlange. „Corona heißt, wir schaffen das Doppelte“, bringt es die Rednerin auf den Punkt. „Gibt es dafür mehr Personal? Natürlich nicht“. Eine von der Politik bisher verweigerte Corona-Prämie „ist längst überfällig“, ist sie überzeugt, ebenso wie „die Ausbildung zusätzlicher pädagogischer Kräfte für die Zukunft“.
Wenig Gutes über die Lage an seiner Arbeitsstätte Klinikum weiß auch Noel Matausch zu berichten. Vor der Pandemie sei es leise um das Pflegepersonal gewesen, zu Beginn der Pandemie „waren wir kurz die Held*innen der Nation“, so der Auszubildende in der Krankenpflege. Doch jetzt seien die Betroffenen nurmehr „der Kehrwisch der Politik – da, um den verursachten Schaden wegzukehren, um die Fehler der Politik auszubaden.“ Die Beschäftigten seien müde, ausgelaugt, wütend und enttäuscht:
„Enttäuscht von all den leeren Versprechen. Enttäuscht davon, dass wir im Wahlkampf als Marionetten dienen. Dass jahrelang über 50.000 Stellen in Krankenhäusern systematisch massiv abgebaut wurden. Wütend über Geschenkkörbe, hämisches Klatschen im Bundestag und ,Ehrenpflegas‘-Videoreihen, mit denen wir ins Lächerliche gezogen werden, kleingehalten, abgewertet. Ausgelaugt und müde von der Pandemie. Von den Schlägen, die wir von der Politik, der Bevölkerung und neuerdings auch von Schauspieler*innen einstecken müssen. Müde von Überstunden, zu vielen Patienten, Kündigungen und Krankmeldungen aus Erschöpfung.“
Matausch fordert stattdessen bessere, fairere Löhne ein, mehr Förderung des Personals, keine Nachtschichten mehr allein, und damit einhergehend einen besseren Personalschlüssel. „Und zwar nicht nur während der Pandemie und im Wahlkampf, sondern auch danach.“
Die Redebeiträge im Stadtgarten illustrieren anschaulich, warum ver.di-Gewerkschafter Thomas Weisz die Versammelten zu Beginn auf unruhige Zeiten eingestimmt hat. Gegen das Elend des Krisen-Managements auf dem Rücken der Lohnabhängigen helfe nur Solidarität. Sein Appell: Zusammenhalten und sich nicht spalten lassen, „gemeinsam sind wir stärker“. Ein bisschen riecht es nach Klassenkampf an diesem Samstag in Konstanz.
J. Geiger (Bilder: T. Braun, P. Wuhrer)