Alle Jahre wieder: Widerstand gegen Nazis
Auch aus Konstanz und der Bodenseeregion waren am letzten Wochenende zahlreiche Demonstranten nach Pforzheim gefahren, um gegen den alljährlichen Nazi-Aufmarsch zu protestieren. Ein Konstanzer Student schildert seine Eindrücke und Erfahrungen von diesem gewalttätigen Wochenende und zitiert auch Karin Binder: Die Gewerkschafterin aus Konstanz ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Karlsruhe
Pforzheim ist alljährlich Schauplatz von Neonazi-Aufmärschen. Anlass ist die Zerstörung der Stadt durch alliierte Flieger am 23.2.’45. Es wird versucht, mittels Fackelaufmarsch und 22 Gedenkminuten bis 20:12 Uhr auf dem Wartberg, die Geschichte umzudeuten. Der Widerstand von links ist groß, da die Stadtverwaltung sich vor der Verantwortung drückt, ,,diese Nazi-Veranstaltung zu verbieten“, meint die LINKE-Bundestagsabgeordnete Karin Binder, die als parlamentarische Beobachterin anwesend war.
Eine Stadtverwaltung beugt sich den braunen Umtrieben
Die Verhältnisse in Pforzheim sind recht klar: Der rechtsradikale „Freundeskreis ,Ein Herz für Deutschland e.V.“ und weitere faschistische Gruppen hatten auf eineinhalb Jahrzehnte hin den Wartberg über der Stadt für ihre „Gedenkminuten“ ausgebucht. Die Stadt hätte die Möglichkeit, hier zu agieren. Irgendwann wurde von linker Seite versucht, den Platz zu buchen, um die Nazis zu verhindern. Geschichtsbewusstsein bei der Stadtverwaltung: Fehlanzeige.
Sie schmetterte für 2013 den Vorstoß mit dem Argument „Gewohnheitsrecht“ ab. Für die LINKE-Bundestagsabgeordnete Karin Binder (s. Foto), die auch einen Teil ihres Lebens am Bodensee verbrachte, unverständlich: „Die Stadtverwaltung müsste nur kreativ sein. Feste, Bauarbeiten, Alternativkundgebungen wären eine Option. In Karlsruhe haben wir gegen solche Aufmärsche am 1.Mai den Marktplatz auf 20 Jahre ausgebucht. Die Anmeldung hatte ich damals in meiner Funktion als DGB-Regionsvorsitzende vorgenommen und bekam prompt eine kritische Nachfrage von der Stadtverwaltung. Die Begründung, warum wir das tun, hat dann aber offensichtlich eingeleuchtet,. Hingegen hat in der Pforzheimer Stadtverwaltung augenscheinlich niemand den Mumm, bei Faschisten mal kritisch nachzuhaken.“
Lokale Medien machen Stimmung gegen zivilen Ungehorsam
Auch die Linksjugend[’solid] Landessprecherin Sandra Vincelj, berichtet in diesem Zusammenhang von einer sonderbaren Haltung der Stadt, insbesondere der des Oberbürgermeisters Gert Hager (SPD): „Für den OB wäre das Problem aus der Welt, wenn die Faschos eben einfach woanders demonstrieren würden – Hauptsache nicht hier.“ Karin Binder ergänzt: „Für die Stadtverwaltung ist der Wartberg weit weg, da stört es ja niemanden. Aber genau mit dieser ignoranten Haltung ist es 1933 schief gegangen. So können sich die Nazis ungehindert einnisten.“
Aber nicht nur die Verwaltung ist ein Problem. Auch in stockkonservativen Lokalmedien wie der Pforzheimer Zeitung wird im Vorfeld Stimmung gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten erzeugt. Eine umgeworfene Mülltonne scheint für Otto Normalverbraucher eben schwerer zu wiegen als das Verbreiten menschenverachtender Propaganda, die ihn wahrscheinlich auch nicht weiter juckt. So passt es auch ins Bild, dass kaum ein lokales Medium es aufgriff, dass kürzlich bei der „Alten Fabrik“, einem linksalternativen Jugendtreff, antifaschistische Plakate abgebrannt und stattdessen NPD-Sticker angebracht worden waren.
In Pforzheim gibt es auch AntifaschistInnen
Aufrechten Antifaschismus aber gibt es auch in Pforzheim. Einem fällt schlagartig ein Zitat aus dem Artikel „Danke, liebe Antifa!“ von Sebastian Leber im Tagesspiegel am 24.01.2014 ein. Leber betrachtet hier den jährlichen Nazi-Aufmarsch in Dresden: „Der wurde schon mehrfach gestoppt, weil Antifa-Gruppen zu Blockaden aufgerufen hatten. Hinterher werden aber stets die Bürger gelobt, die sich auf der anderen Elbseite im Kreis an den Händen festhielten. In der Tagesschau werden jedes Jahr die Falschen gefeiert.“ In Dresden traut sich derzeit niemand aus der rechten Szene, eine große Demo anzumelden. Ähnliches, wie Leber herausstellt, kann man auch für Pforzheim konstatieren: Die „Drecksarbeit“ machen diejenigen, die sich in den Weg stellen, die Zufahrt zum Wartberg blockieren. Nur wenige Nazis schaffen es durchzukommen. Sie sind meist schon ein paar Tage eher angereist oder aus der Umgebung.
Zwischen Robocops und Pfefferspray
Für diese „Schadensminimierung“ nehmen es Antifaschistinnen und Antifaschisten es in Kauf, kriminalisiert zu werden. Auf der Einfahrt zum Wachberg steht Mensch quasi umzingelt von Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (Abk.: BFE), rechnet ständig damit, Pfefferspray ins Gesicht oder einen Knüppel auf die Knochen zu bekommen. BFE, das sind grob die vermummten, bundespolizeilichen Hundertschaften, gegen die Robocop wie ein harmloser Taschenrechner wirkt. Nein, es macht niemandem Spaß, die Freizeit auf diese Weise zu opfern. Aber der liberale Philosoph Karl Popper, der nicht im Verdacht steht, viele linke Freunde gehabt zu haben, hatte schon recht, als er meinte: „Im Namen der Toleranz sollten wir uns das Recht vorbehalten, die Intoleranz nicht zu tolerieren.“
Neonazis wird die Stimmung verhagelt
Doch trotz allem: Bis zur „Gedenkzeit“ ist die Lage auf der Zufahrtsstraße zwar angespannt, aber zumindest ruhig. Die Stimmung droht zwar hin und wieder zu kippen und alle sind sich einig, dass der Pfefferspray-Einsatz der Bereitschaftspolizei ein paar Stunden zuvor gegen die bergerklimmende Antifa vollkommen unnötig war, jedoch ist auf dem Berg selbst die Lage kaum am Kippen – von einem nicht allzu weit entfernten Lidl wird vernommen, dass dort etwa 40 Menschen eingekesselt sind. Gegen 20:00 Uhr selbst verhagelt man durch Pfeifkonzerte und Chor-Rufe den Nazis dann während ihrer Kundgebung die Stimmung. Karin Binder berichtet, dass sie zusammen mit anderen mit dem Antikonflikt-Team der Polizei (das ist die Schnittstelle zwischen örtlicher Polizei und Demonstrations-AnmelderInnen) ausgehandelt habe, dass es einen Demonstrationszug zurück bis an den Bahnhof mit einer Abschlusskundgebung geben würde. Unterwegs hält man nochmal kurz an. Der Demonstrationszug besteht darauf, dass die 40 eingekesselten AntifaschistInnen den Kessel am Lidl verlassen und sich dem Zug anschließen können.
Provokation der Polizei trotz angemeldeter Kundgebung
„Doch als wir dann am Bahnhofsplatz standen, war für mich das Antikonflikt-Team der Polizei plötzlich nicht mehr sichtbar“, berichtet Binder: „Stattdessen marschierten links und rechts BFE-Einheiten auf, die uns unter dem Vordach zusammendrängten. Die Stimmung war aufgeheizt und mit zwei, drei Stößen links und rechts attackierte die Bundespolizei die Kundgebung und begann, von beiden Seiten Leute rauszuziehen und in Gewahrsam zu nehmen. Mit einigen der Polizisten habe ich mich dann noch angelegt, was das denn solle, dass die Polizei jetzt noch mit zwei Hunden kommt und habe mich dann zwischen die DemonstrantInnen und die Polizisten geschoben, die nicht mal einen Meter Abstand wahrten. Wir hatten schließlich eine Kundgebung angemeldet und zwar zeitlich unbefristet.“ Das war Viertel vor 11, als die Lage dann so eskaliert ist.
Örtliche Polizei von Bundespolizei übergangen?
„Nach der Aktion habe ich die Polizisten des Antikonflikt-Teams aufgesucht, die auf mich einen völlig entsetzten Eindruck gemacht haben. Offensichtlich ist der Einsatz der Bundespolizei über deren Köpfe hinweg entschieden worden. Mir haben sie zugesagt, dass sie das bei der Abschlussbesprechung auf jeden Fall kritisch ansprechen wollen“, so Binder, die auch Lücken in der Gesetzgebung sieht: „Wir brauchen endlich eine wirksame Kennzeichnungspflicht, so dass man nachvollziehen kann, wer von den Beamten was getan hat. Mir ist aufgefallen, dass die Uniformen des nicht-gepanzerte Antikonflikt-Teams namentlich gekennzeichnet waren. Aber wenn sie dann ihre Warnwesten drüber haben, kann man sie auch nicht mehr erkennen.“ DIE LINKE. im Bundestag sei an diesen Themen dran und hatte dazu auch schon in der letzten Legislatur Anträge eingebracht.
Ein übler Nachgeschmack zu der Schlussaktion der Polizei bleibt. Demo-Sanitäter hätten Karin Binder berichtet, dass sie diese Vorgehensweise der BFE der Bundespolizei schon häufiger beobachtet hätten. So kann man nur folgern, dass es sich hierbei um billiges, politisches Kalkül handelt, bei dem es einerseits darum geht, Antifaschisten als „Krawallmacher“ zu stigmatisieren, andererseits darum, Leute einzuschüchtern, sich an solchen Protesten zu beteiligen.
Doch das Unterfangen der BFE-Trupps dürfte an und für sich ein recht zweifelhaftes gewesen sein: Denn Widerstand gegen Geschichtsklitterung wird sich so lange formieren, wie Nazis irgendwo aufmarschieren. Daran ändern auch die über 50 bei der Demonstration verletzten AntifaschistIinen und Antifaschisten sowie Einschüchterungsversuche von Behörden und Staatsanwaltschaft nichts. Das dürfte wohl auch für 2015 gelten, wenn es die Pforzheimer Stadtverwaltung wieder nicht hinbekommt, dem gespenstischen Treiben „im kleinen Dresden Baden-Württembergs“ einen Riegel vorzuschieben.
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Autor: Symeon Börner