330 000 Missbrauchsopfer in Frankreich

Letzten Dienstag ist der Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission zur sexualisierten Gewalt in der katholischen Kirche in Frankreich veröffentlicht worden. Danach wurden zwischen 1950 und 2020 insgesamt 330 000 Minderjährige Opfer sexualisierter Gewalt, allein 216.000 wurden von Priestern und Ordensleuten missbraucht. Man muss davon ausgehen, dass die Dunkelziffer bei diesen Verbrechen noch weitaus höher liegt.

Trotz aller Versuche von Seiten der katholischen Kirche, den weltweiten Missbrauch von Minderjährigen als „Einzelfälle“ zu bezeichnen, kommen immer mehr Straftaten ans Tageslicht. Ob in Deutschland, in Kanada oder jetzt in Frankreich: sexueller Missbrauch gehört zum Erbgut der katholischen Kirche. Und leider muss man davon ausgehen, dass die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle nur die Spitze des Eisbergs sind.

„Bis Anfang der 2000er Jahre gab es eine totale und grausame Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern“, sagte Jean-Marc Sauvé, der Leiter der unabhängigen Untersuchungskommission nach Angaben des ZDF. Es sei nur in seltenen Fällen eine Entschädigung gezahlt worden – und das im Grundsatz nur, um das Schweigen der Opfer zu erkaufen.

Die Untersuchungskommission wurde Ende 2018 von der Französischen Bischofskonferenz eingerichtet, um angesichts des Missbrauchsskandals für mehr Transparenz und Vertrauen zu sorgen. Und anders als in Deutschland wurde die Arbeit der Kommission nicht behindert oder die – für die katholische Kirche sehr unangenehmen – Untersuchungsergebnisse nicht unter Verschluss gehalten.

Die Untersuchungskommission habe endlich die Verantwortung der Kirche institutionell anerkannt, sagte der Gründer der Opferorganisation La Parole Libérée, François Devaux, bei der Vorstellung des Berichts: „Etwas, das die Bischöfe bis heute nicht geschafft haben.“ Die Bischöfe sollten für die Verbrechen bezahlen.

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Der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Éric de Moulins-Beaufort, bat die Opfer um Verzeihung und Papst Franziskus gar dankte den Betroffenen für „ihren Mut“, über die Taten zu sprechen. Wie ein Eingeständnis der eigenen Schuld klingt das nicht gerade. Das ist sogar der kirchennahen italienischen Zeitung Avvenire aufgefallen: „Die erschreckenden Zahlen des Dossiers über 70 Jahre Missbrauch in der französischen Kirche sprechen nicht von einer Kirche, die vom Weg abgekommen ist, sondern von einer, die den falschen Weg eingeschlagen hat.“ (Zitiert nach eurotopics.net) „Die Herausforderung, vor der die französische Kirche nun steht, ist über die demütigen ‚Mea culpas‘ der letzten zwei Tage hinauszugehen“, schreibt auch Le Figaro.

Dem Missbrauchsopfer Francois Devaux ist zuzustimmen, der in Richtung der Bischofskonferenz sagte: „Meine Herren, Sie sind eine Schande für die Menschlichkeit.“

Text: Frank Nicolai. Der Beitrag ist zuerst erschienen auf: www.hpd.de
Bild: H.Reile

Mit Spenden ist es nicht getan

(hr) Nach der Veröffentlichung der kriminellen Machenschaften innerhalb der katholischen Kirche Frankreichs gerieten viele Gläubige in absolute Schockstarre. Nun glaubt die dortige Führungsriege der geistlichen Würdenträger, es reiche, die Missbrauchsopfer mit Spenden abfinden zu können, so der Vorsitzende der Bischofskonferenz Eric de Moulins Beaufort gegenüber einem französischen Nachrichtensender. Aber genau davor hatte eine Untersuchungskommission gewarnt und empfohlen, Entschädigungen eben nicht über Spendengelder auszuzahlen. Anders als in Deutschland ist die französische Kirche auf Spenden angewiesen, denn in unserem Nachbarland gibt es keine Kirchensteuer.

So leicht dürfe man die Kirche nicht davon kommen lassen, vielmehr gehe es darum, so der allgemeine Tenor, verbunden mit der Aufforderung, die Verantwortlichen für den hunderttausendfachen Missbrauch zu benennen und abzuurteilen. Ebenso wenig genüge es, wenn Papst Franziskus sich über die Vorgänge „beschämt“ zeige und den Opfern seine „Traurigkeit“ ausdrücke. Das sei allzu dürftig und zudem ein Schlag ins Gesicht derer, die zum Teil noch bis heute unter dem erlittenen Unrecht zu leiden haben oder sogar daran zugrunde gegangen sind.

Auch bei uns in Deutschland geht man von mindestens 100 000 Missbrauchsopfern aus, die Dunkelziffer wird aber wohl deutlich höher liegen. Zwei Drittel der Geschädigten, so eine Schätzung, seien der katholischen Kirche zuzurechnen, ein Drittel der evangelischen. Ein großer Teil der Bischofskonferenz allerdings ist der Meinung, man könne die Betroffenen mit finanziellem Nasenwasser abspeisen, um sie ruhig zu stellen. Von durchschnittlich 5000 Euro ist die Rede – blanker Zynismus. Und das, obwohl das Vermögen der katholischen Kirche hierzulande, so der Politikwissenschaftler Carsten Frerk, auf einen dreistelligen Milliardenbetrag beziffert wird und der wohl größte private Grundstückseigentümer ist. Alleine 2018 überwiesen die Bundesländer über 500 Millionen Euro an die Kirchen, dazu kommen noch die Bischofsgehälter (9000 bis 12 000 Euro monatlich), die ebenfalls durch die Länder finanziert werden. Was die wenigsten wissen: Auch SteuerzahlerInnen, die längst aus der Kirche ausgetreten sind, werden somit zur Kasse gebeten.

Die gute Nachricht am Rande: Immer mehr Menschen zeigen den christlichen Glaubensgemeinschaften auch wegen ihrer Verbrechen an Kindern und Jugendlichen die kalte Schulter. Knapp 34 Millionen Deutsche gehören keiner Religion mehr an, und aktuell sind 41 Prozent unserer Gesamtbevölkerung konfessionsfrei. Somit stellen sie den größten Bevölkerungsanteil vor den Katholiken (27 Prozent) und den Protestanten mit 24 Prozent.

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