Abschied aus der Zivilproduktion und von 93 Beschäftigten
Tognum AG, einer der größten Bodensee-Rüstungsbetriebe mit Sitz in Friedrichshafen, konzentriert sich noch stärker als bisher auf das Geschäft mit dem Militär. Nicht anders ist der Rückzug des Unternehmens aus der stationären Brennstoffzellentechnologie zu erklären, der überraschend zum Jahresanfang verkündet wurde. Denn gerade diese Technologie könnte eine alternative Energieversorgung in Krankenhäusern, Schwimmbädern und kleinen Kommunen gewährleisten. Doch Vorstandschef Volker Heuer sieht keine Möglichkeit, „dass sich das Geschäft kommerziell gestalten lässt“.
Betriebsräte und Gewerkschaft am Bodensee laufen Sturm gegen diese einsame Entscheidung der Geschäftsleitung, die wohl vor allem mit dem Absprung eines asiatischen Kooperationspartners am 28.12. 2010 erklärt werden kann. „Ein Technologiekonzern, der die Eigenentwicklung der Brennstoffzelle nicht zur Serienreife bringt, sondern diese Zukunftstechnologie einfach aufgibt, scheint wohl eher von kurzfristigen Aktionärsinteressen geleitet zu sein als von Perspektiven für die Zukunft“, kritisiert der IG-Metall Bezirk Friedrichshafen-Oberschwaben die Tognum-Entscheidung. Von der Schließung des Bereichs sind vornehmlich in Ottobrunn bei München 93 Jobs – meist hochqualifizierte Ingenieure, Techniker und Facharbeiter – betroffen.
Bis 2003 war dieser Tognum-Geschäftsbereich noch in Friedrichshafen angesiedelt. Deshalb ist der der IG-Metall-Bezirk Friedrichshafen-Oberschwaben weiter auch für die bayerischen Beschäftigten zuständig. Deshalb auch ist die Solidarität der Bodensee-Betriebsräte so eindeutig; Dietmar Selg, Vertrauenskörperleiter bei der MTU/Tognum in Friedrichshafen, ist entsetzt: „So kurz vor der Serienreife eine solche Zukunftstechnologie aufzugeben, zeugt nicht von strategischem Weitblick.“ Und Heinz Brechtel – IG Metall-Betriebsrat und Mitglied im Aufsichtsrat – hält den Image-Schaden für ein Technologie-Unternehmen, wie es Tognum ist, für gravierend. „Eine solche Zukunftstechnologie braucht einen langen Atem, und jetzt hat Tognum dieser Entwicklung den „Hahn abgedreht“.
Noch kürzlich – Anfang Dezember – waren aus Berlin Forschungsgelder von acht Millionen Euro für die Weiterentwicklung dieser Technologie bewilligt worden. Auf einer Betriebsversammlung am 3.12.2010 kam diese Nachricht dann auch als positives Zeichen an. Und noch im Sommer hatte die IG Metall mit der Tognum AG einen Zusatz-Tarifvertrag geschlossen, mit Hilfe von ‚Mehrarbeit‘ die Entwicklungsrückstände bei der Brennstoffzellen-Entwicklung aufzuholen. „Alle Anstrengungen und Bemühungen der Belegschaft sind mit dieser Entscheidung zunichte gemacht“, stellt Lilo Rademacher, 1. Bevollmächtigte im IG-Metall-Bezirk Friedrichshafen-Oberschwaben, fest.
Übrigens: Die acht Millionen an Fördermitteln aus dem Bundesetat wird Tognum zurückzahlen müssen. Den fast 100 Beschäftigten, die kurzfristig ihren Arbeitsplatz verlieren, hilft das wenig. Und Tognum schadet das wenig. Immerhin berichtet Tognum im letzten Quartalsbericht über eine Rückstellung „von rund 20 Millionen Euro, die durch die Beendigung des Brennstoffzellen-Geschäfts bedingt sind.“ Allerdings: „Die bisherige Prognose für das Gesamtjahr 2010 wird davon nicht beeinflusst. Tognum erwartet für 2010 unverändert einen Umsatz um 2.550 Millionen Euro sowie eine bereinigte EBIT-Marge im oberen Bereich des bisher kommunizierten Korridors von 7,5 bis 9 %..“
Autor: HP Koch