Akt Eins im Chérisy-Lohnskandal
Erster Streich am Arbeitsgericht Radolfzell in Sachen Chérisy-Baustelle: Die Güteverhandlung zwischen Josip Knezevic, vertreten durch Rechtsanwalt Wirlitsch, und der SEN Bau GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt Celic, startete mit erheblicher Verspätung und erwies sich als Kündigungsfall (über Lohndumping wird später verhandelt). Dennoch sorgte die Verhandlung für Brisanz und sogar Unterhaltung.
Wie seemoz bereits berichtete, entzünden sich die Streitigkeiten an einem Bauvorhaben im Chérisy-Areal. Die mit der Errichtung eines Wohngebäudes beauftragte Peter Grossbau GmbH hat dort als Generalunternehmer mehrere Subunternehmen mit Teilaufgaben des aufwändigen Gewerks betraut. Hierzu gehört die SEN Bau GmbH. Josip Knezevic, seit noch nicht ganz einem Jahr Mitarbeiter in diesem Unternehmen, und wohl einige weitere Kollegen beschwerten sich, dass Lohnrückstände in beträchtlichen Höhen aufgelaufen waren. Josip Knezevic klagte daraufhin Katarina Frankovic, sprachbegabte Mitarbeiterin des DGB-Projekts „Faire Mobilität“, sein Leid und bekam Hilfe durch die engagierte Unterstützerin ausländischer Arbeitnehmer. (Sollten auch Sie, liebe LeserIn, Sorgen wegen Ihres Lohnes quälen und fühlen Sie sich von Ihrem Arbeitgeber übers Ohr gehauen, so erreichen Sie sie unter 0711/12093636.)
Wer darf die Kündigung aussprechen?
Gegenstand des Prozesses war nicht die streitige Frage des Lohnes, sondern thematisiert wurde die Arbeitgeberreaktion: Statt den Mahnungen Knezevics nachzukommen, kündigte die SEN Bau GmbH diesen außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Gestritten wurde jetzt um die Wirksamkeit unter anderem dieser Kündigung. In einem Parallelverfahren, das für den 15.6.2015 um 16.40 Uhr am Arbeitsgericht Radolfzell angesetzt ist, macht der Kläger ausstehenden Lohn seit November 2014 (!) geltend.
Kündigungserklärungen können nicht einfach von jedermann abgegeben werden. Allein kündigungsberechtigte Personen können eine Kündigung aussprechen – eine vermeintlich selbstverständliche Tatsache. Allerdings verkompliziert sich dies, sobald ein Stellvertreter eingeschaltet wird. Im Grundsatz gilt: Für fast jedes Geschäft muss man nicht höchstpersönlich auftreten, sondern kann einen Anderen mit dessen Besorgung beauftragen. Allerdings muss man den Stellvertreter hierzu bevollmächtigen. Bei einseitigen Rechtsgeschäften, wie zum Beispiel der Kündigung, muss der Stellvertreter dem Gegenüber nachweisen – und das mit dem Original der Vollmacht -, dass eine Vollmacht bestand.
Josip Knezevic wurde ohne solch‘ einen Hinweis gekündigt, die Kündigung wurde von Rechtsanwalt Wirlitsch unverzüglich zurückgewiesen und schon sah die Prozessgrundlage der Beklagten SEN Bau GmbH ziemlich schlecht aus.
Wer wusste wann vom ausstehenden Lohn?
Allerdings hatte diese noch eine zweite Kündigung erklärt, sodass sich die Prozessbevollmächtigten und die Vorsitzende über Vergleichsverhandlungen Gedanken machen konnten. Was im Hin und Her der Anwälte nicht zur Sprache kam: Es schien der Beklagten weit und breit an einem Kündigungsgrund zu fehlen. Stattdessen konnte man im Laufe der Erörterungen einen Anlass identifizieren: Knezevic hatte, nachdem er erfolglos Lohn von seiner Arbeitgeberin verlangt hatte, den Mut, die Peter Grossbau GmbH von den ausstehenden Löhnen zu informieren und verlangte seinen Lohn nun vom Generalunternehmer. Dies ist laut Mindestlohngesetz und Arbeitnehmer-Entsendegesetz sein gutes Recht. Für nicht gezahlten (Mindest-)Lohn hat der Generalunternehmer einzustehen.
Hierauf veranlasste die Peter Grossbau GmbH die Auflösung ihrer Geschäftsbeziehung zur SEN Bau GmbH, was dort naturgemäß nicht zum Wohlwollen gegenüber Herrn Knezevic beigetragen haben dürfte. Kurz darauf lag die erste Kündigung auf dem Tisch. Interessanterweise zeigte sich dabei eine Diskrepanz zu den Angaben der Generalunternehmerin gegenüber dem Gemeinderat. Nachdem Holger Reile, Linke Liste Konstanz, bei der Stadtverwaltung angefragt hatte, ob diese oder die beauftragte Bauunternehmerin etwas von den Problemen bei der Lohnzahlung der SEN Bau GmbH wisse, sagte die Peter Grossbau GmbH, von solchen Vorgängen würde sie vollkommen überrascht und hätte bis zur Anfrage des Stadtrats nichts gewusst. Diese Diskrepanz sollte aufgeklärt werden.
Wer bestimmt die Arbeitszeit?
Hier enden die zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalte und Prozessbeobachter geraten in ein Gewirr aus widerstreitenden Vorstellungen vom Arbeitsverhältnis zwischen der SEN Bau GmbH und Josip Knezevic.
Anwalt Celic bestritt für seine Mandantin, dass es mehrere solcher Fälle von unterbliebener Lohnzahlung gegeben habe. Unklar ist auch, wie viele Stunden pro Woche Knezevic arbeiten musste. Der Kläger behauptet, er wäre laut Arbeitsvertrag verpflichtet, 56 Std./Woche zu arbeiten. Die Beklagte trägt vor, sie würde ganz tariftreu maximal 40 Std./Woche fordern können. § 3 des Arbeitszeitgesetzes beschränkt die tägliche Arbeitszeit auf mit Ausnahmen maximal acht Stunden, sodass eine 6-Tage-Woche auf nicht mehr als 48 Std./Woche kommen kann. Demgegenüber scheinen im Juli und August 2014 tatsächlich gut 56 Wochenstunden abgerechnet und abgeleistet worden zu sein.
Die Streitfrage verschärft sich dadurch, dass Josip Knezevic keinen schriftlichen Arbeitsvertrag erhalten hat. Trotz mehrmaliger Nachfrage war die Beklagte bis zum Prozesstermin nicht in der Lage, einen schriftlichen Arbeitsvertrag vorzulegen. Streitig ist zwischen den Parteien auch die Höhe der zu zahlenden Vergütung: Knezevic sagt, er wurde als Vorarbeiter am Bau eingesetzt, damit stehen ihm durch Tarifvertrag 14,20€/Std. zu. Rechtsanwalt Celic meinte, er wäre vielmehr als Hilfsarbeiter tätig gewesen, was mit der niedrigsten Vergütungsstufe des Tarifvertrags von ca. 11 € zu entlohnen wäre.
Wie kam es zum überraschenden Vergleich?
Trotz dieser komplizierten und gerade für die Arbeitgeberin ungemütlichen Ausgangssituation einigten sich die Parteien auf einen Vergleich. Kläger Knezevic soll einen halben Monatslohn als Abfindung erhalten und das Arbeitsverhältnis zum 31.5. geendet haben. Da ja schon die Höhe des Monatslohns in Streit stand, konnte man nicht einfach einen Fixbetrag halbieren, sondern traf sich in der Mitte, was im Ergebnis 1600€ brutto bedeutet. Doch auch der Betrag erschien Rechtsvertreter Celic zu gefährlich, um ihn ohne Rücksprache mit seiner Mandantschaft vereinbaren zu können, und so wurde der Vergleich unter Widerrufsvorbehalt gestellt. Sollte eine der beiden Seiten innerhalb zwei Wochen schriftlich Widerruf beim Arbeitsgericht erklären, trifft man sich am 21.7.2015, 12.00 Uhr zum Kammertermin.
Wenn man eine Prognose wagen darf…
Im streitigen Termin hätte die Beklagte SEN Bau GmbH wohl kaum eine Chance, siegreich aus dem Prozess hervorzugehen. Der abgeschlossene Vergleich ist wohl das Höchste, was aus solch einer verfahrenen Lage herauszuholen ist. Seit einigen Tagen bestünde Annahmeverzug, wäre die Kündigung wirksam, sodass rückwirkend einige tausend Euro an Lohnansprüchen auflaufen würden, ohne dass Herr Knezevic hätte dafür arbeiten müssen.
Für den Rechtsstreit in Sachen Lohnanspruch lässt sich festhalten: Der gesamte Prozess steht auf tönernen Füßen. Es scheint kaum Grundlage für eine gütliche Einigung zu geben, schließlich drohen im Hintergrund viele andere Kollegen und deren kommende Prozesse. Der gestrige Prozess war nur der erste Streich: Wir freuen uns auf den Termin am 15.6.2015 um 16.40 Uhr und werden erneut berichten.
Simon Pschorr
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18.05.2015 „Lohnbetrug auf Chérisy-Baustellen unterbinden“
Liebe Christina,
deine Empörung kann ich sehr gut verstehen. Es stellt sich die Frage, was das als geradezu mafiös zu bezeichnende Treiben für Konsequenzen zeitigt (außer der juristischen Ebene). Welche Zustände herrschen auf der Nachbarbaustelle? Es schwant einem nichts Gutes. Die Linke Liste hat auf der letzten Gemeinderatssitzung genau diese Frage gestellt: was gedenkt die Stadt zu tun, um solche Zustände aufzudecken und abzustellen? Natürlich wurde jede Verantwortung zurückgewiesen; die Stadtverwaltung schmückt sich aber weiterhin mit dem Projekt „Studentenwohnen in der Chérisy“, siehe hier:
http://www.konstanz.de/umwelt/01029/02010/05903/05942/index.html?lang=de
Im betreffenden Text findet sich kein Wort über den skandalösen Lohnbetrug …
Danke für den Artikel, weitere werden mit Spannung erwartet. Der Vorstand des ESG e.v. hatte zum Thema einen Leserbrief an den Südkurier geschickt, der jedoch nicht oder noch nicht veröffentlicht wurde. Wir sind hier sehr empört über das, was in unserer unmittelbaren Nachbarschaft geschehen ist.