Alan Turing rettete Berlin

Die erste Atombombe hätte wohl Berlin getroffen statt Hiroshima, wäre der 2. Weltkrieg in Europa erst später beendet worden. Ohne den Logiker, Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing (1912 – 1954) hätte der 2. Weltkrieg nach Meinung einiger zwei Jahre länger gedauert, und Berlin wäre ein atomares Trümmerfeld gewesen

Der britische Premierminister Gordon Brown formulierte es im Jahre 2009 so: „Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, dass ohne seinen [Turings] herausragenden Beitrag die Geschichte des Zweiten Weltkriegs durchaus deutlich anders hätte verlaufen können. Er ist tatsächlich eine der wenigen hervorzuhebenden Personen, deren einzigartiger Beitrag half, den Kriegsverlauf zu wenden.“

Code-Knacker

Alan Turing war das entscheidende Genie im Team der britischen Kryptologen, das die Verschlüsselungsmaschine Enigma der deutschen Militärs knackte. Mit Enigma wurden Nachrichten und Kommandos zwischen deutschen militärischen Dienststellen ausgetauscht. Durch das Auffangen und Entschlüsseln dieser Nachrichten wussten die Briten über die Standorte und Taktiken der deutschen U-Boote Bescheid. Nur dadurch konnte es gelingen, die Unmengen an Kriegsmaterial und Schiffen, die für die Invasion der Alliierten in der Normandie transportiert werden mussten, relativ unbeschadet durch den Atlantik zu bringen.

Nachdem das deutsche Militär die Enigma verbessert hatte, gelang es Alan Turing nach Monaten der Ungewissheit erneut, auch dieses System zu knacken. Deshalb wussten die Briten bis ins Detail über Strategie und Taktik der Wehrmacht schnellstens Bescheid. Mit diesem Wissen konnte die Sowjetunion die „Panzerschlacht bei Kursk“ für sich entscheiden. Diese Schlacht war die letzte Großoffensive Hitlerdeutschlands und mit etwa 7 000 Panzern und 2,5 Millionen Soldaten die wohl größte Panzerschlacht der Geschichte.

Alan Turing war nicht nur ein genialer Logiker und Mathematiker, sondern konnte seine Ideen auch in elektromechanische Maschinen umsetzen, den Turing-Bomben. Diese Maschinen simulierten mögliche Einstellungen der Enigma-Verschlüsselungsmaschinen (für Fachleute: Verschlüsselungsstärke 77 Bit, d.h. stärker als die Computerstandards noch vor wenigen Jahren) und halfen so beim Code-Knacken. Turings kriegsentscheidende Leistungen wurden Zeit seines Lebens geheimgehalten, und kamen erst ab 1970 nach und nach ans Licht.

Computer-Begründer

Turings Arbeiten sind grundlegend für die Entwicklung von Computern. Vereinfacht gesagt, weil Turing Kernbeiträge dazu lieferte, welche „geistigen“ Leistungen Maschinen prinzipiell erbringen können (Fachstichworte: Entscheidungsproblem, Turingmaschinen). Er schrieb das erste Schachprogramm, wofür er verspottet wurde. Nach Ende des 2. Weltkriegs arbeitete er am Design der „ACE“ („Automatic Computing Engine“). Die wäre wohl der erste echte Computer geworden, hätte man ihm die finanziellen Mittel bewilligt.

Absolut genial in ihrer Einfachheit sind auch die Turing-Maschinen: 1936 stellte Turing ein Konzept vor, das zeigt, wie mit Nullen und Einsen alles berechnet werden kann, was eine Maschine oder ein Computer überhaupt berechnen kann. Man könnte sagen, Computer sind nur Spezialfälle von Turing-Maschinen. Dieses Konzept hat seitdem Logiker, Mathematiker und Linguisten so fasziniert, dass es reale Nachbauten dieser „Papier-und-Bleistift-Maschinen“ gibt. Eine schöne reale Umsetzung ist etwa unten auf dieser Seite zu besichtigen, witzig ist auch eine Umsetzung als Lego-Maschine.

Bereits 1950 entwickelte Turing Gedanken zur künstlichen Intelligenz. Auch hier beeinflusste er durch seine Veröffentlichungen die Entwicklung maßgeblich. Ungewöhnlich ist sicher, dass er zwar ein scharfer Denker in einem extrem abstrakten Gebiet war, dabei aber humorvoll, vielseitig interessiert und kein bloßer Stubenhocker. So verfehlte er beispielsweise die Qualifikation zum Olympia-Marathon 1948 nur knapp.

Turing-Test

Auch der von ihm entworfene Turing-Test zeigt, dass er nicht nur in abstrakten Formeln denken konnte. Bei diesem Test führt ein menschlicher Fragesteller mit zwei Gesprächspartnern, einem Menschen und einer Maschine, via Tastatur und Bildschirm ein „Gespräch“ ohne Sicht- und Hörkontakt. Wenn der Fragesteller nach intensiver Befragung nicht klar sagen kann, wer auf der anderen Seite Mensch und was Maschine ist, hat die Maschine den Turing-Test bestanden und es wird der Maschine ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen unterstellt. Den meisten Menschen sträuben sich da wohl die Nackenhaare, aber bisher hat noch niemand einen solideren Test entwickelt.

Mysteriöser Tod

1952 wurde Alan Turing wegen Homosexualität vor Gericht gestellt.Vor die Wahl gestellt, eine mehrjährige (!) Haftstrafe anzutreten oder einer chemischen Kastration zuzustimmen, entschied sich Turing für letzteres. Die hohen Östrogen-Gaben veränderten nicht nur den Körper des Läufers und Tennisspielers Turing, sondern führten in der Folge auch zu schweren Depressionen. 1954 fand man ihn tot auf. Als offizielle Todesursache wurde Suizid angegeben, jedoch wurden die Umstände nicht geklärt. Rehabilitiert wurde Alan Turing endgültig erst am 24.12.2013 durch „Royal Pardon“.

Der jährlich verliehene „Turing Award“ gilt weithin als Nobelpreis der Informatik.

Einen gut verständlichen bebilderten Überblick über Turings Leistungen liefert die Ausstellung des Nixdorf-Museums in Paderborn.

Würdigung

Alan Turing zählt zweifellos zu den geistigen Giganten des 20.Jahrhunderts. Er hat den Verlauf des Zweiten Weltkriegs entscheidend geprägt. Wohl noch nie zuvor haben geistige Leistungen eines durch-und-durch-Zivilisten einen Krieg in diesem Ausmaß beeinflusst. Und ohne Turings Ideen wären jetzt nicht vier der zehn reichsten Unternehmen der Welt Informatikfirmen.

Was Alan Turing für die technische Entwicklung des Computers im 20. Jahrhundert geleistet hat, könnte Edward Snowden für den gesellschaftlichen Umgang mit Computern im 21. Jahrhundert angestoßen haben. Nicht nur deshalb: Ceterum censeo – Asyl für Edward Snowden![modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: teleMAIK