Alkoholverbot im Herosé-Park?

Der Sommer hat Einzug gehalten, die Corona-Einschränkungen wurden gelockert – für viele willkommener Anlass, gemeinsam im Freien zu entspannen. Für Parties im Herosé-Park und an anderen Uferbereichen zeigen nicht alle Verständnis, zumal nach Wochen coronabedingter Kontaktverbote dieses Jahr womöglich noch ausgelassener gefeiert wird. Das hat den OB, der im Herbst seinen Chefsessel verteidigen will, auf den Plan gerufen. Uli Burchardt lässt die Verwaltung ein Alkoholverbot auf dem Herosé-Gelände und benachbarten Bereichen prüfen. Wir haben seine Herausforderer gefragt, was sie von dieser Idee halten.

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Letzte Woche hatte Burchardt laut städtischem Pressereferat das Bürgeramt mit der Prüfung beauftragt, „für das Herosé-Areal und angrenzende Bereiche ein Alkoholverbot anzuordnen“. In der Mitteilung äußert Burchardt „volles Verständnis“ dafür, dass die Feiernden wegen der coronabedingt geschlossenen Clubs und Diskotheken an das See- und Rheinufer ausweichen. Die „Situation für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und für die Anwohner“ habe sich dadurch „in einigen Gebieten mittlerweile aber so verschlechtert, dass wir handeln müssen“. Ein Alkoholverbot hält der OB trotz hoher gesetzlicher Hürden für „einen gangbaren Weg, um die Situation zu entschärfen“.

Zankapfel Herosé-Park

Alle Jahre wieder flammt mit den sommerlichen Temperaturen die Debatte über die Begleiterscheinungen des meist fröhlichen Treibens im Herosé-Park wieder auf. Verwunderlich ist das nicht, grenzt doch an dieser Stelle eines der nicht eben üppig gesäten kostenfrei nutzbaren Freizeit-Areale direkt an Domizile gehobenen Preisniveaus. Die vornehmlich (aber nicht nur) in bürgerlichen Kreisen artikulierte Entrüstung über Lärm und unschöne Hinterlassenschaften müsste sich eigentlich an ihre politischen Sachwalter im Gemeinderat richten. Sie zeichneten damals verantwortlich für die Freigabe der „Filetstücke“ am Seerhein für private Bauherren – schmerzhafter Beleg dafür, was blinder Marktglaube anrichten kann.

Gretchenfrage

Die seitdem regelmäßig aufflackernden Konflikte zwischen ruhegestörten AnwohnerInnen und entspannungssuchenden und feierlustigen KonstanzerInnen überwiegend jugendlichen Alters hatten bereits in vergangenen Jahren hitzige Debatten ausgelöst. Im Kern bewegt sich der Dauerstreit zwischen zwei Polen: Will man dem Problem vornehmlich mit ordnungspolitischen Mitteln durch Verbote zu Leibe rücken oder stärker auf den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur setzen. Letzteres hieße, nicht nur mehr, sondern vor allem besser ausgestattete (Grillstätten, Entsorgungsmöglichkeiten, Toiletten) Freiflächen zu schaffen und auch für mehr Streetworker zu sorgen.

Der wahlkämpfende Amtsinhaber hat mit seinem Vorstoß eine Duftmarke gesetzt, die nach harter Hand riechen soll. Wie wollen seine Herausforderer das Problem anpacken? Auf Anfrage von seemoz haben vier dazu Stellung genommen.

Andreas Matt

Dass sich junge Leute in den Sommermonaten am Herose-Park und dem Ufer des Seerheins treffen, ist keine Folge der Corona-Einschränkungen wie man nach den Stellungnahmen seitens der Stadtverwaltung annehmen könnte. Seit mehr als 10 Jahren werden die Gesprächsangebote, Appelle und Hilferufe der Anwohner*innen ignoriert, die Tag für Tag die Menschenansammlungen, den Lärm und die Auswirkungen der Alkoholexzesse in der Nacht ertragen müssen. Alle Jahre wieder erscheint das Thema in den Konstanzer Nachrichten. Es wurden hierzu sogar Studien der Universität Konstanz erstellt, die jedoch zu keinerlei Konsequenzen und Handlungen geführt haben. Jetzt über eine Entzerrung durch bauliche Maßnahmen und in die Zukunft ausgerichtete Sozialarbeit zu diskutieren wird dem aktuellen Konflikt nicht gerecht. Das Alkoholverbot kann keine dauerhafte Maßnahme sein. Das Alkoholverbot ist eine Notreaktion am Ende einer Kette des Versagens. Aus meiner Sicht macht ein befristetes Alkoholverbot Sinn, da es eine Verhaltensveränderung bewirken wird, ohne dass ein generelles Platzverbot ausgesprochen werden muss. Unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen brauchen einen Platz zum Feiern, eine Spielwiese am See: Klein-Venedig bietet hierfür einen weiten Raum für Kreativität und flexible sowie grenzübergreifende Formate. Open Air Kino, Zeltmusikfestival, Seebühne, Seefestival, Konstanz-Kreuzlingen-Bürgerfest und viele andere Ideen kommen mir in den Sinn. Gemeinsam mit der Bürgerschaft und in Absprache mit unseren Freunden in Kreuzlingen werden wir ein tragfähiges Konzept zur nachhaltigen Entwicklung und Erschließung von Klein-Venedig erarbeiten.

Andreas Hennemann

Der seit Jahren schwelende Konflikt am Herosé hat sich durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie erheblich verschärft. Durch die Schließung der Clubs tummeln sich am Seeufer noch mehr Menschen als in den letzten Jahren.

Klar muss sein: Anwohnerinnen und Anwohner haben ein Recht auf Nachtruhe – genauso wie alle Menschen in unserer Stadt ein Recht auf Freizeit und Erholung im öffentlichen Raum haben.

Die Exzesse einiger Weniger bedrohen das Klima in unserer Stadt. Die Ereignisse der letzten Stunden zeigen uns leider, dass es sich nicht um ein Generationenproblem handelt.

Ich bin gegen ein Alkoholverbot. Erstens ließe sich ein Alkoholverbot rechtlich schwer umsetzen, denn zunächst müsste geklärt werden, wie viele Straftaten tatsächlich begangen werden, um ein solches Verbot zu begründen. Zweitens würde ein Alkoholverbot alle betreffen und ich bin kein Freund der Kollektivstrafen. Ich bin dagegen, alle für das Fehlverhalten einiger Weniger zu bestrafen. Drittens bezweifle ich, dass die Störenfriede sich von einem Alkoholverbot abschrecken lassen würden.

Am Herosé zeigt sich eine problematische Entwicklung unserer Gesellschaft ganz deutlich: der zunehmende Mangel an Verantwortungsbewusstsein und Rücksichtnahme.

Kurzfristig bedarf es einer stärkeren Präsenz der Polizei, des Kommunalen Ordnungsdienstes und der mobilen Jugendarbeit. Der Schwerpunkt sollte dabei auf der Befriedung der Situation vor Ort und auf das Aufzeigen von Grenzen liegen.

Mittelfristig kann ich mir den Einsatz von Künstlerinnen- und Künstlergruppen vorstellen, die die nächtlichen Gäste niederschwellig ansprechen und um Verständnis für die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und Anwohner, für Rücksichtnahme und den gegenseitigen Respekt werben. Die Stadt Paris macht seit 2015 mit dem Pantomime-Projekt «Pierrots de la nuit» gute Erfahrungen.

Ebenso hilfreich könnte eine Kampagne sein, die ähnlich wie die am Uferweg in Richtung Hörnle an die Vernunft der Einzelnen appelliert und sich einprägt. Schließlich geht es auch darum, die Zivilcourage zu erhöhen und Menschen dazu zu ermutigen, nicht nur Rücksicht zu nehmen, sondern auch andere auf Fehlverhalten hinzuweisen.

Langfristig müssen mehr Freiflächen geschaffen werden. Mit dem Umbau der Promenade am rechtsrheinischen Ufer ist es gelungen, einen Ort außerhalb der Altstadt zu schaffen, der attraktiv ist und zum Verweilen einlädt. Von diesen Orten benötigen wir mehr, damit sich die Aufenthaltsqualität auch am linksrheinischen Rheinufer oder auf Klein-Venedig erhöht.

Eines ist dabei klar: Auch wenn Corona und die Schließung der Clubs für eine Zuspitzung der Situation gesorgt haben, wird uns dieser Konflikt in der Zeit nach Corona bleiben. Umso wichtiger ist es deshalb, auf beide Seiten zuzugehen und für Werte zu werben, die uns immer mehr abhandenkommen: Verantwortungsbewusstsein und Rücksichtnahme, und zwar generationenübergreifend.

Jury Martin

In meinem Programm auf www.jurymartin.info ist das kurz beschrieben. Es bedarf Menschenflüsterer, man nennt sie auch Sozialarbeiter. Da sie ein halbwegs auskömmliches Gehalt haben, sind sie recht teuer.

„Alkoholverbot für alle“ eine kollektive Strafe weil kein Problemlösungsverfahren erarbeitet werden kann. Alkoholverbot ist die Lösung eines hilflosen konservativen Politikers, dem es auch an Phantasie mangelt.

Mit Alkoholverbot ändert sich nichts, da das überwacht werden muss und die, die Alkohol trinken wollen, trinken weiterhin. Das beste Beispiel ist die Prohibition in den USA. Vielleicht ist es an der Zeit das noch einmal zu probieren, aber ich rate davon ab.

Laut AnwohnerInnen ist um 15 h noch alles in Ordnung. Der Stress beginnt erst gegen 23 h. Es wird mangels Toiletten in die Vorgärten und an Hausecken uriniert. Wenn um Mitternacht Fußball gespielt und gegrölt wird, sind leider keine Ordnungskräfte mehr da.

Analyse für die Zeit nach 23 h mit der Annahme, dass sich noch 500 Menschen dort aufhalten: Ca. 80 % der Badenden und Partymacher sind komplett unauffällig. Ca. 14 % sind aufmüpfig und teilweise auffällig. Ca. 6 % versauen dem Rest den Ruf.

Die Stadt hat zusätzlich Ordnungskräfte angestellt. Wenn die Ordnungskräfte vor Ort sind, ist alles ruhig, also gehen sie wieder. Das wird nun seit 2018 so gemacht.

Irgendwann in der Nacht kommen die 6 % und randalieren. Das sind große Kinder auf dem Weg erwachsen zu werden. Wenn sie mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind, ist es noch problematischer. Im Sommer sind sie am Strand, im Winter sind sie auch da, da stöhnen sie aber nicht so, weil die Fenster geschlossen sind. Fragen Sie die AnwohnerInnen in der Innenstadt wie laut es dort im Winter ist.

Die Stadt kommt somit nicht um die Menschenflüsterer herum. Da die Damen und Herren nicht 24 h am Stück arbeiten können und auch Urlaub und Weiterbildung benötigen, sind mindestens 6 -10 Menschenflüsterer nötig. Das ist für das Stadtsäckel eine ziemliche Belastung. Aber durch solche Maßnahmen können aus den 6 % der RandaliererInnen nützliche Menschen für unsere Gesellschaft entstehen.

Woher ich das weiß, ich war auch mal jung! Ich war nicht so extrem aber tendenziell musste ich auch erwachsen werden und habe alles ausprobiert.

Luigi Pantisano

Als Stadtplaner einerseits und vor allem als früherer Quartiersmanager im Quartier Berchen-Öhmdwiesen andererseits bin ich sehr vertraut mit Konflikten zwischen Jung und Alt und zwischen dem Bedürfnis sich im öffentlichen Raum aufzuhalten und dem Bedürfnis nach Ruhe von Anwohner*innen in Konstanz. Im Quartier Berchen-Öhmdwiesen haben wir diese Konflikte mit verschiedenen sozialen und städtebaulichen Maßnahmen bis heute nachhaltig gelöst. Aus dieser Erfahrung kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass ein Alkoholverbot am Herosé-Areal die Konflikte nicht lösen, sondern eher noch verschärfen wird.

Das Herosé-Areal wurde schon lange von Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt, bevor hier hochpreisiges Wohnungseigentum entstanden ist. Die Jugendlichen wurden bei den Planungen zur Wohnbebauung nicht berücksichtigt. Angebote wie ein Treff für Jugendliche fehlen bis heute gänzlich. Trotzdem wird der Bereich am Seerhein weiter von überwiegend jungen Menschen genutzt, weitgehend ohne Infrastruktur, was bis heute zu Konflikten mit den Anwohner*innen führt. Ein Blick auf das heutige Quartier Berchen-Öhmdwiesen lohnt, dann wird klar, dass der Ursprung dieses Konflikts auf einer städtebaulichen Fehlplanung fußt.

Die Konflikte dort konnten im Dialog von Jung und Alt gelöst werden – in Teilen so nachhaltig, dass sich das Ergebnis dieser Arbeit auch heute noch zeigt. Mit der Ansiedlung der mobilen Jugendarbeit und dem Jugendtreff Berchen haben Sozialpädagog*innen Vertrauen zu den jungen Menschen aufgebaut und über Jahre begleitet. Als Quartiersmanager hatte ich die Rolle als Brückenbauer von den Jugendlichen zu den älteren Bewohner*innen. Die Jugendlichen habe ich dabei unterstützt, Räume zu gestalten, die nach ihren Wünschen umgesetzt wurden.

Mein Vorschlag für das Herosé -Areal ist die langfristige Ansiedlung einer mobilen Jugendarbeit, mit Streetworker*innen, die auch am Wochenende und Abends im Einsatz sind. Gerade in Bezug auf den Alkoholkonsum der jungen Menschen kann die mobile Jugendarbeit mit einem Vertrauensaufbau und gezielten Angeboten dabei unterstützen, dass Konflikte am Herosé-Areal abnehmen. Zusätzlich muss geprüft werden, welche städtebaulichen Maßnahmen möglich sind, um die räumliche Nähe der beiden Konfliktgruppen zu entzerren.

PM Stadt/Stellungnahmen Kandidaten/jüg (Teaserfoto: O. Pugliese/weitere: Matt: H. Reile; Hennemann: Denise Claus Fotografie; Martin: privat; Pantisano: Christoph Musiol)