Adieu, André

Am 25.12.2017 verstarb André Barrière (im Bild links neben Dr. Brigitte Weyl und Claus-Dieter Hirt), einer der letzten ver­bliebenen „Konstanzer Franzosen“, für alle über­ra­schend mit 69 Jahren an Herzversagen. Der stadtbekannte und sangesgewaltige Zeitgenosse war auch ein Urgestein der Deutsch Französischen Vereinigung (DFV) Konstanz (www.dfv-konstanz.de). Kommen­den Mittwoch um 15.45 Uhr wird er auf dem Konstanzer Hauptfriedhof beerdigt. Ein Nachruf.

André kam erstmals 1957 mit seinen Eltern, einem französischen Vater und einer katalanischen Mutter und seiner Schwester Christiane, die im Herbst 2017 verstarb, nach Konstanz. Er fühlte sich wie auf einer innerfranzösischen Reise: „Alles war so französisch“, erinnerte sich André gerne. Kein Wunder, denn für die französische Armee war, räumlich abgetrennt von der deutschen Bevölkerung in Petershausen, ein „französisches Quartier“, eine Trabantenstadt, errichtet worden.

Die Franzosen hatten ihre eigenen Geschäfte, kauften steuerfrei Kleidung und Lebensmittel. Mit eigenen Gebäuden, die den Namen einer französischen Region trugen, eigener Schule und zuletzt mit der Implementierung eines Economats (damals einem der bedeutendsten französischen Lebensmittelgeschäfte) für die französischen Familien, vermittelte diese Stadt in der Stadt den Deutschen das Gefühl, dass die Franzosen die Kontakte zu ihnen so gering wie nur möglich haben wollten. Der zwischenzeitlich seit über 50 Jahren bestehende Salon „Madame Coiffeur“ von Dieter Böttcher ist ein Relikt aus jener Zeit und wirbt noch heute – wie einst – mit der französischen Bezeichnung „Coiffeur.“ Wer Böttchers ebenso liebevoll wie museal wirkendes Geschäft betritt, fühlt sich auch heute noch in die 1950iger Jahre zurückversetzt.

Zunächst wohnte die Familie Barrière in der Steinstraße, später in der Gottfried-Keller-Straße. Die Wohnungen waren in Konstanz als „Franzosenwohnungen“ bekannt. Der Unterricht am französischen Lycée in der Steinstraße glich dem in Frankreich und ab 1952 konnten erstmals auch deutsche SchülerInnen die Schule besuchen. „Mein Vater sprach fließend deutsch, weil er im Ersten Weltkrieg auf eine deutsche Schule gegangen war. Aber zuhause wurde nur französisch gesprochen“, so André Barrière.

André kam zu einer Zeit nach Konstanz, in der die Soldaten von der Bevölkerung nicht länger als Besatzer betrachtet und in Konstanz zusehends beliebter wurden. Die französische Kultur und das französische Flair waren für die Deutschen attraktiv. André arbeitete als Grundschullehrer für Deutsch und Sport in Konstanz und später, nach Auflösung der Garnison in Konstanz, in Friedrichshafen. Er war ein begeisterter Boulespieler und aktiver Leichtathlet und lernte durch seine gewinnende Art unzählige Menschen unterschiedlicher Schichten kennen und diese ihn schätzen. „Le copain d´abord“, wenn es einer Personifizierung dieses Leitmotivs von Georges Brassens bedurft hätte, André Barrière wäre es gewesen.

„Non, je ne regrette rien“, sang André Barrière zum Abschied der Badischen Bahnhofswirtschaft von Peter Schweidler am 26.06.2015. Ein bewegender Moment. Dieses wohl berühmteste Chanson von Edith Piaf fasst auch treffend das von Höhen und Tiefen, von Abenteuerlust und Wanderschaft gekennzeichnete Leben von André Barrière anschaulich zusammen: Die verbliebene Wohnung in Frankreich und die zur Heimat gewordene Fremde in Konstanz. André Barrière musste ein Leben lang Irrtümer einsehen, mit Ungewissheiten zurecht kommen und auch Schiffbruch in Kauf nehmen. „Unterwegs bleiben, nur nicht müde werden“ war sein Motto, sich ein interessantes und lebenswertes Leben zu gestalten, war sein Ziel, sein Leben leben und verbrauchen für etwas jenseits seiner selbst: „Non, je ne regrette rien!“

Wer André Barrière als Clochard abtat, kannte ihn nicht und tat diesem liebenswerten Menschen unrecht. Bis zuletzt setzte er Akzente im doppelten Wortsinn; achtete auf Syntax und Orthographie bei seinem Schriftverkehr mit Frankreich. André Barrière war gesellig und gesellschaftspolitisch aktiv, wie seine DFV eben auch. Dort, im „Petite Kneiple“ der DFV oder auch im legendären Bahnhofsrestaurant, las er jede Woche „Le Canard enchaîné“, die satirische französische Wochenzeitung. Er wurde nie müde zu betonen, dass die „angekettete Ente“ während der deutschen Besatzung Frankreichs nicht erschienen war und der Krieg für Frankreich erst ein Ende gefunden habe, als „Le Canard enchaîné“ erneut erschienen sei.

Nicht nur als Fußnote sei noch erwähnt: „Le Canard enchaîné“ setzte sich in den 1950-iger Jahren für die Unabhängigkeit Algeriens ein. Das wiederum passte zum politischen Menschen André Barrière des Jahres 2017, der jenen omnipotenten spanischen EU-Zentralstaat ablehnte, der die um Unabhängigkeit ringenden Katalanen niederknüppeln ließ und vehement unterstrich, dass die Balearen Teil der angestrebten Republik Kataloniens (die Heimat seiner Mutter), aber nicht einfach nur eine spanische Region sei und dies auch nie war; schließlich hätten an der Conquista auch keine Katalanen teilgenommen.

Der Tod seiner Schwester Christiane vor erst einem Vierteljahr machte ihm schwer zu schaffen. Christianes warme Herzlichkeit und ihr nimmermüdes Lächeln fehlten ihm und ließen den sonst so stimmgewaltigen und charmanten Unterhalter stiller werden. Rührig hatte sich in den letzten Monaten eine Freundin der Familie, Sonja Frantz, zuerst um Christiane, und dann auch um André gekümmert. Seit dem zweiten Weihnachtsfeiertag nun aber ist die französische Familie Barrière in Konstanz Geschichte. Adieu, André.

Claus-Dieter Hirt