1920: Generalstreik am See gegen rechten Putsch (I)

Am 13. März 1920 versuchten monar­chisti­sche, militaristische, antidemokratische Kräfte, teils bereits unter dem Zeichen des Hakenkreuzes, im bewaffneten Kapp-Lüttwitz-Putsch die restlichen demokrati­schen und sozialen Errungenschaften der Novemberrevolution von 1918 und der „Weimarer Verfassung“ zu beseitigen. Dagegen machte die Arbeiterbewegung mobil, und es kam zum größten Generalstreik der deutschen Geschichte. Auch am Bodensee wurde gestreikt, bis der Putsch nach vier Tagen zusammenbrach.

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Dies ist Teil 1 des Textes, Teil 2 erscheint in den nächsten Tagen.

Anlass für den Putsch war die Aufforderung der Westalliierten, gemäß dem im Januar 1920 in Kraft getretenen Friedensvertrag die Freikorps als illegale Militärformationen aufzulösen.(1) Lindaus Tagblatt meldete am 13. März 1920 den Beginn des Putsches. „Berlin, 13. März, vorm. 12. Uhr. Heute früh sind Marine-Brigaden in Berlin eingerückt. Die bisherige Regierung hat nach einer Kundgebung [Bekanntmachung, K.S.] der Reichskanzlei aufgehört zu sein. Die Staatsgewalt ist auf Generallandwirtschaftsdirektor Kapp als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident übergegangen. Zum militärischen Oberbefehlshaber und Reichswehrminister ist General von Lüttwitz bestimmt. Die bisherige Regierung hat ohne ihre Ämter niederzulegen, Berlin im Auto verlassen. Die Nationalversammlung und die preußische Landesversammlung sind aufgelöst.“ Die Reichsregierung Gustav Bauers (SPD) aus Sozialdemokratischer Partei Deutschlands, SPD, dem katholischen Zentrum und der liberalen Deutschen Demokratischen Partei, DDP, sowie Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) flohen über Dresden nach Stuttgart.

Damit war mit dem zweiten offenen Putschversuch antidemokratischer Kräfte im Beamtenapparat, der Unternehmerschaft und im deutschen Offizierskorps eingetreten, wovor die radikale Linke wiederholt gewarnt hatte. Derartige Befürchtungen der Linken gingen auch bereits aus einem Polizeibericht des Bezirksamtes Lindau an die Regierung von bayerisch Schwaben und Neuburg vom 30. Dezember 1919 über die gut besuchte Reutiner Versammlung der Unabhängigen Sozialistischen Partei USPD vom 29. Dezember 1919 hervor.

„Nach Meldung des mit der Überwachung beauftragten Gendarmen nahm die von 160 bis 170 Personen besuchte Versammlung einen ruhigen Verlauf. Der Redner Thomas aus Augsburg erhob die bekannten Anklagen gegen die Regierung, die Nationalversammlung, die Reichswehr, die Einwohnerwehr (dass sie nämlich Werkzeug der Reaktion seien) und dass nur von der Räterepublik und dem Anschluss an Russland Rettung zu erwarten sei. Aufreizung zu Putschen x.x. ist nicht erfolgt. Die Versammlung wurde ohne Zwischenfall um ½ 10 Uhr geschlossen.“(2)

Bereits am Tag des Kapp-Lüttwitz-Putsches, dem 13. März 1920, riefen die sozialdemokratischen Regierungsmitglieder, Reichspräsident Ebert sowie der Parteivorstand der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) zum allgemeinen Streik gegen die Putschisten auf. Am nächsten Tag proklamierten SPD, die Gewerkschaften des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund), die USPD, die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) und die Mitglieder der in Gründung befindlichen Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) den politischen Generalstreik für Deutschland. Ab dem 15. März bildeten darüber hinaus Arbeiter u.a. aus USPD, KPD und SPD zusammen eine Rote Ruhrarmee mit dem Essener Zentralrat an der Spitze, um mit nahezu 100.000 meist leicht bewaffneten Mitgliedern gegen die putschenden Militärs Widerstand zu leisten. Diese Rote Ruhrarmee wandte sich zunehmend nicht nur gegen die putschistischen Reichswehr- und Polizeieinheiten sowie die mit ihnen verbündeten reaktionären Freikorps, sondern begannen punktuell mit der Sozialisierung von Bergbau- und Schwermetallindustrie, um das sozialistische Ziel der Novemberrevolution von 1918 nachzuholen und die wirtschaftlich-politische Macht der Kapitalbesitzer zu beenden.

Auch in Lindau wurde der Generalstreik der Arbeiterbewegung gegen die Putschisten erfolgreich durchgeführt. Das Lindauer Tagblatt erschien erst wieder am 23. März, was auch damit zusammenhing, dass sich die Buchdrucker in diesen Tagen für einen besseren Tarifvertrag im Streik befanden. Die drei damaligen Lindauer Arbeiterparteien hatten auf den Putsch sofort u.a. mit Versammlungen reagiert. Da die kommunistische Partei in Bayern schon wieder verboten war, konnten dies gemeinsam legal aber nur SPD und USPD tun. Die entsprechende Genehmigung durch das Bezirksamt vom 16. März 1920 lautete wie folgt. „Auf ihr heute mündlich gestelltes Ansuchen wird der M.S.P. [SPD, K.S.] und U.S.P. Lindau- Reutin die Genehmigung zur Abhaltung einer Mitgliederversammlung zur Besprechung der politischen Lage für Dienstag, den 16. März 1920 abends 8 ½ Uhr im Gasthause zum Hirschen, Reutin, auf Grund nachfolgender von den Herren Eisenhut und Fessler mündlich gegebenen Zusicherung erteilt:
1. außer einem Überwachungsbeamten des Bezirksamtes haben nur Mitglieder der beiden Parteien Zutritt;
2. kommunistische Agitation ist ausgeschlossen;
3. die Polizeistunde wird eingehalten und Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung im Anschluss an die Versammlung werden nicht eintreten.“(3)

Lindaus Oberbürgermeister Ludwig Siebert hatte als Staatskommissar auf administrativer Ebene kräftig versucht, den politischen Generalstreik gegen die Putschisten in Lindau einzudämmen, so beispielsweise mit folgender öffentlicher Bekanntmachung vom 14. März 1920: „An die Einwohnerschaft ergeht das Ersuchen, weiterhin Ruhe und Ordnung zu bewahren. Zugleich wird darauf hingewiesen, dass nach Anordnung des Gesamtministeriums des Freistaates Bayern und der von ihm aufgestellten Staatskommissare alle öffentlichen oder geschlossenen Versammlungen unter freiem Himmel und öffentliche Ansprachen unter freiem Himmel, ferner Ansammlungen jeder Art, Umzüge und Demonstrationen auf öffentlichen Straßen und Plätzen verboten, Versammlungen in geschlossenen Räumen aber genehmigungspflichtig sind. Auf dem Vollzug dieser Anordnung muss bestanden werden.“(4)

Hinzu kam chaotisierender Alarmismus einzelner Staatsdienststellen, wie jene als vertraulich und eilig klassifizierte, rein spekulative Meldung der Grenzpolizeistelle Lindau vom 19. März 1920 an Bürgermeister Siebert, das Bezirksamt und den dienstältesten Offizier der Lindauer Garnison zwei Tage nach Ende des durch den politischen Generalstreik erfolgreich bekämpften Kapp-Lüttwitz-Putsches: „Hier ist Folgendes bekannt geworden: In Reutin warten die Arbeiter auf den Moment, wo die Reichswehrtruppen aus Lindau entfernt und nach München verlegt werden. Sobald dies geschehen, wird sofort eine allgemeine Plünderung der Lindauer Geschäfte und der in den Nachbargemeinden befindlichen Landhäuser einsetzen. Es sind bereits die Geschäfte und die Landhäuser, die ausgeplündert werden sollen, aufgezeichnet.“(5)

Karl Schweizer

Die vorliegende Arbeit erschien bereits unter http://www.edition-inseltor-lindau.de/Kapp.pdf und kann dort kostenlos als PDF heruntergeladen werden.


Abbildungen

Volkswille: Titelseite der damals von Augsburg bis Lindau gelesenen Tageszeitung der USPD vom 15. März 1920 mit dem Aufruf zum Generalstreik gegen die Putschisten. Original in der Staatsbibliothek Augsburg; Report: Schweizer.
Inselbahnhof Lindau, ca. 1924: Postkarte mit einem Luftbild von W. Truckenbrodt, Konstanz.

Diese Abbildungen stammen aus der Sammlung Karl Schweizer, Lindau.

Fußnoten/Quellen:

(1) Klaus Gietinger, „November 1918 – Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts“, Hamburg 2018, S. 194f.

(2) Bezirksamt Lindau an den Präsidenten der Regierung von Schwaben und Neuburg, Lindau 30.12.1919, StAA Augsburg, Bezirksamt Lindau Nr. 3635.

(3) Bezirksamt Lindau, 16. März 1920, in: Bezirksamt Lindau, Nr. 3635, StAA Augsburg.

(4) Rechtskundiger 1. Bürgermeister Siebert, Bekanntmachung, Lindau, den 14. März 1920, in: StadtA Lindau, B II-93-8, Bekämpfung staatsgefährlicher Umtriebe, Band 5.

(5) Grenzpolizeistelle Lindau i.B., Vertraulich!, Lindau, den 19. März 1920, in: StadtA Lindau, B II-93-8, Bekämpfung staatsgefährlicher Umtriebe, Band 5.