1920: Generalstreik am See gegen rechten Putsch (II)

Am 13. März 1920 versuchten monarchistische, militaristische, antidemokratische Kräfte, teils bereits unter dem Zeichen des Hakenkreuzes, im bewaffneten Kapp-Lüttwitz-Putsch die restlichen demokratischen und sozialen Errungenschaften der Novemberrevolution von 1918 und der „Weimarer Verfassung“ zu beseitigen. Dagegen machte die Arbeiterbewegung mobil, und es kam zum größten Generalstreik der deutschen Geschichte. Auch am Bodensee wurde gestreikt, bis der Putsch nach vier Tagen zusammenbrach.

Dies ist Teil 2 des Textes, Teil 1 findet sich hier.

Plünderungen, Mord und Totschlag sowie politischer Putschismus gehörten nicht zur Politik der revolutionären und klassenkämpferischen Arbeiterbewegung. Allerdings wuchs auch hier die Empörung über die wiederholt gewaltsame Niederschlagung von Arbeiteraufständen, über gebrochene Versprechen und die vom Weltkrieg herrührende immer heftiger sich gebärende Preisinflation. Kostete beispielsweise ein Pfund Kochäpfel Mitte Dezember 1918 noch 75 Pfennige, waren es Mitte Dezember 1920 bereits 1,45 Mark. Der Preis für ein Pfund schwarzes Hausbrot wurde im gleichen Zeitraum von 24 Pfennige auf 1,20 Mark erhöht und jener für ein Pfund Tafelbutter von 1,39 Mark auf 3,30 Mark.(6)

Für Friedrichshafen skizzierte Elmar L. Kuhn 1986 den Streik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch u.a. wie folgt: „In Württemberg begnügte man sich mit einem ‚zweitägigen Demonstrationsstreik‘ vom 16. bis 17. April, der auch in Friedrichshafen befolgt wurde. Für den am 17. veranstalteten Demonstrationszug erhielt der Gemeinderat Braun als Verantwortlicher vom Oberamt jedoch eine Rüge, da seit November 1919 bis zum Juni 1920 ein allgemeines Demonstrationsverbot bestand: ‚Wenn nun auch der Umzug gegen den reaktionären (!) Gewaltstreich in Berlin gerichtet war und damit einen berechtigten Unwillen der Bevölkerung Ausdruck zu geben bestimmt war, so sind und bleiben doch Demonstrationen verboten und strafbar‘.“(Sozialdemokrat, 25.3. 1920)

Im „Ruhrkampf“ versuchten die Arbeiter nochmals, „Garantien für eine politische Neuordnung“ zu erreichen, die die Wiederholung eines konterrevolutionären Putsches unmöglich machen würden‘.(14)

Zur Niederschlagung wurden auch aus Württemberg Reichswehrtruppen entsandt, deren Offiziere vorher mit dem Kapp-Putsch sympathisiert hatten. In der Stadtratssitzung vom 19. März beklagte der Stadtschultheiß: „Die unverantwortlichen Schritte der ganz rechtsstehenden Seite haben nun leider auch solche der linksstehenden zur Folge, so dass für das deutsche Vaterland erneut die schwersten Gefahren bestehen“.(Seeblatt 20.3. 1920) Nach der blutigen Niederschlagung des Ruhrkampfes musste es makaber anmuten, dass das Gewerkschaftskartell in Friedrichshafen die Arbeiter aufforderte, den 1. Mai zu einer „großen Kundgebung zur Verwirklichung des Sozialismus gestalten zu wollen.“(Seeblatt, 30.4.1920)(7)

Für Konstanz skizzierte Dieter Schott im Jahre 1989 die Ereignisse rund um den Kapp-Lüttwitz-Putsch sowie den Generalstreik dagegen u.a. wie folgt: „In Konstanz bildete sich einen Tag nach dem Putsch ein ‚Vollzugsausschuss‘, dem je drei Vertreter von Zentrum, DDP, SPD und USPD sowie der Landeskommissär, ein Vertreter des Bezirksamtes und der Oberbürgermeister angehörten. Dieser Vollzugsausschuss übernahm die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und erließ einen als Plakat und in den Zeitungen verbreiteten Aufruf an die Konstanzer Bevölkerung. Dort wurde festgehalten, dass das ganze badische Volk ungeachtet der Berliner Vorgänge auf dem Boden der Verfassung stehe und mitgeteilt, der Kommandeur des Konstanzer Jägerbataillons führe nur Befehle des ihm vorgesetzten Reichswehrbrigadekommandos Stuttgart aus, das ihn angewiesen habe, die badische Regierung „in ihren Anordnungen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung nachdrücklich zu unterstützen.“ Abschließend forderte der Vollzugsausschuss die „Mitbürger“ auf, „Ruhe und Besonnenheit zu bewahren“ und sich mit Fragen oder Mitteilungen an den Vollzugsausschuss zu wenden. (Konstanzer Zeitung vom 15.3. 1920)

Es gab also in Konstanz keine (offene) Unterstützung für die Putschisten. Demzufolge scheint es auch im Gefolge des Putsches – im Gegensatz zu anderen badischen Städten – zu keinen nennenswerten Störungen der öffentlichen Ordnung gekommen zu sein. Der von den Landesverbänden der freien und christlichen Gewerkschaften für 16.3. vereinbarte Generalstreik wurde weitgehend befolgt, auch der ‚Badische Beamtenbund‘ schloss sich an. (Da im Anschluss an den Generalstreik vom 17.–20.3. die Drucker wegen Lohnerhöhung streikten, erschienen vom 16.–20.3. überhaupt keine Zeitungen in Konstanz, sodass vom Streiktag nur sehr summarisch am 22.3. berichtet wurde).

Der Streiktag verlief, wie die Konstanzer Nachrichten melden, ruhig: die großen Betriebe seien still gelegen, bei Bahn und Post habe Sonntagsbetrieb geherrscht, allerdings sei in Läden, auch solchen, die nicht der Lebensmittelversorgung dienten, vormittags fast überall gearbeitet worden; die Arbeiterschaft habe dann deren Schließung erzwungen, wobei teilweise „sehr scharf vorgegangen“ worden sei. Die Konstanzer Zeitung erwähnt noch eine, allerdings nur schwach besuchte, Versammlung des Gewerkschaftskartells am Streiktag.“(8)

Nach der erfolgreichen Niederschlagung des Kapp-Lüttwitz-Putschs am 17. März, dem darauffolgenden Ende des deutschlandweiten Generalstreiks sowie der Rückkehr der Reichsregierung nach Berlin am 20. März setzte diese, seit 27. März 1920 unter Leitung von Hermann Müller (SPD), nun die vorher teilweise putschende Reichswehr zusammen mit Einheiten der Sicherheitspolizei (Sipo) sowie reaktionären Freikorps auch unter Bruch des „Bielefelder Abkommens“ vom 24. März gegen die Rote Ruhrarmee ein. In einem blutigen Feldzug bis 14. Mai wurden nun die Rote Ruhrarmee, die neuen Arbeiterräte sowie die Arbeiterparteien USPD, KPD und die in Gründung befindliche KAPD besiegt und unterdrückt.(9)

Mitglied des konterrevolutionären Freikorps Epp (Brigade Epp, Schützenbrigade Epp), berüchtigt u.a. für das von diesem verübte Massaker in Pelkum bei Hamm am 1. April 1920, war u.a. der damals 18-jährige Lindauer Patriziersohn Wilhelm Seutter von Lötzen.(10)

Der Ton auf Versammlungen auch der USP in Reutin und Lindau wurde kämpferischer, auch wenn die dortigen Aussagen in den amtlichen Spitzelberichten regelmäßig übertrieben wurden. Dies blitzte auch wieder teilweise in der Wortwahl der Meldung von Bürgermeister Siebert als Vorstand des Lindauer Stadtrates an den Vorstand des Bezirksamtes Lindau vom 28. Juni 1920 auf: „Hauptmann Strehle der Reichswehr teilt mit, […] dass am letzten Samstag in Reutin eine Versammlung der U.S.P. stattgefunden hätte, in der es außerordentlich lebhaft zugegangen und nach den üblichen Reden beschlossen worden sei, am kommenden Donnerstag, den 1. Juli eine Demonstration nach Lindau zu veranstalten, um es insbesondere der Reichswehr zu ‚zeigen‘. Ich bitte um geflissentliche Mitteilung, ob dort bezüglich des Umzuges etwas zu ermitteln ist. Ich würde dem Umzug den Eintritt in die Stadt verweigern. Einstweilen habe ich das Verbot solcher Umzüge erneut bekannt gegeben. Um baldige Mitteilung, ob jenseits zur Sache etwas bekannt oder zu ermitteln ist, wird gebeten.“(11) Im Lindauer Tagblatt erschien darüber keine Notiz.

Auch die Stadtspitze Lindaus wurde am 6. Juli 1920 vom Regierungspräsidium in Augsburg zu vorsorglichen Maßnahmen gegen eventuelle weitere Arbeiteraufstände aufgefordert: „Im Falle von Unruhen kann es notwendig werden, für die Staatssicherheit gefährliche Personen sofort bei Ausbruch der Unruhen in Schutzhaft zu nehmen […] Ich ersuche, binnen 14 Tagen ein Verzeichnis derjenigen Personen vorzulegen, deren sofortige Verhaftung bei Ausbruch von Unruhen notwendig erscheint“.(12) Daraufhin wandte sich Lindaus 2. Bürgermeister, Kommerzienrat Joh. Meng, an die Staatsanwaltschaft in Kempten mit der Bitte, Namen für eine derartige Verhaftungsliste zu übermitteln.(13)

Karl Schweizer

Die vorliegende Arbeit erschien bereits unter http://www.edition-inseltor-lindau.de/Kapp.pdf und kann dort kostenlos als PDF heruntergeladen werden.

Abbildungen

Putschisten in Berlin – Bundesarchiv, Bild 183-J0305-0600-003 / CC-BY-SA 3.0 / CC BY-SA 3.0 DE
Manifest – Das Programm des Gewerkschaftskartells Friedrichshafen des ADGB für die Feier des 1. Mai 1920. Original im Kreisarchiv Bodenseekreis; Repro: Schweizer.

Fußnoten/Quellen:

(6) Kriegs- und Inflationspreise wichtiger Lebensmittel und Waren, in: J. Waldmann, Friedens-, Kriegs-Ehren-Chronik 1914-1918, Lindau-Oberreitnau 1935, StadtA Lindau, Kr. Eh. Chr. 32/29.

(7) Elmar L. Kuhn: „Friedrichshafen in der Weimarer Republik“, Friedrichshafen 1986, S. 127f, (unveröffentlichte Arbeit).

(8) Dieter Schott: „Die Konstanzer Gesellschaft 1918 – 1924“, Konstanz 1989, S. 357ff.

(9) Ludger Fittkau/Angelika Schlüter, Ruhrkampf 1920 – Die vergessene Revolution, Ein politischer Reiseführer, Essen 1990; Hans J. Reichhardt, Kapp-Putsch und Generalstreik März 1920 in Berlin, Berlin 1990.

(10) Wilhelm Seutter von Lötzen, Bayerns Königstreue im Widerstand, Feldafing/OBB., ohne Jahresangabe, Umschlagrückseite; „Seutter’sche-Familien-Chronik“, Abschrift durch Hans Jakob Egg, Schraberg 1997/98, S. 151; Stadtarchiv Lindau, Sign.: As 13/9.

(11) Bürgermeister Siebert an den Vorstand des Bezirksamtes Lindau am 28. Juni 1920, in: StadtA Lindau, B II-93-8, Bekämpfung staatsgefährlicher Umtriebe, Band 5.

(12) Der Regierungspräsident von Schwaben und Neuburg, Augsburg, den 6. Juli 1920, StadtA Lindau, B II-93-8.

(13) Ebenda.

(14) Feldmann, Gerald D. u.a.: „Die Massenbewegungen der Arbeiterschaft in Deutschland am Ende des Ersten Weltkriegs (1917-1920)“, in: PVS 13 (1972)1, S. 102.