Agroindustrielle Verantwortungslosigkeit und moderner Kolonialismus
Der geplante 1000-Kühe-Stall in Ostrach gefährdet nicht nur die lokale Ökologie – er trifft auch den Globalen Süden, wo die Lebensbedingungen immer verheerender werden. Das erläuterte der Ravensburger Journalist und Autor Wolfram Frommlet auf der „Wir haben es satt“-Kundgebung am vergangenen Samstag in Tübingen, an der rund 2600 DemonstrantInnen teilnahmen. Hier seine Rede.
Liebe Freunde, ich spreche für eine Initiative aus Ravensburg, die ein agrarisches Gigaprojekt vor unserer Haustür bekämpft, den 1000-Kühe-Stall in Ostrach-Hahnennest im Landkreis Sigmaringen – skandalös, dass es durchgewunken wurde vom Gemeinderat und dem Landkreis. Der BUND führt eine Klage gegen das Projekt, das symptomatisch ist für agroindustrielle Verantwortungslosigkeit und gleichzeitig für die Wachstumshysterie und das Vernichtungspotenzial anderer Bereiche unseres neoliberalen Kapitalismus. Unter einem gemeinsamen ideologischen Dach versammelt sind beispielsweise
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– die monströser werdende Agrartechnologie und ihre Traktoren mit 500 PS, die jedes Bodenleben platt machen;
– die verbrecherischen Chemie- und Saatgutkonzerne, die Tausende indischer Bauern in den Suizid getrieben haben;
– die Rüstungsindustrie, die ganze Länder der Dritten Welt unbewohnbar macht für ihren Rohstoffbedarf;
– die Hirnlosigkeit, derer es bedarf, allein im Jahr 2019 1,13 Millionen SUVs zu verkaufen, Trauben aus Indien und Bio-Äpfel aus Neuseeland einzufliegen und gleichzeitig 678.000 Obdachlose zu produzieren.
Zu diesem Gesellschaftssystem, das mit dem Marshallplan der US-Amerikaner 1945 begann, schrieb einer der brillantesten Ökologen, Ernst Friedrich Schumacher, der vor den Nazis nach England floh, schon 1973 in seinem Klassiker „Small is Beautiful. Economics as if People Mattered“: „Jeder intelligente Idiot kann Dinge größer machen, komplizierter und gewalttätiger. Es braucht aber eine Menge Begabung und Mut, sich in die gegenteilige Richtung zu bewegen.“
Die alles durchdringende Krankheit der modernen Welt ist das Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land, in Macht, Kultur, Hoffnungen. Die Stadt wurde zum universellen Magneten, während das Land sein unverkennbares Flair verloren hat … Diese Ungleichheit bedroht heute die ganze Welt. Das Gleichgewicht wiederherzustellen, ist vielleicht die größte Herausforderung des modernen Menschen.
Die Agrarwissenschaftlerin und Stimme für die Millionen rechtloser Kleinbauern Indiens, Vandana Shiva, sagte dazu: „Die Entwicklung ist zum neuen Heiligtum geworden, für dessen Bedürfnisse Menschen, Flüsse, Regenwälder geopfert werden, oder jene Anbaumethoden, die unsere Bauern Tausend Jahre lang ernährt haben. Was Entwicklung aufhält, muss weg“ – weg für unsere konsumkranken Gesellschaften, denn die Ausbeutung der Kontinente des Südens wurde demokratisiert. 400 Jahre genossen Adel und Bourgeoisie im christlichen Europa, was die „Primitiven“ für sie in die Häfen schleppten. Heute ist es der neokoloniale Spaß der Mehrheitsbevölkerungen, sich billig an ihnen zu bedienen.
Was für ein Fortschritt!
1000-Kühe-Projekte sind Teil des Fortschritts, der so aussieht:
– 1000 Kühe benötigen fast 60 Millionen Liter Wasser im Jahr. Niemand will beantworten, woher diese Mengen kommen, zu welchem Massenpreis sie von wem verkauft werden.
Ostrach liegt im Wasserschutzgebiet unmittelbar am hochsensiblen Ried bei Wilhelmsdorf.
– Die Leistungszeit bei diesen Hochleistungskühen liegt bei maximal sieben Jahren – in der Regel bei fünf. Für dieses Stress-Fleisch gibt es außer für Hundefutter keinen Bedarf. 1000 Hochleistungskühe produzieren Tausend Kälber pro Jahr. Die männlichen werden sofort „entsorgt“, die weiblichen den Mutterkühen entzogen.
Für diesen Stress werden sie mit Psychopharmaka vollgepumpt. Auch wegen der äußerst schmerzhaften Enthornung. Ein Großteil der Kühe bekommt antibiotikahaltige Substanzen verabreicht, das dient dem sogenannten Trockenstellen. Voraussehbar ist, dass multiresistente Keime entstehen werden, die in die Gülle für das sogenannte Biogas wandern.
– 1000 Kühe produzieren circa neun Millionen Liter Milch pro Jahr. Für diese Milch gibt es keinen Bedarf bei uns. Also müssen künstliche Märkte geschaffen werden. In Afrika, Asien, Osteuropa.
In Ravensburg gibt es die ehemalige Genossenschaft OMIRA nicht mehr, sie gehört seit kurzem zum global zweitgrößten Milchkonzern, der französischen Lactalis. Sie wird diese Milch zu Dumping-Preisen abnehmen – und damit die regionalen Bio-Bauern ruinieren.
– 2018 kaufte die EU 400.000 Tonnen Überschüsse als Milchpulver. Millionen werden für Lagerung und Steuersubventionen für den Export ausgegeben. In der BRD lagerten 2018 circa 60.000 Tonnen subventioniertes Milchpulver. Dazu ein gigantischer Butterberg.
– Milch und Butter einer solchen Gigaproduktion brauchen Exporte, die töten: Überschussbutter wird nach Indien exportiert. Und in „ghee butter“ verwandelt. Zig Millionen Frauen mit ein, zwei Büffeln gehen zugrunde. Und derzeit verhandelt die indische Regierung – deren korrupten Politikern Millionen Kleinbauern egal sind – mit der EU über ein Freihandelsabkommen. Parallel dazu arbeiten die industriellen Milchproduzenten Neuseeland und Australien an einem Freihandelsabkommen mit südostasiatischen Staaten. Das nennt sich Regional Comprehensive Partnership – und ist purer Zynismus. Mit den Bauern der Dritten Welt gibt es keine Partnerschaft. Die europäischen Milchkonzerne sind in den Startlöchern – ein Milliardendeal.
Die Konsequenzen
Millionen Kleinbauern in den Kontinenten des Südens verrecken, wie die Arbeiterklasse mit den neo-kolonialen Handelsabkommen TiSA und TTIP – sie ziehen in die Slums der mega-cities, das Land stirbt, die Jungen sehen keine Chance, fliehen – so was nennt man Wirtschaftsflüchtlinge! Und niemand fragt, woher ihr Hunger kommt.
Im Globalen Süden ist überall zu sehen, was unsere tödliche Agrarindustrie anrichtet: Tomatenmark aus Italien, neuerdings China, Hähnchenabfall aus unseren Tierfabriken. Deren Fisch aber aus dem Lake Victoria kaufen wir beim Discounter. Dafür gibt’s für die Fischer in Tansania deutsches Magermilchpulver als Ausgleich. Alles gesehen in den 25 Jahren, die ich für internationale Organisationen im Süden arbeitete, auf den Märkten, plus unsere abgetragenen Klamotten, Brillen und Schuhe, oder abgelaufene Medikamente. Die verzweifelten Tomatenbauern, die Hähnchenzüchter, die Frauen mit den Kleinmühlen aus Mikrokrediten für einheimisches Maniok, Cassava, Hirse, Tapioka. Kann alles weg, wie Vandana Shiva sagt. Denn 25 Prozent unseres Weizens geht subventioniert nach Afrika, damit die koloniale Kultur überlebt: französisches Baguette, britischer Toast. Das ist kein Neo-Kolonialismus. Das ist Hilfe. Weil die Afrikaner sich zu schnell vermehren, die Inder zu blöd sind für Butter und einheimischen Reis. Den gibt es genmanipuliert von Monsanto oder Syngenta & Co.
Die globalen, milliardenstarken Agrarkonzerne, denen Saatgut gehören, Discounter und Schiffe und die korrupten einheimischen Kompradoren, die die Plünderung ihrer Länder mit unseren Waffen sichern und Bauernführer erschießen lassen, bezahlen die modernen Kriegsherren.
Es geht in Ostrach bei 1000 Kühen wie bei allem, was Multinationale mit Lobbyisten realisieren, primär um eins: um Scheiße. Für angeblich nachhaltiges Biogas, das ein ökologischer Irrsinn, eine Lüge ist.
Ich komme aus einer anderen Generation, ich bin ein typischer 68er. Ich demonstrierte gegen die Kriegsverbrechen der Amerikaner in Vietnam, Laos und Kambodscha. Deshalb ein Vorschlag aus unseren politischen Kämpfen. Schaffen wir Tribunale über die ganze Welt. Wie einst das Vietnam-Tribunal mit Bertrand Russell und Jean-Paul Sartre, James Baldwin, oder Simone de Beauvoir. Diese Agrarwirtschaft bedeutet Kriege weltweit gegen Mensch, Tier, Natur.
Und deshalb sind sie die modernen Kriegsverbrechen.
Bringen wir die Namen der Akteure an die Öffentlichkeit.
Wolfram Frommlet (Foto: Pit Wuhrer)
PS: Wolfram Frommlet arbeitete jahrzehntelang als Journalist in Afrika und Asien. Seit zwanzig Jahren lehrt er auch an der Dualen Hochschule Ravensburg.